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tig gesprochen hätten. Bei ihren Büchern und Problemen sind sie vergraben, und in ausschweifenden Träumen schaffen sie sich wunderbare Gesellschaft. Schließlich aber, das wissen sie, die sich so gut kennen, wird die Zeit wieder kommen, wenn sie einfach wie traurige Hunde aus ihren Studierstuben fortlaufen und die Gassen hilflos, wild vor Sehnsucht durchwandern werden an Sonntagabenden, wenn sie die Einladungen entfernter, uninteressanter Bekannter suchen, um die Möglichkeit zu haben, wieder zu Mädchen zu sprechen, wo sie sich in intellektuell höchst fragwürdige Diskussionskreise einschleichen und mit billigen, krampfhaften Mitteln die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken trachten. Und da eben schließen die häßlichen Mädchen sich ihnen an, und da beginnt diese seltsame, gequälte Liebe. Man sitzt um die geschickt abgeblendete Stehlampe mit dem chinesischen Schirm herum, auf einem kleinen Tischchen sind Backwerk und Kuchen aufgehäuft, und ein paar Sodaflaschen stehen dort, und man spricht über Psychologie, Romane und das Kino, hört Schallplatten klassischer Musik und mustert sich gierig. Die wenigen schönen und auch die halbwegs nett aussehenden Mädchen haben alle schon ihre Freunde, die sie gut festhalten. Die einsamen Liebhaber von Geheimnissen sind hier zu spät gekommen, das ist klar. Aufreizend entblößen die schönen und auch die halbwegs nett aussehenden Mädchen ihre schlanken Seidenstrumpfbeine bis hoch über das Knie, während wilde Tschaikowsky-Musik das Blut durch die Adern jagt. Und die glücklichen Freunde dieser Mädchen streichen ihnen zärtlich durchs Haar. Die Einsamen, die Ungepaarten, finden sich auch. Sie müssen den indirekten Weg gehen, tiefe Schächte in die Seele graben und im Geistigen schwelgen. Die Einsamen versuchen mit ironischen Bemerkungen, funkelnden Scherzen und geistreichen Wortspielen die Blicke der schönen und der halbwegs nett aussehenden Mädchen auf sich zu lenken. Aber nur von den Häßlichen werden sie gesehen, nur die Häßlichen sind hingerissen von ihrem blitzenden Wortspiel, von ihrer waghalsigen, koketten Geistigkeit und ihren düster-weltmüden Sarkasmen. Nachher auf der Straße suchen sie ihre Nähe und fragen, ob sie noch ein bißchen Zeit hätten, es gäbe so vieles von dem, was oben gesagt worden, das ihnen interessant und bedeutungsvoll erschienen sei. Es wäre doch wert, weiter erforscht zu werden. So wecken sie die Eitelkeit jener geheimen Schauspieler und machen sie sich dankbar. Man sucht also noch ein Cafe auf und spricht bis spät in die Nacht. Dann werden die häßlichen Mädchen nach Hause begleitet. Ja, wenn ihr Gesicht nur halbwegs nett und glatt, wenn ihre Augen größer und nicht so tränend wären und ihre Körper höher und ein wenig gestraffter, dann wären die Einsamen restlos glücklich in solcher Nacht. Denn noch nie haben sie soviel Verständnis für sich und so viele gemeinsame Interessen gefunden. Sie lernen wegzusehen von den körperlichen Unzulänglichkeiten ihrer neuen Freundinnen und sich ganz auf Diskussion von Problemen zu konzentrieren. Sie treffen sich immer häufiger mit diesen häßlichen Mädchen und werden allmählich und gegen ihren Willen ihre Liebhaber. Denn die häßlichen Mädchen sind äußerst geschickt und geduldig in solchen allmählichen Entwicklungen. Sie zielen darauf hin von Anfang an, ja ihr ganzes geistreiches Sprechen, ihre subtile Kunstpsychologie und selbst ihr wunderschönes Geigenspiel, und dieses ganz besonders, sind, wenn man es genau nimmt, für diesen einen Zweck vorhanden - sie von dem Fluch ihrer Häßlichkeit zu erlösen und an den sagenhaften Freuden der Liebe, über die sie soviel in den