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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT „Hagadah“ (Erzählung), fußt und dessen hebräische ala Fassung von dem Prager Hebraisten Georg Mor- Vole dechai Langer erstellt wurde.'* Das Buch teilt Organisation und Inhalt der religiösen Handlungen im Kreis der Familien am Seder-Abend, dem Vor- Ca abend zum Pessach-Fest, mit. Im Zentrum steht die . st } ant Erzählung vom Auszug Israels aus Ägypten. Dieses Sujet, das die Befreiung des jüdischen Volkes aus der (Kul) Gefangenschaft zum Inhalt hat, spiegelte die Hoffnungen der im Exil lebenden Juden auf ein Ende des Naziterrors wieder. Das Stück ist in einer überwiegend einfachen und volkstümlichen musikalischen Sprache gehalten. Namentlich die Chorpartien sind, wenn nicht im unisonen, so doch im homophonen, allenfalls polyphon aufgelockerten Satz gehalten und von geübten Laienchören darstellbar. Solisten und Orchester haben schwerere Aufgaben zu erfüllen. Insgesamt ist der benötigte Apparat sehr groß. Dies wird letztlich der Grund dafür gewesen sein, daß trotz verschiedener Interessenten in Frankfurt/Main, Berlin, New York und Palästina — allen voran Hans Wilhelm (William) Steinberg und Kurt Singer vom Jüdischen Kulturbund in Deutschland — und trotz eines 1936 im Wiener Jibneh-Verlag gedruckten Klavierauszugs eine Aufführung zunächst nicht zustandekam.'” Yas Kur Abe Vo dew (ato Hanekaf Nicht alle Vertonungen von alttestamentarischen (kdam) Texten müssen auf jüdische Kontexte verweisen. So könnten die Psalmvertonungen, die Dessau 1926 und 1927 in Wiesbaden schrieb, sehr wohl auch für evangelische Gottesdienste oder Abendmusiken gedacht gewesen sein. Dessau hatte 1924 die Schauspielerin Gudrun Kabisch geheiratet, die aus einer christlichen Familie stammte. Ihre im Januar 1926 in Wiesbaden geborene Tochter Eva wurde getauft (und später, in New York, auch konfirmiert)’'. Für welchen Anlaß Dessau in Wiesbaden den Psalm Nr. 62 vertonte, ist nicht bekannt. Das auch musikalisch ergiebige Stück kann dem Genre freier Sakralmusik zugeordnet werden, wobei der Kontext zwischen christlicher und jüdischer Tradition zu bestimmen wäre. Drei der von Dessau vertonten Psalmen künden von der Not des Volkes Israel und scheinen aufgrund der Entstehungszeiten (zwischen 1930 und 1940) politisch motiviert zu sein. Der 1930 komponierte 13. Psalm (,‚Herr, wie lange willst du mein so gar vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?“) ist fiir vierstimmig gemischten Chor a cappella gesetzt. Inhaltlich handelt es sich beim 13. Psalm ganz explizit um ein Klagelied, in dem die Not angesichts übermächtiger Feinde artikuliert wird. Dieser Reflex auf die bedrohlichen politischen Veränderungen verstärkt sich noch im 3. Psalm für Alt, Violine, Viola und Violoncello („Ach Herr, wie sind meiner Feinde so viel“), den Dessau im Juni 1933 unmittelbar vor seiner Flucht nach Paris schrieb. Der 126. Psalm für Bariton und Orgel mit der häufig vertonten Textstelle „Die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten“, den Dessau 1940 in New York komponierte, kann als Exilkomposition im spezifischen Sinn angesprochen werden” und hat insofern — nicht hinsichtlich des künstlerischen Anspruchs bzw. der soziokulturellen Funktion! — einen ähnlichen Stellenwert wie die Hagadah von 1936. ORPHEUS TRUST esltuiti Bars -Solı toy, ’ (d: 9) anttsiastese | v ge Ada. avn — a-ba.y — mM oda - fen 4 4 FR ka Ara» to yer Hagadah, Autograph des Klavierauszugs”, aus dem Schlußabschnitt die Zeile „Nächstes Jahr in Jerusalem“ Folgt man dem Definitionsvorschlag der Arbeitsgruppe Exilmusik an der Universität Hamburg, wie sie im Internet verfügbar ist”, muß das Thema „Musik im Exil“ sehr weit gefaßt werden: „Since Greek antiquity the term exile has meant the expulsion from one’s native land, and thereby the deprivation of one’s rights. Every case of exile is associated with persecution initiated by those in power of a state. The authorities determine who will be persecuted and who will be tolerated. In the case of the Nazi dictatorship, there were three main causes of persecution: the Nazi-,Rassegesetze’, political dissidence and ideological or aesthetical ,Entartung’. The many forms of persecution were diverse: stigmatization, deprivation of civil rights, ban of profession, expropriation, ghettoisation, imprisonment, deportation, assassination. The consequence of all forms of persecution is exclusion. Exclusion and exile are nearly synonymous. Therefore, every form of persecution can be understood as exile in a broader sense. Exile in a narrower sense means the (successful) flight into another country. The term exile is to be favored over the term emigration. You can choose to emigrate, but you are forced into exile. Music in exile as a subject of research refers to the term exile in a broader sen45