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Vorweg muß ich sagen, daß ich mit dem Begriff Mitleid große her, die mich ein wenig verbogen hat, und die mich nach wie vor mißtrauisch macht gegenüber „großen“ Worten, die sich — so meine Erfahrungen aus der Klosterschule — bei genauerem Abklopfen meist als hohltönend und leer erweisen. ' Mit-Leid heißt doch, daß ich mit einer/m anderen mit-leide. Daß ich sehe, wie jemandem Unrecht zugefügt wird, und daß ich - mit ihr/ihm — daran leide. Das ist kein guter Umgang mit Unrecht. Zum einen, weil mir das Leid den Blick auf die Gegebenheiten und ihre Ursachen verstellt. Und zum anderen, weil es nichts ändert. Mit-Leid ist so gesehen kein Motiv und mich als Motivation Mit-Gefühl geltend. Mit-Gefühl bedeutet, die anderen zu sehen in ihrer Verletztheit und Benachteiligung. Bedeutet, ihren Schmerz wahrzunehmen. Es bleibt aber bedeutungslos, wenn daraus nicht Zorn und Wut resultieren. Ich beschäftige mich in meiner schriftstellestrauchelten wohlstandsverwahrlosten Jugendlichen, von den Segnungen der Globalwirtschaft ausgeschlossenen kanadi. schen Ureinwohnern. Ich tue dies möglicherweise deshalb, weil ich die Position des „bemitleidenswerten“ Außenseiters aus meiner eigenen Biographie zu kennen glaube. Vor allem tue ich es aber deshalb: Aus Mit-Gefühl, nicht Mitleid, wächst Zorn und Wut über Ungerechtigkeiten. Dieser Zorn ist ein kalter Zorn. Er geht zusammen mit der Überzeugung, daß Öffentlichmachen von Benachteiligung zu einem Ende der Benachteiligung, oder zumindest zu einer Abschwächung führen wird. Öffentlichmachen braucht aber einen rapportierenden Beobachter, der klar und nüchtern sieht und berichtet. Mit-Leiden, Leiden also, schließt Klarheit und Nüchternheit aus. Ich habe gestern einen Text vorgetragen, der von einem . Menschen handelt, der gedemütigt, verletzt, in seiner Würde und seinen Rechten beleidigt wurde. Es handelt sich um einen real existierenden Menschen und um Ereignisse, die „wirklich“ geschehen sind. Aber Mitleid hat in diesem Text keine Gegenwart. Mit-Leiden an Ungerechtigkeit, an Benachteiligung, an Beleidigtwerden würde bedeuten: Ungerechtigkeit, Benachteiligung, Beleidigung akzeptieren. Hinnehmen. Letztendlich die Beleidiger, Benachteiliger, Ungerechtigkeitsausüber legitimieren. Meine Position ist es, der Ungerechtigkeit und Benachteiligung ein Nein entgegenzusetzen. Insofern ist Mitleid für Schreiben kein Kriterium. Der Blick ist auf die Verletzten, Gedemütigten und Schwachen gerichtet. Aber die Haltung ist nicht Mitleid, sondern Mitgefühl und in der Folge Zorn. Und in Folge davon Solidarität mit den Getretenen. Ich will mit meinem Schreiben kein Mitleid erwecken. _ Wenn jemand meine Berichte liest, soll er nicht Mitleid fühlen für Opfer, sondern Empörung über Unrecht. Ich will, daß Menschen so erkannt, verstanden, respektiert und bewertet werden, wie sie sind, und nicht, wie man sie gerne hätte. Mit‚Leid, so glaube ich, verfälscht den Blick auf das, was Menschen wirklich sind. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. ~ natelang in Spitälern. Ein Teil der Umwelt reagierte mit MitLeid. Sprich: Betroffenheit und Erschütterung, die mich wissen ließen, wie schlecht es um mich bestellt war. Dieses Mitleid war kein Trost und keine Hilfe, sondern machte Angst. Schreiben heißt für mich immer, dem Beschriebenen so nahe wie möglich zu kommen. Aber nicht über Mitleid, sondern über Empathie. Empathie ist die Fähigkeit, sich in jemand anderen hineinzuversetzen. Ich habe das konsequent durchgeführt auch im Falle des Berichtes über einen NS-Arzt, der hier in Oberösterreich zwischen 1940 und 1944 mindestens 10.000 Menschen in die Gaskammer geschickt hat. Als ich diesen sterbender Mann. Daß ich in meinem Buch über: diesen Arzt die Nähe zu ihm, die Wahrnehmung seines Leidens, die Einfühlung in seine Motive nicht ausgespart habe, hat mir harsche Kritik eingetragen, etwa in der Art: „Kohl wird zum Medium für die Lügen des NS-Arztes.“ Ich behaupte, daß meine Kritiker einem Mißverständnis unterliegen: Sie verwechseln Empathie mit dem NS-Täter, also das sich Hineinversetzen in seine Motive, mit Mitleid und in Folge mit Relativierung und Verharmlosung seiner Taten. Ich habe Franz Kain hauptsächlich als Linzer Kommunalpolitiker kennengelernt. Damals habe ich als Redakteur einer Zeitung, deren Blattlinie sehr weit entfernt war von Kains politischem Ort, des öfteren Sitzungen des Linzer Gemeinderats erlebt. Was mir in Erinnerung geblieben ist: Mein Chefredakteur, ein deklarierter „Schwarzer“, hat ebenso wie fast alle Journalisten bürgerlicher Blätter von Kain immer mit Anerkennung und Hochachtung gesprochen. Der Grund lag auf der Hand: Franz Kains Engagement für seine Sache, sein Eintreten für die Benachteiligten war so offensichtlich ehrlich, sein Zorn über die Verhältnisse so plausibel, daß dies auch seinen politischen Gegnern Respekt abnötigte. Bei der Vorbereitung zu diesem Referat habe ich überlegt, wie Franz Kain auf die aktuelle politische Situation reagieren würde. Also darauf, daß der Kapitalismus nun auch die Republik Österreich nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen umformt. Die neoliberale Globalökonomie sucht die Hegemonie über die politische, soziale und kulturelle Welt. Sie richtet sich Gesellschaften, Staaten, Kulturen so her, wie sie sie braucht. Das ist es, was derzeit in Österreich geschieht — mit dem (typisch österreichischen) Treppenwitz, daß die Partei des Neoliberalismus bei der Umwandlung Österreichs in eine der Provinzen der New Economy ausgerechnet die xenophoben und globalisierungsfeindlichen nationalen Schmuddelkinder als Koalitionspartner braucht. Was ist die angebrachte Reaktion darauf? Mitleid mit den von dieser Regierung sierung ausgespuckten Modernisierungsverlierern? Oder Zorn, Nicht-Hinnehmen, Widerstand, gepaart mit unverdrossenem Beharren auf Grundsätzen, auf Prinzipien, auf Solidarität? Oder das Umsetzen der Forderung des Karlsruher Künstlers Klaus Heid, der meint, die Kunst habe sich aus der selbstauferlegten Zweckfreiheit zu entlassen und bei der Formatierung zeugt, daß die Antwort des Schriftstellers und Politikers Kain