OCR
der politischen Entwicklung zusammen: „Prag auf | dem Weg in einen neuen Sozialismus“ heißt sein ausführlicher Beitrag zum Band Der Fall CSSR Strafaktionen gegen einen Bruderstaat (1968). Der von ihm dargestellte Zeitraum endet am 20. | August 1968, dem Tag vor dem Einmarsch „befreundeter“ Streitkräfte in die Tschechoslowakei. Beer kam danach, im November 1968, noch einmal ins Land, nun in der Rolle eines Seismographen der Angst, des Mißtrauens, der Wut, der Desillusionierung, aber auch weiterhin der Hoffnung. Sein Buch Die Zukunft funktioniert noch nicht. Ein Porträt der Tschechoslowakei 19481968 ist neben der Geschichte seiner sehr persönlichen, privaten Wiederbegegnung mit dem „Gestern“ bei seinen drei Reisen in die CSSR 1967/ 1968 ein bewegendes Dokument: politische Analyse aus einer Zeit, in welcher als Erbe des „Prager Frühlings“ vielleicht doch eine Wende zum Besseren möglich schien. Kritiker kreideten ihm das Wörtchen „noch“ im Titel als zu optimistisch an. Gut zwanzig Jahre danach trat jedoch vieles, was man damals nicht einmal in kühnsten Träumen erhoffen konnte, ein. Der Kalte Krieg gehörte einer vergangenen Epoche an. Deutschland war vereinigt worden. Wie aber stand es um die Wende zum Besseren? Funktionierte die Zukunft jetzt? Fritz Beer hatte auch nach der politischen Wende immer noch etwas zu sagen. Besonders zu Deutschland und keineswegs nur als einseitiger Kritiker. In einem öffentlichen Dialog mit Chaim Noll im Herbst 1993 nahm er dieses Deutschland in Schutz vor den „zornigen Gedanken“ in dessen Buch Nachtgedanken über Deutschland. Viele der Stellungnahmen Beers hängen damit zusammen, daß eine neue Aufgabe in den letzten Jahren ihn dazu verpflichtet hat, seine Stimme zu erheben. Denn 1988 wurde Fritz Beer — als Nachfolger von Hans Keilson — Präsident des „PEN-Zentrums deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland“, das heute noch — auch gegen Beers wiederholte Einwände — mit einer gewissen Penetranz „Exil-PEN“ genannt wird. Eine Bezeichnung, die ihre Gültigkeit hatte, als 1934 u.a. Max Herrmann-Neisse, Rudolf Olden, Ernst Toller, Lion Feuchtwanger, nach dem PENKongreß in Ragusa (Dubrovnik) in London ein Pendant zum damals praktisch gleichgeschalteten deutschen PEN-Zentrum schufen. 1948 richtete sich der vormalige „Exil-PEN“ — unter Beteiligung von zuvor dem Austrian PEN zugehörigen SchriftstellerInnen — unter seinem heutigen Namen neu aus. Unter Beer hat sich das Londoner PEN-Zentrum ein Terrain behauptet und mit Erfolg zahlreichen Versuchen widerstanden, ihm seine Berechtigung abzusprechen und es schlicht mundtot zu machen. Damit hat sich das PEN-Zentrum deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland die Freiheit bewahrt, jetzt aus guten Gründen und aus freien Stücken die Selbstauflösung zu erwägen. Es sei hier kurz daran erinnert, daß der „Auslands-PEN“ für die kritische Kultur in der Bundesrepublik eine viel wichtigere Rolle gespielt hat als gemeinhin bekannt ist. So war insbesondere die Neugründung eines innerdeutschen PEN-Zentrums dem Einsatz des Exils-PENs auf dem PEN-Kongreß in Zürich 1947 mit zu verdanken. Diese Verdienste, keinesfalls die ein zigen Meriten, gerieten zuletzt etwas aus dem Blick. Seine Tradition hatte den Auslands-PEN verpflichtet, auch nach 1990 in den hitzigen Debatten um eine Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren eine kritische Haltung einzunehmen. Nachdem er lange vergeblich auf eine interne Aufarbeitung der Vergangenheit gerade des ostdeutschen PEN gehofft hatte, wagte der „Auslands-PEN“ kritische Einwürfe. Damit machte er sich mit seinen Wortführen wie Fritz Beer, Uwe Westphahl und schließlich auch Ingrid Bacher diejenigen zum Feinde, die, nur auf den schönen Schein und die Harmonie bedacht, den Schlußstriche unter die Vergangenheit zum Gebot der Stunde erhoben. Fritz Beers Haltung gegenüber Versuchungen, unbequeme Geschichte aus dem kollektiven Gedächtnis auszuradieren, ist eindeutig. In seinem Essay Brauchen wir Ketzer?, einer Rede vor der Heinrich-Heine-Gesellschaft Düsseldorf im September 1999, heißt es: Ketzer sind immer Störenfriede, sie hindern uns vor Selbstgefälligkeit, Größenwahn, Rassismus und geschichtlicher Amnesie. In Deutschland erschweren sie heute den Predigern des Vergessens, des Unter-den-Tisch-Kehrens die Entsorgung der roten und braunen Vergangenheit. Sie machen es ihnen schwer, sich einen Freispruch von der Verantwortung für die eigene Geschichte zu erschwindeln, für den z.B. Martin Walser 27