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Hazel Rosenstrauch Geburtstagsgeschenk für das Jüdische Museum in Berlin Nur die Gestalter und einige wenige Mitarbeiter wissen, was bei der feierlichen Eröffnung des Jüdischen Museums zu sehen sein wird. Jüdisch groß geschrieben. Im Laufe der langen und dem Gegenstand angemessen komplizierten Vorgeschichte ist soviel gemotzt, gemeckert und spekuliert worden, daß sich der aus den USA importierte Direktor und sein aus Neuseeland importierter Projektdirektor zu höchster Geheimhaltung gezwungen sahen. Man weiß nur, was Blumenthal versprochen hat: daß dieses Museum besucher- und familienfreundlich und das größte Jüdische Museum Europas sein wird. Die Eröffnung „wird ein Ereignis von internationaler Bedeutung“, mit Galadiner fiir 850 Gästen aus der globalen Oberliga. Erst nach dem 9. September wird sich weisen, wie sehr es ein Deutsches Jüdisches Museum - deutsch groß geschrieben — wird. Die Fortschritte in dieser Richtung waren gewaltig. Immerhin mutierte das Projekt von einer Unterabteilung des Berlin-Museums zum bundesmittelfinanzierten Museum für die gesamte deutsch-jüdische Geschichte, 2000 Jahre und alle jemals deutschen Lande sollen vorkommen (man darf gespannt sein, wieviel von Polen dazugehört). Auch die seinerzeit aufregende Frage, wie Orthodoxe, Zionisten, Linke, Rechte und Liberale, Israelis, Konvertite, jüdische Amerikaner, russische Juden und Assimilierte auf einen jüdischen Nenner gebracht werden, erübrigt sich inzwischen, da Blumenthal versprochen hat, ein Museum primär für Deutsche, nicht für Juden zu machen (wären ja auch zu wenige!). Die Eröffnung ist Grund zur Freude und zur Trauer. Freude, weil es endlich wirklich ein Jüdisches Museum in Berlin geben wird, nicht nur die Idee, nicht nur das Gebäude, nicht nur einen Keller. Trauer ist angebracht, weil die vielen heißen Diskussionen, die Streits und Auseinandersetzungen aufhören könnten. Michael Blumenthal ist ein Geschäftsmann und ein Pragmatiker, der als eine Art ideeller Gesamtjude nach Berlin geholt wurde. Natürlich muß er, um viele Leute ins Haus zu locken, einen gewissen Konsens herstellen und natürlich ist die Errichtung und Finanzierung des Museums ein Akt der Staatsräson; seine Existenz bedeutet einen Quantensprung im langen Prozeß der Befriedung von oben. Ein interessantes Dilemma Wie immer die Geschichte der Juden in Deutschland, die Jüdischkeit und die deutschjüdischen Verknotungen dargestellt werden, die Ausstellung beherbergt ein interessantes 54 Dilemma: Je mehr BesucherInnen, Kritikern und Berufskritikastern, Berufsjuden und -jüdinnen, historisch Unbeleckten, gewöhnlichen Neugierigen, Schülern, Konvertiten, Antiund Philosemiten die Ausstellung gefallen wird, desto weniger wird sie den Objekten dieses Unternehmens gerecht werden. Denn diese wichtigen Juden, die so wichtig sind, daß ihnen ein ganzes, teures Museum gewidmet wird, waren in allen Phasen ihres Lebens in Deutschland stets mit Mißtrauen, Haß oder bestenfalls wohlwollendem Pragmatismus betrachtete Außenseiter. Vor ihrer Ausrottung hat sie niemand geliebt, nicht einmal sie sich selbst. Die Juden sind unser Glück Ohne die vielen toten Juden gäbe es kein Vereintes Europa, ohne Lehre aus der schrecklichen Vergangenheit keinen deutschen Einsatz am Balkan, ohne Vergangenheitsbewältigung kein staatlich finanziertes Jüdisches Museum; abgesehen von all den Büchern, Ausstellungen und Filmen, Kongressen, Denkmäler, Inszenierungen, wissenschaftlichen und pädagogischen Instituten. Wie die Antisemiten immer schon gesagt haben: ‚die’ Juden beherrschen das geistige Leben Deutschlands — nunmehr allerdings primär als Tote. Noch die Deutungen des Furors, mit dem das Thema in den letzten