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heit eines Schriftstellers, der in seiner Heimat bereits in Vergessenheit geriet, und der auf der anderen Seite in seinen Gedichten den Kleinen und Hilflosen, den Armen und Ausgestoßenen durch Hingabe, Mitleid und Einfühlungsvermögen seine Stimme lieh. In der Arbeit des Studenten Rosenfield sah Kramer allen Anschein nach auch nicht jene gewinnbringende Unterstützung, die er im anglikanischen Raum für die Publikation seiner Gedichte benötigte. Neben der materiellen Unterstützung für Kramer — regelmäßige Schecks, Pakete mit Schreibpapier und Nahrungsmittel — war Harry Zohn aber zuvörderst bemüht, dem Dichter neue Publikationsmöglichkeiten zu verschaffen. Bereits im Frühjahr 1955 konnte Zohn einen Aufsatz über Kramer in der renommierten Zeitschrift Books Abroad und Anfang 1956 einen weiteren in German Life & Letters veröffentlichen. In beiden Texten machte der Literaturwissenschafter die Leserschaft auf den österreichischen Dichter aufmerksam und — was Kramer besonders wichtig war — nützte die Publikationen, um auch auf jüngere Gedichte Kramers zu verweisen. Um Kramer ein Publikationsforum zu ermöglichen, trat Harry Zohn auch mit dem in New York lebenden Oskar Maria Graf, der Kramer ja persönlich aus seiner Zeit in Wien (1933/34; vgl. Daniel Winklers Aufsatz in MdZ Nr. 2/1999, S. 45-50) kannte, in Verbindung. Graf war auch Mitarbeiter der New Yorker deutschsprachigen Wochenzeitung Aufbau; seine Ehefrau Miriam war die Schwester des Chefredakteurs Manfred George. Graf beurteilte die vorgelegten Gedichte äußerst kritisch. In einem Brief an Zohn schreibt Graf!” Ich habe verschiedentlich versucht, für Kramer Interesse zu erwecken und schätze seine früheren Gedichtbände sehr, |...] aber die drei Gedichte, die Sie mir hier übersandt haben, sind meiner Meinung nach wirklich jämmerlich! Die Meinung zu den Gedichten schrieb Oskar Maria Graf Kramer auch persönlich, wie aus dem Briefwechsel Kramers mit Zohn hervorgeht. Theodor Kramer ließ die Kritik Grafs größtenteils gelten. In einem Brief vom 27. Oktober 1951 teilt er Zohn mit:” Was nun den Brief von Oskar Maria Graf betrifft, so will ich, ohne auf Einzelheiten einzugehen, dazu bemerken: Ich schreibe nicht zu rasch und nicht zu viel. Aber ich sollte diese Gedichte später gründlichst feilen. Zu feilen, aber nicht Neues zu schreiben, ist mir ganz und gar unmöglich, aus Gründen der Selbsterhaltung. [...] Mit Einschränkungen dürfte die Kritik von Graf berechtigt sein, und auch eine Zeitungsveröffentlichung sollte fast ebenso sorgfältig wie eine BuchverÖffentlichung erwogen werden. Trotz Grafs Kritik erschienen einige Gedichte im Aufbau, was Kramer mehrmals kleinere Honorare einbrachte.” Die Korrespondenz der zwei emigrierten Österreicher war neben vielen interessanten Aspekten für beide auch insofern fruchtbar, als ihnen der Briefpartner neue Kontakte eröffnen konnte. In den Schreiben an den Germanisten erwähnt Kramer häufig, daß er Post von Zohns Schwester Margit (verheiratete Matthews) bekommen habe. Diese dürfte sich ebenfalls sehr um den österreichischen Dichter bemüht haben; im Winter 1956 verbrachte er sogar Weihnachten bei den Matthews. Margit ermöglichte Kramer auch, vor Bekannten seine Gedichte vorzutragen, was der Dichter am 29. Dezember nicht ohne Stolz Harry Zohn berichtet:™ Ich war in Birmingham. Ihre Schwester hat einen sehr guten und vornehmen Mann. Bei Bekannten