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Alltagskultur die ihre ist. In dieser Heimat leben aber auch ihre Verfolger und die Mörder ihrer Angehörigen und Freunde, die ihre Traumata verursacht haben. Und ebenso lebt dort die große Zahl der Mitläufer, die deren Taten stillschweigend akzeptierten und den Rückkehrenden nun zu verstehen geben, daß sie nicht willkommen sind, sondern bestenfalls geduldet werden — vom Vorwurf abgesehen, sie wären außerhalb des Landes in Sicherheit gewesen, während die im Land Gebliebenen täglichen Katastrophen ausgeliefert waren. Ablehnung mag ihnen auch in anderen Ländern entgegen gebracht werden, doch „zu Hause“ damit konfrontiert zu werden, schmerzt weit mehr und trifft nachhaltiger; ganz abgesehen davon, daß es viel schwerer ist, Wut und Empörung auszuleben, wenn das Objekt der Empörung die Gesellschaft ist, in die man sich wieder integrieren möchte. Daran hat sich auch heute weltweit nichts geändert. Wobei sich die Frage stellt, ob Kinder tatsächlich in eine „Heimat“ zurückkehren können, denn im Gegensatz zu Erwachsenen besteht ihre Heimat zum Zeitpunkt von Verfolgung, Versteck, Vertreibung, Emigration oder Lager aus ihrer Familie und eventuell noch im unmittelbaren Umfeld ihres Elternhauses, und wenn sie Glück haben, bleibt ihnen diese Art der Heimat erhalten. Das Land, in das ihre Eltern mit ihnen zurückkehren, ist ihnen fremd, und sie spüren die gespannte Stimmung ihrer Eltern in einer gesellschaftlichen Atmosphäre, die sich auf sie überträgt. Wieder verstehen sie nicht worum es geht, denn auch die Erwachsenen versuchen zwiespältig und mühsam, sich in ihrer „Heimat“ zurecht zu finden, die nur noch wenig Ähnlichkeit mit jener hat, die sie verlassen mußten. Die Palette reicht vom Verdrängen der ihnen hier angetanen Verletzungen und Anpassung an die keineswegs wohlwollende Gesellschaft über das Abschotten im Kreis jener, die Ähnliches erlebt haben, bis zu den wenigen, die das unausgesprochen vereinbarte gesellschaftliche Schweigen nicht akzeptieren wollen. Während nun Erwachsene ihre Strategie mehr oder weniger frei wählen können, sind die Kinder einmal mehr nur der verlängerte Arm dieser für sie meistens unverständlichen Entscheidungen. So befinden sie sich zwischen zwei Fronten: einer Gesellschaft, in der sie angeblich zu Hause sind, ihnen aber fremd und nicht wohlgesinnt ist, und ihrer Familie, deren Verhalten sie ebenso wenig verstehen und ebenso nicht erklärt bekommen. So verstanden etwa viele jüdische Kinder nicht, warum sie in Österreich die Sprache der von den Eltern vorher vermittelten Feinde (wieder) lernen sollten. Manche gerieten in totale Verzweiflung, daß sie nun wieder Juden sein sollten, wo sie sich doch jahrelang bemüht hatten, diese lebensbedrohende Zugehörigkeit zu leugnen und in vielen Fällen sogar durch die katholische oder evangelische Religion zu ersetzen. Und später, als sie erfuhren und verstanden, daß die Gesellschaft, in der sie nun lebten, jene war, die ihre Eltern (und sie mit ihnen) verfolgt und vertrieben hatten, mußte ihnen die Rückkehr der Eltern noch unverständlicher erscheinen und bleiben; auch deshalb, weil ihre Eltern — wenn auch aus anderen Gründen — das gesellschaftliche Schweigen internalisiert hatten. Auf eventuelle Fragen, die sie dennoch wagten, hieß es meistens: „Das kannst Du nicht verstehen‘, und Heimatgefühl ließe sich eben nicht erklären. Eine ausführliche Schilderung der österreichischen Gesellschaft seit 1945 erübrigt sich wohl. Alle Parteien und Regierungen haben die bekannte Linie im