Jahren den Markt (keineswegs nur in Deutschland) erobert hat, halten das Gewerbe in Gang. Man wünscht dem Neugeborenen eine böse Fee, die etwas Gift in die Geschichtshäppchen streut, damit diese größte und prächtigste und animierend-interaktive Ausstellung nicht zu konsensuell wird. Vielleicht erstarren ja die Gäste des Galadiners, wenn sie erfahren, daß der erstaunliche Erfolg all der über Juden arbeitenden, schreibenden, filmenden und forschenden Gojim (und einiger Berufsjuden, die in Deutschland nicht leben könnten, wenn sie nicht ihr Judentum verkauften) die postfaschistische Variante einer noch vieles versprechenden deutsch-jüdischen Symbiose aus business und tiefem Gefühl ist: Juden, Holocaust, Nazizeit sind offenbar eines der wenigen verbliebenen Referenzsysteme, das noch eine moralisch und rational begründbare sowie emotional stabilisierende Orientierung gibt. Das ist viel im Zeitalter aufgelöster Werte, wo nichts sonst die Welt im Innersten zusammenhält; es ist Teil einer schönen Paradoxie: Jene Moderne, in der sich alle Werte relativieren, wird dank der Juden — Symbol für die Ambivalenz der Moderne — noch einmal aufgehalten. Als neuer Höhepunkt der „Zweitvernutzung der Juden“ bietet ihr Schicksal einen letzten Ort für Sinn und Moral... Shoabiz In der Aufregung, mit der die Kommerzialisierung eines letzten heiligen Themas beklagt wird, steckt noch der Traum von echten Gefühlen. Die Authentizität des Völkermords überbietet das tägliche Bombardement mit fiktionalen und echten Gräueln in Bild, Ton und Druck. Und es hat ‚mit uns zu tun’. Der Kapitalismus verwandelt eben nicht nur, wie Marx, der vergessene Hund, vor über 150 Jahren geschrieben hat, „alle idyllischen patriarchalischen Verhältnisse in seelenlose bare Zahlung“. Er verwandelt auch die unidyllischen, grausamen, echten Gefühle in konsumierbare Ware. Es gibt bekanntlich keine Alternative! Die Eröffnung wird das Feuerwerk der Argumente noch einmal animieren, es wird Stoff bieten für Kritik, Besserwisserei, Berichtigungen, neue Forschungen, Beweise und Gegenbeweise, Debatten von Profis für Profis, die sich profilieren. Wie die Nachkommen der Heimatvertriebenen beim Volkskundeinstitut ihre Bräuche und Trachten kennengelernt haben, wird das Jüdische Museum zur Anlaufstelle für eine künstlich befruchtete jüdische Identität werden — für Juden, die von ihrer Tradition abgeschnitten waren, oder für Deutsche, die sich eine jüdische Tradition aneignen wollen; sie wird vielleicht ein bisserl virtuell, um ein paar Schattierungen, Varianten und Widersprüche ärmer als die nicht rekonstruierbare Realität, aber von einer seriösen und vor allem ‚zuständigen’ Institution beglaubigt sein. Wir wünschen dem Jüdischen Museum und uns, daß daneben, außerhalb, am Rande Orte entstehen, an denen es zu wirklichen Gesprächen kommt, über das Verhältnis zur deutschen Geschichte und die Folgen nicht nur für das jüdische, sondern das deutsche Selbstverständnis im Angesicht einer Moderne, die erst erlernt werden muß — ohne jene Juden, die in Deutschland als assimilierte, linke, unangepaßte unjüdische Juden ihr Unwesen getrieben hatten. Und wir wünschen ihm und uns, daß die Fee ihre magischen Kräfte nutzt, damit das Kind nicht in einen tausendjährigen Schlaf fällt, damit sich die Diskussionen immer wieder neu entzünden, die jüdische und vor allem die deutsche Frage nicht musealisiert, das Museum keine Abstellkammer fürs gute Gewissen wird und niemand endgültig definiert, was jüdische Identität sei. Dieser Beitrag, ein Resümee der vorangegangenen Debatten, erschien zuerst gekürzt in der Zeitschrift „Freitag“ (Berlin) am 7.9. 2001, vor der Eröffnung des Museums (am 9.9. 2001) und vor der Besichtigung der Ausstellung durch die Autorin.