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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Am schlimmsten empfanden viele Exilierte, daß man sie in der alten Heimat so schnell vergaß — wer kennt heute etwa noch die Sopranistin Gitta Alpär, die zusammen mit Richard Tauber einst der Operettenstar Berlins war. Oder die in Wien geborene Erika Fox, heute eine der bekanntesten modernen Komponistinnen Großbritanniens, die auf dem Kontinent gänzlich unbekannt ist. Oder man denke an Pia Gilbert, heute Professorin für Komposition an der renommierten Juilliard School in New York, die ebenfalls kaum bekannt ist. Und doch hat sie, Mitbegründerin des „Arnold Schoenberg Institute“, deren Werke beim Verlag C. F. Peters in New York publiziert werden, mit ihrem kompositorischen Engagement in dem Bereich Tanz und Tanztheater die Entstehung und Entwicklung entsprechender Fachbereiche an amerikanischen Universitäten maßgeblich gefördert, wie jüngst bekannt wurde. Zahlreiche engagierte Arbeiten haben sich in den vergangenen vier, fünf Jahren mit dem Thema Exilmusik, mit Leben, Wirken und Nachwirken von verfemten, jüdischen oder aus anderen Gründen verfolgten Künstlern beschäftigt, etwa Friedrich Geiger und Thomas Schäfer mit Exilmusik. Komposition während der NS-Zeit, Jutta Raab-Hansen mit NS-verfolgte Musiker in England, Horst Weber mit Musik in der Emigration oder Erik Levi mit Music in the Third Reich und viele andere. Sie alle haben Grundlagenforschung betrieben, auf der die in dem vorliegenden neuen Buch der „Arbeitsgruppe Exilmusik“ versammelten biographischen Essays fußen. Behandelt werden hier von verschiedenen Autorinnnen und Autoren der Forschungsgruppe die Biographien von Lena Stein-Schneider, Rosy Geiger-Kullmann, Rosy Wertheim, Eva Hauptmann, Alma Rosé, Cissy Kraner und Vally Weigl — der übrigens jüngst in Wien ein mehrtägiges Symposium gewidmet war, dessen Forschungsergebnisse in eine neue Auflage einfließen könnten. Die einzelnen Künstlerinnen arbeiteten im Exil als Instrumentalistin, Sängerin, Komponistin, Musikschriftstellerin, Musikwissenschaftlerin und Verlagsleiterin, Kabarettistin bzw. Diseuse und Musiktherapeutin. Zwischen die Essays, die im Umfang je nach Person zwischen fünf und fünfundzwanzig Seiten ausgearbeitet sind, haben die Herausgeber aufschlußreiche Zeitdokumente gesetzt, etwa das Ermächtigungsgesetz von 1933, die Anordnung zum Boykott gegen die jüdischen Geschäfte von 1933, einen Artikel zu den Bücherverbrennungen von 1933. Außerdem werden die Artikel recht gut bebildert, wenngleich die Qualität an der Historizität der Dokumente zu messen ist. In jeder der Lebensdarstellungen wird der Bruch der eigenen künstlerischen Karriere deutlich herausgearbeitet, der durch den Beginn der Naziherrschaft erfolgte, wie überhaupt die Veränderungen, die aus der nationalsozialistischen Verfolgung für Leben und Schaffen der Frauen — auch über das Jahr 1945 hinaus - resultierten. Es werden Verfolgungsarten benannt, der Internierung in Lagern nachgegangen sowie der Neubeginn oder auch die Fortsetzung der musikalischen Laufbahn im jeweiligen Exilland betrachtet. Am meisten beachtenswert und nachdenkenswert ist wohl die Tatsache, daß in den meisten Fällen das Exil mit der Befreiung von den Nazis keineswegs beendet war. Das in mühevoller Kleinarbeit hinzugezogene Material aus internationalen Archiven und Bibliotheken, das — so Peri Arndt im Nachwort — keinesfalls ohne Schwierigkeiten erhältlich gewesen war, zeigt, daß in den meisten Fällen die Bemühungen um Wiedergutmachung recht erfolglos blieben. Man liest von mit Anwälten angestrengten Rückerstattungsverfahren, von entwürdigenden Besuchen der Betroffenen auf Wiedergutmachungsämtern in Deutschland, aber auch von nachlassendem Interesse am künstlerischen Werk der Emigrierten, sei es von Seiten nichtjiidischer oder sogar jiidischer Vereinigungen. Auf der anderen Seite, so hat die Arbeitsgruppe am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg herausgefunden, die sich mit dem Projekt Exilmusik bereits seit 1997 befasst, hat die erzwungene Flucht bei einigen Verfolgten sogar Karrieren erlaubt, die in ihren Herkunftsländern in dieser Form nicht möglich gewesen wären. Doch auch an ihnen hatte Deutschland nach dem Krieg kaum Interesse, was sicherlich nicht nur daran lag, daß die meisten nicht aus dem Exil zurückkehrten. Das wichtigste Verdienst der Publikation ist es wohl, das Leben und Werk der Musikerinnen unter frauenspezifischem Blickwinkel in die Erforschung des Musiklebens während des Dritten Reichs und im Exil einzubeziehen. Daran gilt es anzuknüpfen. Beate Hennenberg Arbeitsgruppe Exilmusik Hamburg (Hg.): Lebenswege von Musikerinnen im ‚Dritten Reich‘ und im Exil. Hamburg: von Bockel Verlag 2000. 415 S. DM 48,- (Musik im ‚Dritten Reich‘ und im Exil —- Schriftenreihe. Hg. von Hanns-Werner Heister und Peter Petersen. Bd. 8). Homepage der Herausgeber: www.exilmusik.de Veranstaltungen und Koproduktionen des Orpheus Trust im Frühjahr 2002 14. Jänner, 19.30 Uhr, Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien: OrpheusKonzertreihe MIT LEICHTEM GEPÄCK. Gerhard Bronner präsentiert junge Stars mit vergessener Musik: Ernst Schön — Wien, Kuala Lumpur, New York. Lebensstationen von der Oper zum Jazz, von der Kammermusik zum Wienerlied. 24. Jänner, 19.30 Uhr, ORF RadioKulturhaus, Argentinierstr. 30a, 1040 Wien: Im Rahmen des Festivals EIN FEST MIT FLÜGELN u.a. Uraufführung: Karl WeiglKlavierkonzert für die linke Hand (1924), Paul Wittgenstein gewidmet. RSO, Dirigent Horia Andreescu, Klavier Florian Krumpöck. — Mit Unterstützung des Fritz Spielmann Fonds des Orpheus Trust. 20. Februar, 18 Uhr Literaturhaus, Zieglergasse 26a, 1070 Wien: Generalversammlung des Vereins ORPHEUS TRUST. AnschlieRend, 20 Uhr: Vorführung Helene MaimannFilm „Ein Stern fällt - Die Joseph Schmidt Story“. 6. April, 19.30 Uhr, Haus der Musik: Orpheus-Konzertreihe MIT LEICHTEM GEPÄCK. Gerhard Bronner präsentiert Junge Stars mit vergessener Musik: Prag zwischen den Zeilen. Ernsteres und Leichteres aus Musik und Literatur. Orpheus Trust — Verein zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst A-1070 Wien, Sigmundsgasse 11/13. Tel. u. Fax +53 +1 526 80 92. E-mail: office@orpheustrust.at. Homepage: http://www.orpheustrust.at PN VEREIN ZUR ERFORSCHUNG UND VERÖFFENTLICHUNG VERTRIEBENER UND VERGESSENER KUNST 49