Romanen gelesen, 22 teilnehmen zu lassen. Die häßlichen Mädchen geben sich auch keineswegs mit ihresgleichen zufrieden. Auf die Liebe häßlicher Männer, Krüppel oder entstellter Tölpel, die sie ja reichlich haben könnten, verzichten sie hochmütig. Nein, die häßlichen Mädchen haben einen erstaunlich feinen und zarten Sinn für menschliche Schönheit. Jene hübschen, koketten, brillierenden Schauspieler ihrer Seele, jene Geheimnisumwehten und Müdetuenden mit den schönen Augen lieben sie. Sie lieben ja das Schwermütige und Tragische, sie schwärmen für traurige Kinostücke und schwermütige Gedichte, aber mit Krüppeln, mit unglückseligen, verunstalteten Männern haben sie kein Mitleid. Sie werfen ihren tränenden Blick weit aufwärts, wo sie schwärmen können in träumerischem Ehrgeiz. Als Kinder schon haben die häßlichen Mädchen sich in weiche, weite Seidengewänder gehüllt und haben sich dann zum offenen Fenster gestellt, um auf den traurig-bleichen Traumprinzen zu harren, der sie in seinen Palast entführen wird. Und als er nicht kommen wollte, flüchteten sie zu ihrer Geige und nahmen sich vor, ihn einmal, wenn sie erwachsen sein und sehr gut spielen werden, zu sich zu locken und dann nie mehr fortzulassen. Sie konzentrieren sich ganz auf den Geist und das Gefühl. Ihren Körper vernachlässigen sie bewußt. Sie wissen ja, daß auch Schlamperei und arge Vernachlässigung einen seltsamen Reiz ausüben. Außerdem könnten sie ja ihren nun einmal so unglücklich mißratenen Körper ohnehin durch kein Mittel verschönern. Mit Maschen im Haar und Seidenstrümpfen würden sie sich nur lächerlich machen. Die weichen, weiten Seidengewänder, in denen sie in der Kindheit am Fenster geharrt haben, haben sie schon lange abgelegt. Jetzt tragen sie niedrige Schuhe, oft gewöhnliche Turnschuhe, schmutzig-weiße Socken, einfache Röcke und Sweater oder Lederjacken. Das Einzige, was sie sich zugestehen, ist, den Kragen ihrer Sweater und Lederjacken ganz hoch oben zu schließen, was ihnen einen verwegenen, oft geradezu verbrecherisch-kühnen Anschein gibt. Ihr Haar, oft das einzig Schöne an ihnen, tragen sie forsch ins Gesicht hineingeweht und rückwärts in wirren Strähnen bis zur Schulter, was den verwilderten Zug an ihnen bis ins Romantische steigert. Doch ein Blick in ihr fleckenentstelltes Gesicht genügt, um selbst diesen Eindruck zu zerstören, der bloß im Dunkel der Nacht einigen Effekt haben kann. Daher beschränken sich die häßlichen Mädchen eben nur auf den Geist und das schöne Gefühl. Hier können sie ihre ersehnten Eroberungen machen, hier haben sie subtile, wirkungsvolle Waffen zur Verfügung. Zu einer so verblüffenden geistigen Schärfe haben sie sich erzogen, zu einer so gut informierten, harten und mondänen Zynik, daß, wer für solche Nuancen Sympathien hat, ihnen hohen Respekt zollen muß. Man freut sich darauf, sie das nächste Mal zu sehen, man bereitet sich darauf vor, ihnen Fragen vorzulegen, und ist gespannt auf ihr Urteil. Man pocht darauf, Theaterstücke, die man gerade gesehen, Bücher, die man gerade gelesen, mit ihnen zu besprechen. Man geht auch zusammen ins Theater, zu guten, tragischen Filmen, zu Konzerten und philosophischen Vorträgen. Man geht mit ihnen in halbleere Kirchen, wo barocke Orgelkonzerte aufgeführt werden. Man mißt sich nachher beim Nachhauseweg oder im Kaffeehaus in spannungsgeladenen Wortduellen. Man spricht sich aus über seine tiefe, wilde Not und ist heimlich stolz, wenn Polizisten in den nächtigen Gassen dem sonderbaren Mädchen mit der aufgestellten Lederjacke und den wilden Haarsträhnen verdachterfüllt nachstarren. Vor ihrem Haustor steht man lange und unterhält sich über die tiefsten und letzten Fragen des Seins. Gemeinsam