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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Maut (4-7) AM ace At: nr = tn _— " Türo — oe Jah Ma af : . Choie vite Dyzonf i + Ansprache einen religiösen Tonfall anschlug: er sei mitschuldig an Hitlers Aufstieg geworden, weil er nicht Gott gesucht habe (!), verließ Eisler auffällig laut den Saal, weil ihm „persönlich speiübel wurde“, bzw., wie Brecht es in seinem Arbeitsjournal ausdrückte, weil er „die irreligiösen Gefühle der meisten Feiernden“ verletzt sah." Die Tatsache, daß jüdisch-religiöse Themen und Zusammenhänge im einen Fall — im Schaffen Hanns Eislers — praktisch keine Rolle spielten, während sie im anderen Fall — im Werkver zeichnis Paul Dessaus - einen erheblichen Raum einnehmen, läßt sich meines Erachtens also am ehesten mit der unterschiedlichen Sozialisation der beiden Komponisten erklären. Von Dessau gibt es eine ganze Reihe von Vokalwerken in hebräischer oder englischer Sprache, die direkt für den Gebrauch in der Synagoge be stimmt sind. Eine zweite Gruppe von Werken — darunter das Volksoratorium Hagadah - kann als jüdisch-geistliche Musik ohne direkte liturgische Funktion klassifiziert werden. Für die erste Gruppe, die synagogale Gebrauchsmusik, möge das Sch’ma Jisroel — Höre Israel! als Beispiel stehen. Es ist für Kantor (Tenor) Solo, gemischten Chor und Orgel gesetzt. Dessau schrieb das Stück 1943 für den Kantor David Putterman und dessen Chor an der Park Avenue Synagoge in New York.' Der liturgische Ort des Sch’ma Jisroel betrifft das zentrale Geschehen des jüdischen Gottesdienstes, das Glaubensbekenntnis „Höre, Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig!“ mit abschgeviertels entspricht recht genau Dessaus Anhänglichkeit an den Vater und - nach dessen Tod 1923 — der (leider vergeblichen) Fürsorge für die Mutter. Dem kleinbürgerlichen Bewußtsein der Familien längst entwachsen, konnten weder Brahms noch Dessau es über sich bringen, gegen die unreflektierte Frömmigkeit der Eltern anzugehen. Für Brahms war die Bibel ein Dokument der Weltliteratur, also eine Quelle der Erkenntnis und nicht des Glaubens. Dessau wird nicht anders gedacht haben. Aus diesem durch Aufklärung gewonnenen Selbstbewußtsein resultierte aber weder bei Brahms noch bei Dessau ein aufklärerischer Impuls oder gar ein Unmut gegen die Eltern und die kleinen Leute überhaupt. Sie hätten es nicht ertragen, den Eltern das Gefühl zu vermitteln, von ihren gebildeten Söhnen abgehängt zu werden. Die Religion war ihnen abhanden gekommen, nicht aber das Verständnis für die Religiosität anderer. Ganz anders bei Eisler. Er las schon als Schüler Marx und Engels und schloß sich linken atheistischen Gruppierungen an.!! Sein Vater war ein „linksliberaler Neukantianer“’, dem nicht Glaube noch Aberglaube ausgetrieben werden mußte. Es gibt eine gut verbürgte Anekdote, die Eislers aggressive AntiReligiosität dokumentiert. Als Eisler 1943 in Los Angeles zusammen mit Brecht, Feuchtwanger, Steuermann, Heinrich Mann und manch anderen an einer Feier zum 65. Geburtstag von Alfred Döblin teilnahm und der Jubilar in seiner 44 Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig“. Das Sch’ma Jisroel steht in A-Moll mit offenem Schluß auf der V. Stufe (E-Dur). Das kurze, 39 Takte umfassende Stück ist sehr wirkungsvoll auf das im strahlenden ff ausklingende Ende hin komponiert. Von dieser Art sind mehrere andere Vokalsätze, die Dessau entweder für den Emanuel Tempel oder die Park Avenue Synagoge in New York geschrieben hat, so das Wajechulu für Männerchor a cappella bzw. für Bariton und Orgel und das Hawel Hawalim für gemischten Chor und Orgel oder Klavier von 1939; der 23. Psalm (“Der Herr ist mein Hirte“) für Baß und Orgel oder Klavier und ein Bor’chu (“Lobet den Ewigen, den Hochgelobten!“) für Kantor (Tenor) Solo, gemischten Chor und Orgel von 1940/41; aus der Zeit in Los Angeles (seit 1943) stammen das Olenu (in Englisch) und das Boruch (Ovos). Dazu kommt noch ein Adon Olam für Kantor (Tenor) Solo mit Männerchor und 18 Blasinstrumenten sowie vier Pauken, großer Trommel mit Becken, Orgel und Kontrabässen, das vor der Exilzeit (1927 in Berlin) komponiert wurde und dessen Anlaß unbekannt ist.'° Das wichtigste Werk der Gruppe mit jüdisch-geistlichen Kompositionen ohne direkte liturgische Funktion ist zweifellos das Oratorium Hagadah. Das abendfüllende „scenische Oratorium für Chor, Kinderchor, Soli und Orchester“ entstand von 1934 bis 1936 in Paris. Auf Initiative Dessaus” richtete Max Brod ein Libretto ein, das im wesentlichen auf dem Buch