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In der Kinder-AIZ wurde die Armut in den sogenannten Sudetengebieten, in denen viele LeserInnen der Kinder-AIZ lebten, diskutiert, gleichzeitig wurde auch die Ausbreitung des Nationalsozialismus thematisiert: Gustav aus Ketten bei Grottau schreibt uns: „Ich will euch jetzt von einem Gespräch vor der Schultür erzählen. Es war an einem Donnerstag nachmittag, da fangen wir Jungen erst um halb drei an. Wie jeden Winter sind wir Kinder der Gemeinde Ketten, deren Eltern arbeitslos sind, mit Suppe oder Milch ausgespeist worden. Da sagte ein reicher Bauernjunge, seine Eltern sind Henlein-Anhänger: ‚Ja, ihr Arbeitslosen, ihr kriegt immerzu, ihr seid so schon reich genug. Wir sollen euch immer nur geben. Das werden wir aber bald satt kriegen.’ Da sagte ich: ‚Ah, das ist wohl das Winterhilfswerk von der SdP, den Armen alles rauslocken, und den Reichen alles geben!’ Da war es grad halb drei und wir mußten in die Klasse. Und damit will ich meine Erzählung beenden.“ UNSERE KINDERPOST LUISE IN KARLSBAD UND VIELE ANDERE. Ich bin natürlich such mitgegangen. Alle MenEimwrerstanden, wir kommen! Es liegt nun an schen auf den Straßen blieben erstaunt stehen. Euch, den Kinder-Abend gut und rasch vorzu- Als wir ankamen, war gerade cine Stadiratsitzung bereiten. Wir fordern gleichzeitig unsere Leser im Rathaus, und sie wollten uns nicht hineinlassen. im den anderen Städten auf, ähnliche Abende zu Die Polizei, die das Rathaus bewacht, wollte uns ergenmicren und uns zu schreiben. ’ auseinandertreiben. Aber a en schr lang < 5 stehen und warteten so lange, bis der Stadtrat uns AIZ-Kinderredahtiom. Dein hat, daß wir weiter Milch bekommen. jetzt erhalten 500 Kinder wenigstens jeden Tag LIEBE KINDER-AIZ! einen halben Liter Milch. Die Mutter hat für uns Kinder hie und da Milch bekommen vom Bürgermeisteramt. Aber ich bin HALLOH, LIEBE KINDER?! schon scht Jahre alt und weil wir kein Geld haben, Das hat mal geschnurrt und gekracht wie cine Rawed der Vater schon lange arbeitslos ist, hat die here — das mit dem AIZ-Spiel meinen wir. Jeden Asıschi, das ist meine kleine Schwester, immer Tag bringt uns der Postbote einen Berg Bestellunsie Milch bekommen. Aber auf einmal haben sie gen, so viele Kinder wollen es haben. Ihr habt gemgt, cs gibt keine Milch mehr. doch sicher alle in der letzten Kinder-AIZ gelesen, Abes di isch; ist doch klein und muß um was es sich handelt? Jedes Kind, das uns BER benmen: "Meine Maier und abe Freuen schreibt und 50 Heller (in Briefmarken) für Porto von den Arbeitslosen, die such keine Milch mehr und Verpackung beilegt, bekommt das neue AIZbekommen sollen für ihre Kinder, sind zum Rat- Würfelspiel „Eine Reise durch die Sowjetunion haus gezogen, mix den Kindern und den Kinder- geschickt. Also — wer schreibt uns noch? hose „ge AIZ-Kinderredakrion. Tommy, Kometau. Kinder-AIZ vom 6.7. 1933 Ein weiteres Thema war die Kinderarbeit. Unter der Überschrift Mila darf nachts nicht schlafen wurde am 18. Mai 1933 von einem sechsjährigen Mädchen berichtet, das nachts Blumensträuße an vorübergehende Passanten verkaufen mußte, um überleben zu können. Der Artikel behauptet, daß dies kein Einzelfall sei, sondern „heut zum alltäglichen Bild in allen Städten und Staaten“'' gehöre. Der Armut, Ausbeutung, Verspottung durch wohlhabende ‚Kameraden’ sowie der ‚kapitalistischen’ Gesellschaftsform überhaupt wurde beständig die Gesellschaftsstruktur der Sowjetunion positiv gegenübergestellt, in der solche Armut und Ausbeutung der proletarischen Kinder nicht mehr anzutreffen seien. Dort werde den Kindern die Möglichkeit gegeben, Schulen zu besuchen, Theater zu spielen oder Sport zu treiben. Unterstützt wurden diese Äußerungen noch durch Berichte der Kinder, die 1934 aus Österreich in die UdSSR geflohen waren, oder durch Artikel sowjetischer Jungpioniere. Mit diesen verklärenden Artikeln wollte die Kinder-AIZ Berichten in bürgerlichen oder nationalsozialistischen (Kinder-) Zeitschriften Paroli bieten, in denen die Sowjetunion als ein Land des Elends, des Bürgerkrieges und des Hungers angegriffen wurde. So schreiben beispielsweise die Pioniere aus dem Ural in einem Brief an die Kinder-AIZ: Die Partei und die Regierung sorgen aufs beste fiir uns. Wir haben schöne und geräumige Schulen, Klubs, Kino-Theater und Bibliotheken in den Städten und Kollektivwirtschaften.'” Ein zweiter Brief in derselben Nummer der Kinder-AIZ stammte aus einem ‚bürgerlichen’ Land und sollte zeigen, „wie heute noch in der bürgerlichen Schule gegen die Sowjetunion 40 gehetzt wird.“'’ Der Briefschreiber — ein Schüler — verteidigte die Sowjetunion in der Klasse: Aber ich sagte den Kindern, daß alles nicht wahr ist, was der Lehrer erzählt hat. Daß Rußland die größte Industrie der Welt baut! Daß man dort, wo man Wälder gerodet hat, Dörfer, Städte und Fabriken erbaut hat. Und dann sagte ich den Kindern, der Herr Lehrer soll lieber über Deutschland erzählen, wie dort und nicht in Rußland die deutschen Arbeiter armselig leben müssen. |...] Und wie es jetzt in Dollfuß-Österreich zugeht.‘ Das Thema Schule war ein weiterer Diskussionsgegenstand. Gegenübergestellt wurden die unterschiedlichen Schulmodelle der Sowjetunion und der kapitalistischen Länder, wo die Kinder geschlagen würden, die Lehrer autoritäre Persönlichkeiten seien, die nicht auf die Arbeiterkinder, die neben der Schule hart arbeiten müßten, Rücksicht nähmen, während in der Sowjetunion die Lehrer Freunde der Kinder seien - ein Artikel dazu trägt den Titel Der Lehrer unser Freund" — und die Kinder der Arbeiter die Möglichkeit, etwas zu lernen, bekämen. Das Thema Exil wurde anhand der eingeschickten Kinderbriefe von den exilierten Kindern selbst besprochen. Die Kinder wurden aufgerufen, für das Emigrantenheim in PragStrasnile zu spenden. Die katastrophalen Zustände in diesem Emigrantenheim schilderten nicht nur Artikel der Kinder-AIZ und später die Kinderseiten der V/, sondern auch Aussagen exilierter Erwachsener - beispielsweise von Alice Rühle-Gerstel und Henry Jacoby: Ich [Alice Riihle-Gerstel — J.M.] war im Straschnitzer Emigrantenheim, wo 110 Genossen mit Kind und Kegel in graplichem Milieu hausen, wie im Zwischendeck eines Totenschiffes in einer alten Fabrik zusammengepfercht, mit 100 Ke. pro Kopf pro Monat Subsistenz, vielen noch kranken und verwundeten Konzentrationslager-Entronnenen, kurz grauenvoll.' Die Kinder sammelten Geld, Spielsachen und Biicher oder schrieben Briefe an exilierte Kinder: „EDGAR FÄRBER: Die Bücher für die Strasnicer Kinder und auch der Brief an sie wurden befördert. Vielen Dank, auch im Namen der Kinder!“ Überhaupt wurde bei jeder Gelegenheit der Gemeinschaftssinn hevorgehoben." Immer wieder rief die Kinder-AIZ die Kinder zu Spenden auf, damit Kinder im NS-Deutschland die Kinder-AIZ erhalten könnten. In der Kinder-AIZ vom 31.8. 1933 antwortete die Redaktion der Kinder-AIZ dem Mädchen Elli, das seine Milchkarte spenden wollte, „damit ein Kind in Deutschland die AIZ bekommt‘: LIEBE ELLI, Du hast den anderen AIZ-Kindern ein schönes Beispiel von Solidarität gegeben. Das soll aber nicht heißen, daß wir wollen, daß unsere andern AIZ-Kinder dasselbe tun wie Du: daß sie von dem Wenigen, das sie zu essen bekommen, noch etwas sparen. Wir schicken Dir auch Deine Milchkarte zurück, denn wer kämpfen will, muß seinen Körper gesund halten, besonders, wenn er noch so jung ist wie Du. Sonst kann er später nicht mehr mitkämpfen, und dann war alle Solidarität vergebens. Und Du willst doch später noch recht, recht kräftig mitkämpfen? Aber denke mal darüber nach — zusammen mit allen andern AIZ-Kindern — ob es nicht noch andere Möglichkeiten gibt, um den Kindern in Hitlerdeutschland Eure Solidarität zu beweisen.” Überhaupt bildeten die Briefe der Kinder einen wichtigen Bestandteil der Kinderseiten der AIZ. Sie konnten alle abgedruckt werden, wurden aber in der Rubrik Kinderpost beant