OCR
Geschrieben 1942. — Beatrix Miiller-Kampel, der vorbildlichen Leserin, deren feinfühlige Rezeption die endgültige Fassung dieser Novelle nachhaltig beeinflußt hat, ist sie in Dankbarkeit gewidmet. Die Liebhaber häßlicher Mädchen sind wahrlich beklagenswert. Es ist nicht nur ihr offensichtlicher Mangel, daß sie das Schönste und Berauschendste, die Lust am aufreizend-wohlgeformten Körper in ihrer armen Liebe nicht kennen, es sind ganz besonders ihr Neid und ihre Scham, die sie aushöhlen, wenn sie sich mit den Glücklichen vergleichen, die im Schoße ihrer Geliebten wirkliche, ungeheuchelte Freude erleben dürfen. Wären die anderen nicht da, könnten sie sich ja mit ihrem Los leichter abfinden. Ihre Mädchen haben trotz ihrer Häßlichkeit gewisse Vorzüge. Sie spielen die Geige oft wunderschön, sie sind sanft und mütterlich, und man kann mit ihnen viel über Probleme und Bücher sprechen. So lernt man ja auch die häßlichen Mädchen kennen, indem man bei irgendeiner Gelegenheit, wenn man besonders traurig und einsam war, über Probleme und Bücher zu sprechen begonnen hat. Man hat sich ausgesprochen mit ihnen, und die häßlichen Mädchen sind die großartigsten Zuhörer, die man sich erträumen kann. Sie wissen und verstehen so viel und streuen ungewöhnlich scharfsinnige Beobachtungen ins Gespräch. So freut man sich, sie das nächste Mal wiederzusehen. Man muß ja nicht in das flecken- und narbenentstellte Gesicht und die tränenden, kleinen Augen blicken, wenn man mit ihnen spazierengeht. Man vergißt auch ihre kurze, unschöne Gestalt, man schaut sie ja gar nicht an. Was man vor sich sieht, sind faszinierende, geheimnisumwehte Fragen und tiefe dunkle Schächte, die man in die Seele gräbt. Die Liebhaber häßlicher Mädchen sind vor allem Liebhaber solcher tiefer, dunkler Schächte und geheimnisumwehter Fragen. Dazwischen werden Beispiele und Zitate von Schriftstellern in das Gespräch geworfen und Gedanken über den letzten Sinn der Kunst und des Daseins im funkelnden Wortgefecht ausgetauscht. Man macht den häßlichen Mädchen das Kompliment, daß sie schärfer als die meisten Männer dächten, daß man höchst angenehm überrascht sei und sich frage, ob Nietzsche wirklich recht gehabt, als er die Frauen mit den wohl geschmeidigen, aber doch gar nicht geistigen Katzen assoziierte. Allerdings hat Nietzsche nicht an die häßlichen Mädchen gedacht. Die Liebhaber der häßlichen Mädchen interessieren sich außerordentlich für das ihnen fremde Geschlecht. Ihr Interesse ist sogar so brennend und geht so tief, daß wenig für Probleme übrigbleibt, die nicht in irgendeiner subtilen Weise mit diesem ihrem Hauptinteresse zu tun haben. Erotik in Kunst und Leben ist ihr beliebtester Gesprächsstoff und hängt für sie irgendwie mit den geheimnisumwehten letzten Fragen zusammen. Davon sind sie ebenso überzeugt wie die häßlichen Mädchen, und ein idealer Treffpunkt ihres Geistes ist damit schon gegeben. Beide berufen sie sich auf Freud und seine Schule, und beide machen sie feine Unterschiede zwischen Erotik und Sexualität. Leider halten sich die häßlichen Mädchen später nicht sehr an diese feinen Unterschiede, und auch dabei berufen sie sich auf Freud. Die Liebhaber häßlicher Mädchen sind also zunächst Liebhaber von Geheimnissen und dunkel-sehnsüchtigen Umwegen. In ihnen sind schreckerfüllte Traurigkeit und nervöse Ungeduld seltsam vermischt, und deshalb scheitern sie auch auf allen direkten Wegen. Sie glühen nach der aufreizenden Körperlichkeit des ihnen fremden Geschlechts. Sie wollen auch keine Asketen sein. Herausfordernd blicken sie den schönen, stolzen Göttinnen in die Augen, wo immer sie ihnen begegnen. Sie mustern die schlanken, seidigen Beine ungeniert und haben dabei ein ironisch-spöttisches Lächeln auf den Lippen. Sie tun, als ob sie schon ganz erfahren und müde wären. In Wirklichkeit aber finden sie eben keinen einfachen, direkten Weg zu den Schönen. Wenn die Gelegenheit kommt, ergreifen sie sie ungeschickt und halb. Wenn es dazu kommt, mit der Schönen auszugehen, schreiten sie steif und auf der falschen Seite des Gehsteigs, sind im Restaurant glühend-rot vor Scham, vergessen der Dame den Mantel abzunehmen, treten dem Kellner auf die Zehen und verachten sich gründlich. Wenn sich dann das längst gefürchtete verächtliche Lächeln auf den Lippen der Schönen zeigt, fliehen sie gleich, ohne weiteres zu versuchen. Trotzdem erhalten sie manchmal, fast unerklärlicher Weise, die Gunst eines der wirklich schönen Mädchen. Eine gewisse Anziehung üben sie ja auf alle Mädchen aus. Die Mischung von düster-ironischer Schauspielerei, linkischer Knabenhaftigkeit und echter, stürmischer Begeisterung reißt fast jedes Mädchen hin. Nur wissen sie eben nicht, den gewollten Anfangseindruck zu erhalten. Kommen sie aber wirklich einmal zu einem richtigen Erfolg, machen sie eine Eroberung, wie man es nennt, dann schleichen sich Traurigkeit und nervöse Ungeduld ein, und schnell werden sie ihres Sieges müde und geben das Eroberte ab an einen Anderen, der mit stärkeren und sichereren Armen bereit ist, es fest und dauernd an sich zu halten. Sie sind eben Liebhaber von Geheimnissen, und das Offenbarte enttäuscht sie. Die schönen Mädchen haben Alltagsfragen auf den Lippen, nach den Preisen von Hüten, Schuhen oder gar Kinderwagen, und das versetzt die Liebhaber von Geheimnissen in einen Zustand leichter Panik. Sie werden schweigsam und sind in Gedanken schon weit weg, wenn sie die Früchte der Wollust pflücken. Außerdem bergen sie bittere, grausame und fürchterliche Neigungen in sich, vor denen die schönen Mädchen wie vor Schlangen oder Abgründen zurückschaudern. Und so sind sie beide erleichtert, wenn sie Abschied nehmen, trauern wohl ein bißchen, aber sagen sich schließlich leichten Herzens Lebewohl. Die schönen Mädchen schreiten in die Arme stärkerer Männer, und ihre flüchtigen Liebhaber wenden sich wieder ihren Geheimnissen und ihrer Einsamkeit zu. Doch auch darin halten sie es nicht lange aus. Unstillbare Wehmut nach dem Leben, das sie nie erreichen und halten konnten, bohrt unablässig in ihnen. Ihre einsamen Nächte sind schwül von den aufreizenden Bildern, die sie sich vorzaubern. Und da allein können sie ihren grausam-süßen, fürchterlichen Neigungen zügellose Freiheit geben. Doch ihre Tage sind schwer von Einsamkeit und Schuld. Monate, Jahre vergehen, ohne daß sie je zu einer jungen Frau mehr als flüch21