arrangierte sie eine Vorlesung. Ich sah, dass viele ehrliches Interesse an den ihnen vollig unbekannten Gedichten hatten. Professor Pascal von der Fakultät zeigte durch seine Fragen, dass er erfasste, worum es sich handelt. Kramer seinerseits machte Zohn mit einigen Menschen bekannt, mit denen den Germanisten, wie er schreibt, später eine jahrzehntelange Freundschaft verband.” Zu diesen Personen gehörte der Maler und Graphiker Helmut Krommer, den Kramer gegenüber Zohn erstmals am 31. Dezember 1951 erwahnt:” Ein Bekannter von mir ist vor einem Jahr von Guildford nach USA gegangen, der sudetendeutsche Zeichner Helmut Krommer. Ich korrespondierte mit seiner Tochter Anny, die aber nach Israel ging und nichts mehr von sich héren liess. Von ihm erhielt ich jedoch eine Weihnachtskarte (ich verbrachte 1949 und 1950 den Weihnachtsabend bei ihm). Er wohnt nun 9, Durham Street, Boston, und er hat einen kleinen Posten als Kustos bekommen und auch sonst Erfolg gehabt. Ich weiss nicht, wie gross Boston ist und ob dies sehr weit entfernt von Thnen ist, aber vielleicht setzen Sie sich mit ihm in Verbindung, wenn Sie Lust haben. Er ist ein sehr guter Zeichner und ein guter Kollege. Nichtjude, freiwilliger Emigrant. Harry Zohn ist auf diesen Vorschlag eingegangen. Offenbar hat er Helmut Krommer kurze Zeit später angeschrieben oder ihn persönlich aufgesucht und dies Kramer in einem Brief bestätigt, denn am 13. März 1952 schreibt der Lyriker neuerlich voll Hochachtung über den Krommer:” Krommer ist ein sudetendeutscher Flüchtling, ein sehr guter Zeichner, und er hat sich mir gegenüber als ausgezeichneter Kollege gezeigt, und ich hab mit ihm und mit seiner Tochter Anny schöne Stunden verbracht. Im November 1952 lernte Zohn diese auch als Lyrikerin hervorgetretene Tochter, Anna Krommer, kennen. Helmut und Anna Krommer waren aber nicht die einzigen Kontakte, die Zohn über Vermittlung Kramers knüpfen konnte. In einem der wenigen handschriftlichen Briefe an Zohn, dem Schreiben vom 15. Jänner 1952, wies der Dichter den Germanisten auf Regina Peregrin (recte Marianne von der Vring) hin, die ehemalige Frau des Dichters Georg von der Vring:” Mit Frau Peregrin, die ich von 1931/32 her persönlich kenne, habe ich einen sehr intensiven Briefwechsel. Leider hat diese hochbegabte und tapfere Frau, die in Hitlerdeutschland ihren Verkehr mit Juden nicht aufgab, gesundheitlich und wirtschaftlich viel zu leiden. Im Aufsatz Theodor Kramer, wie ich ihn erlebte vermerkt Harry Zohn, daß auch „diese Dichterfreundin“, die er später in Stuttgart kennenlernte, sein Leben bereicherte.”” Wie Kramer war Zohn auch Regina Peregrin in materieller Hinsicht behilflich. In der Folgezeit verlor Kramer zusehends an Kraft und Widerstandsfähigkeit — er erkrankte nun öfter, und zu seinen alten chronischen Beschwerden kamen neue hinzu. Gesundheitlich erholte sich Theodor Kramer nicht mehr. Und die in Kramers letzten Jahren zunehmenden stationären Behandlungen erlaubten dem Dichter nicht mehr, seine brieflichen Kontakte im Umfang früherer Zeiten aufrecht zu erhalten. Sein Bedürfnis nach längeren Ruhephasen nahm stetig zu. Der letzte Brief des Dichters an Harry Zohn aus dem englischen Exil trägt das Datum vom 28. Februar 1957. Die nächste Mitteilung sollte den Briefpartner erst im November erreichen — nach Kramers Rückkehr nach Wien. Die letzten Lebensmonate des Dichters standen ganz im Zeichen einer tiefen „Verstörung‘“. 11