Umgang mit „Vergangenheitsbewältigung‘“ und „Wiedergutmachung“ verfolgt und kaum etwas gegen die anhaltende Feindseligkeit gegenüber den Betroffenen des Nationalsozialismus, also gegenüber Juden, Sinti und Roma, Slowenen, Homosexuellen, Behinderten usw. unternommen. Wie also leb(t)en etwa Juden nach ihrer Rückkehr in Österreich? Wohl im Spektrum zwischen Simon Wiesenthal und Viktor Frankl, der den Österreichern die Absolution erteilte, indem er sie nur in Anständige und Unanständige teilte und es ihnen selbst überließ, zu welcher Gruppe sie sich zählten. Die meisten Rückkehrer versuchten sich zu arrangieren, was der sogenannten „second generation“ noch schlechter gelang als ihren damals betroffenen Eltern. Aber auch bei den österreichischen Rückkehrern sind die Langzeitfolgen bei den damals verfolgten Kindern kein Thema - bei Juden ebenso wenig wie bei den anderen Gruppen (Roma, Slowenen, Politische usw.), auch sie haben die „Hierarchie der Opfer“ übernommen, bei der, von Auschwitz absteigend, die überlebenden Kinder auf der untersten Stufe der Opfer stehen. Wie die österreichische Gesellschaft, in die sie zurückgekehrt sind, haben auch sie die Probleme ausgeklammert, die für die damals nicht immer freiwillig zurückgekehrten Kinder in der beschriebenen gesellschaftlichen Atmosphäre und angesichts der Einstellung und dem Verhalten ihrer Eltern dieser Gesellschaft gegenüber entstanden sind. Erschwert wurde die Situation noch durch weitere österreichische Eigenheiten. Während auf der einen Seite vielen NSOpfern die Anerkennung ihrer Lagerhaft verweigert wurde, hatten engagierte Antifaschisten auf der anderen Seite allzu klare Kriterien dafür, wen sie als Opfer anerkannten; so gehörte etwa ein Jugendlicher, der als Nicht-Politischer, mehr „aus Spaß“, Flugzettel verteilt hatte und deshalb in ein Jugend-KZ gekommen war, nicht dazu. Eine große Rolle spielt(e) auch, daß die Erwartung nach unbedingter Zuordnung zu irgend einer Gruppierung in Österreich besonders stark ausgeprägt ist. Diese Erwartung manifestiert sich auch in einer Schubladisierung von Minderheiten und der Etikettierung von Opfern — so möchte man eben genau wissen, wer Jude, Roma oder Slowene ist, sie sollen sich deklarieren. Davon abgesehen schätzt man in Österreich vor allem jene Überlebenden, die ihre Erlebnisse vordergründig positiv bewältigt haben, unauffällig bleiben, nicht konfrontieren und damit zur Entlastung der österreichischen Gesellschaft beitragen. Dazu gehört auch, daß von Opfern erwartet wird, sie müßten gerade wegen ihrer schrecklichen Erlebnisse besonders gute Menschen sein. Dafür zahl(t)en die damals Verfolgten (Erwachsene wie Kinder) einen hohen geistig-seelischen Preis. In vielen Fällen führt(e) das erwartete Verhalten zur Unterstützung der Leugnung oder Bagatellisierung der österreichischen Beteiligung am Holocaust. Ein Preis, den vor allem die zurückgekehrten Kinder schwer mit ihrer Würde vereinbaren können. Wo die (verdrängte) Angst überwiegt, ist Würde nicht möglich; vielleicht gehört das mit zum Schlimmsten, was diesen Kindern angetan wurde. In Österreich als — in welcher Form immer — zurückgekehrtes Kind zu leben, stellte sich für viele erst im Erwachsenenalter als bewußtes Problem heraus. Ein Resumée Während der Zeit der Verfolgung ist die Trennung von den Eltern ausschlaggebend, weniger ob die Kinder in ein Versteck, in die Emigration, in ein Lager (KZ) oder zu (positiven oder negativen) Pflegeeltern kommen. Von großer Bedeutung für die Bewältigung dieses Verlustes ist dabei das Abschied-Nehmen. 61