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Ich bin, wie schon meine Eltern, in Wien geboren und blieb mit diesen, im lange vergeblichen Kampf um Visa in die verschiedensten Länder, bis Ende Jänner 1941 in Wien; schließlich flüchteten wir nach Jugoslawien und waren hier zunächst in Gefahr, wieder nach ‚Großdeutschland’ ausgewiesen zu werden. Dann wurden wir in einem von der jüdischen Hilfsorganisation HIAS (Hebrew Sheltering and Immigrant Aid Society) betriebenen Flüchtlingslager namens Dragani£i (bei Karlova&) untergebracht. Mein Vater wurde zu einem der drei Lagerverwalter bestellt. Das Leben hier war dürftig und das Essen reichte gerade zum Überleben, aber wir fühlten uns alles in allem sicher. Die Sicherheit war von kurzer Dauer: Im April 1941 überfiel Deutschland Jugoslawien, und unser Lager befand sich nun im Feindesland, im Gebiet des neugeschaffenen kroatischen Staates mit seiner Marionettenregierung. Doch ungefähr 40 Meilen südlich vom Lager begann die vom italienischen Militär besetzte Zone. Mein Vater, mißtrauisch (oder, wie ihm von seinen Mitverwaltern unterstellt wurde: paranoid), hatte wenig Vertrauen in das Wohlwollen des kroatischen Regimes und seines paramilitärischen Arms, der Ustascha. Wenige Tage später verfügte er sich unter irgendeinem Vorwand in die italienisch besetzte Zone und erbat eine Audienz beim italienischen Militärgouverneur. Er hatte Erfolg und fand sich — zu beider Überraschung - in Gesellschaft eines Offiziers, mit dem zusammen er im Ersten Weltkrieg gedient hatte, eines Grafen Attems aus Triest, welches ja bis zur österreichischen Niederlage ein Teil Österreichs war. Dieser vornehme und mitfühlende Mann, der den Argwohn meines Vaters in das weitere kroatische Verhalten teilte, bot ihm sofort befristete Passierscheine zum Übertritt in die italienische Zone für jeden Flüchtling in unserem Lager an. Mein Vater teilte dieses alle Erwartungen übertreffende großzügige Angebot am nächsten Tag den versammelten Lagerinsassen mit, aber die beiden anderen Lagerverwalter sprachen sich, aus welchen Gründen auch immer, nachdrücklich dafür aus, in der ‚Sicherheit’ des Lagers zu bleiben. Und die Kroaten seien doch keine Deutschen, nicht wahr? So kam es, daß wir drei zusammen mit weniger als zehn anderen den Zug nach Sußak in die italienische Zone nahmen (am Grenzübergang von der kroatischen zur italienischen Zone wurden wir von den kroatischen Grenzwächtern all unserer irdischen Güter beraubt, aber das ist eine andere Geschichte). Kaum zwei Wochen später wurden die 150 im Lager Verbliebenen von der Ustascha zu einem Massengrab getrieben und entweder erschossen oder lebendig verbrannt. Su$ak war in der Tat ein willkommener, lebensrettender Zufluchtsort, aber trotz des allgemeinen Wohlwollens der italienischen Behörden war es nicht der Platz, an dem wir uns auf Dauer aufhalten konnten. Wir waren als Juden ja doch „feindliche Ausländer“, und auch die örtliche jüdische Gemeinde, von einem tapferen jungen Rabbiner namens Deutsch geleitet, die uns nach ihren Möglichkeiten finanziell unter die Arme griff, vermochte nicht, uns „permessi di soggiorno“, Aufenthaltsgenehmigungen, zu verschaffen. So kam es, daß uns nichts anderes übrigblieb, als an den italienischen Innenminister die ,,domanda“, das Ansuchen, zu richten, uns in das Konzentrationslager Ferramonti, Provincia di Cosenza, zu überstellen. Dort kamen wir im Dezember 1941 an. Wir wußten zu dieser Zeit noch nichts von den Vernichtungslagern, aber unsere Kenntnis der deutschen Lager (teilweise aus meines Vaters eigener Erfahrung — Rossauerkaserne, Arbeitslager Eisenerz) reichte aus, um über unseren Empfang in Ferramonti höchst erstaunt zu sein. Die uns zugewiesenen Wohnräume, die wir mit einer anderen Familie teilen mußten, waren allerdings nur primitiv ausgestattet, und das Essen und das Klima ließen sehr zu wünschen übrig. Aber man stelle sich unsere Überraschung vor, als uns der vermutlich faschistische Lagerkommandant wenige Tage später zum Abendessen zu sich lud! Abgesehen davon, daß er mir meine beinahe völlige Unkenntnis des Italienischen vorwarf, was, wie er sagte, nicht das sei, was er sich von den Kindern in seinem Lager erwarte, behandelte er uns mit erlesener Gastfreundschaft. In den folgenden Monaten spielten seine Söhne mit uns Fußball und anderen Sport, mit uns, den Kindern der Internierten. Mit anderen Worten, abgesehen von den kärglichen Lebensbedingungen und der Malaria, unter denen die Lagerwächter fast genauso zu leiden hatten, führten wir ein nahezu „normales“ Leben - und ich, ich lernte in der Lagerschule Italienisch. Ich bewahre immer noch meine „pagella“, mein Zeugnis. Meine Mutter, hervorragende Köchin Wiener Mehlspeisen, eröffnete ein kleines „Cafe“, wo sie Wiener Lieder vortrug, und ich dilettierte dazu auf der Ziehharmonika. Der Ertrag war gering, aber gerade ausreichend, um die magere Kost ein wenig aufzubessern. Unglücklicherweise setzte das Klima meinem Vater ziemlich zu; er verlor Gewicht und sein Leben war ernstlich gefährdet. Er beschloß daher, eine neu „domanda“ einzureichen, daß wir in einen „confino libero“ weiter nördlich überstellt würden. „Confino libero“ bedeutete, daß man gewöhnlich in einem kleinen Dorf interniert war, oder auch auf einer Insel, wo man sich zumindest tagsüber in fast völliger Freiheit bewegen konnte (sobald es dunkel wurde, gab es ohnehin nichts mehr zu tun). Italienische Bürger, die der Gegnerschaft zum faschistischen Regime bezichtigt wurden, wurden ja der gleichen Art von Verbannung unterworfen. Einer der berühmtesten unter ihnen war Carlo Levi, Arzt, Maler und Autor von Christus kam nur bis Eboli. Unser Ansuchen wurde genehmigt, und wir wurden im Juni oder Juli 1942 — wie zuvor schon mit militärischer Eskorte - nach Bomba, Provinz Chieti, in der heutigen Region Abruzzen, überstellt. Bomba ist der Geburtsort der Gebrüder Spaventa, des bekannten Staatsmannes Silvio und seines vielleicht weniger bekannten Philosophen-Bruders Bernardo. Sie waren, was man im 19. Jahrhundert als liberal bezeichnete, heutzutage würde man sie wahrscheinlich als Konservative ansehen. Jedenfalls lebten ihre Nachkommen noch immer in Bomba und bildeten den Kern einer ausgesprochen antifaschistischen Gruppe — dazu gehörte auch die Familie d’Intino, die uns und andere Verbannte herzlich und großzügig bei sich aufnahm. Ich wurde geradezu adoptiert, und die noch lebende Tochter, Maria, ist 31