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Viktoria Hertling Über meine Arbeit am Center for Holocaust, Genocide & Peace Studies an der University of Nevada, Reno 1. Wenn ich mich als Leiterin des Center for Holocaust, Genocide & Peace Studies (Center for HGPS) an der University of Nevada, Reno vorstelle, begegne ich bisweilen einem gewissen Erstaunen. Das liegt nicht nur an unserem etwas langen Namen, sondern auch an der Verknüpfung der Begriffe. „Holocaust und Völkermord. Das ist mir schon klar“, sagen manche, „doch was hat das mit Frieden zu tun?“ Dieser Einwand ist verständlich. Doch abgesehen von der Kombination mit Peace Studies galt bis vor wenigen Jahren selbst die Verknüpfung von Holocaust Studies mit Genocide Studies keineswegs als selbstverständlich. Die Reihenfolge der beiden ersten Begriffe unseres Namens — wir hatten uns vor sieben Jahren bei der Gründung unseres Instituts allein aus sprachlichem Usus dazu entschieden — erweckt zudem den Anschein, als handle es sich bei der Ermordung von fünf Millionen Nichtjuden und sechs Millionen Juden nicht um einen Genozid; respektive umgekehrt, daß Völkermord - eigentlich die übergreifende Kategorie — den Holocaust nicht einschließe. In unserer Gründungserklärung vom Juni 1994 bekennen wir uns nachdrücklich zu einem umfassenden Begriff von Völkermord im Sinne der Völkermordkonvention der UNO aus dem Jahr 1948. Gleichzeitig betonen wir die Notwendigkeit zur Festigung der Rechte aller Menschen und deren Anrecht auf ein Leben in Geborgenheit, sowie frei von Armut und Erniedrigung. Aufgrund der weltweit zunehmenden Eskalation menschenverachtender Geschehen betrachten wir eine solche Verbindung als vollauf gerechtfertigt. Hier der Wortlaut unseres HGPS-Grundsatzprogramms: Over the past decade we have witnessed an increase in genocidal attacks and a global escalation of intolerance and violence. Mass killings, ethnic „cleansings“, and assaults on humanity — in Rwanda, Bosnia, East Timor, and elsewhere — are terrifying reminders of the extermination of European Jewry, Romani, prisoners of war, homosexuals, and people with different political and religious beliefs during World War II. The Center for Holocaust, Genocide & Peace Studies promotes analysis of the causes of the Holocaust and other episodes of genocide in modern society. It seeks to learn from the past in order to find solutions to these complex issues. Moreover, it focuses on developing strategies for a more peaceful future. The Center also seeks to impart to students, faculty, and the public the importance of awareness and critical thinking. It fosters a humanistic climate that promotes conflict resolution, tolerance, interventions, and the formulation of ethical theories of human relationships. It encourages concerned individuals to consider themselves as emissaries for peace and speak out against all expressions of hateful extremism in their communities and elsewhere. Vor allem in den USA befaßten sich bis in die neunziger Jahre hinein Holocaustforscher fast ausschlieBlich mit dem Schicksal jiidischer Opfer. Trotz der Fragestellungen, wie Faschismus und Menschenverfolgungen zu erklaren seien, oder was die auslésenden Momente dazu gewesen sein könnten’, stand nahezu immer die Frage der „Einzigartigkeit“ (uniqueness) der „Vergleichbarkeit“ (comparability oder universality) des Holocaust im Mittelpunkt der Diskussion gegenüber. Diese Hypothese der „Einzigartigkeit“ der Judenverfolgung wurde in einigen Beiträgen des 1996 publizierten Buches /s the Holocaust Unique? Perspective on Comparative Genocide’ grundsätzlich in Frage gestellt.‘ Israel Charny, der Leiter des Institute on the Holocaust and Genocide in Jerusalem, bezog unmißverständlich Position. Er betont, daß nicht nur die Leiden jüdischer Opfer, sondern auch die Schmerzen nichtjüdischer Opfer berücksichtigt werden sollten: I believe that all cases of genocide are similar and different, special and unique, and appropriately subject to comparative analysis. [...] J object to any statement that in any way minimizes the significance or sacredness of any people’s losses, even when the understandable and legitimate purpose is to honor one’s own people’s tragedy, or even the specific tragedy of any other given people that one is respectfully researching or is committed to remembering. I also object to scholars who transform the material of genocide scholarship into definitional arguments about what is or what is not ,genocide’.° Als im Jahr 1994 unser Center for HGPS gegründet wurde, waren derartige Verlautbarungen rar. Selbst die namhafte Zeitschrift Holocaust and Genocide Studies tat sich schwer damit, den Opfern anderer Massenmorde den entsprechenden Platz einzuräumen. Bis zum Jahr 1998 — so der Rabbiner und Genozidforscher Steven L. Jacobs in unserer Zeitschrift CenterNews — hatte das Fachorgan 208 wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht, von denen sich 189 mit der Shoa beschäftigten und lediglich 19 Aufsätze „anderen Genoziden“ gewidmet waren. Jacobs plädiert für eine Akzeptanz der Genozidforschung seitens der Holocaustforschung und setzt sich für eine Annäherung der beiden Fachgebiete ein, die letztlich nur von gegenseitigem Nutzen sein könne. Recognizing the complexities of the subjects at hand, the material involved, and the analyses required, we do both a serious disservice in misperceiving ourselves as two ‚armed camps’, arguing for the primacy of one over the lesser inferiority of the other, to the detriment of both.° 1. Als Germanistin und Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt „Exilforschung‘” sind Themen wie „Faschismus“ und „Judenverfolgung“ seit mehr als 20 Jahren Teil meiner Lehre und Veröffentlichungen. Wenn ich — wie bis 1994 — innerhalb der winzigen Deutschabteilung der Universität von Nevada unterrichtete, fand die Zahl der Studierenden leicht um einen Tisch herum Platz. Seit der Gründung des Center for HGPS halte ich meine Lehrveranstaltungen nur noch auf Englisch. Meine überwiegend amerikanischen StudentInnen (es gibt auch eine Reihe ausländischer Studierende) sind gewöhnlich zwischen 18 und 22. Sie kennen den Holocaust meist nur aus Fernsehserien, Filmen und Talkshows. Selbst jüdische StudentInnen oder Kinder von Holocaust-Überlebenden wissen kaum mehr als Gemeinplätze. Für in Amerika Studierende handelt es sich beim Thema „Holocaust“ um ein Ereignis ‚jenseits des Atlantik’, wofür pauschal ‚die Deutschen’ verantwortlich gemacht werden. Zudem verstehen sich die USA als liberators, obwohl die Befreiung von Lagerhäftlingen nicht zu den Kriegszielen gehörte. In dem Moment, wo amerikanische Soldaten auf Lager wie Buchenwald oder Dachau stießen, hielt die Kamera nicht nur den Anblick der ausgemergelten Inhaftierten, sondern auch den Ausdruck des Entsetzens in den Gesichtern der Befreier fest. Wir kennen die Fotos mit den jungen Gls, die fassungslos vor den Bergen von Leichen stehen und später hingebungsvoll Hilfe leisten bei der Pflege von Schwachen und Kranken. Bekannt ist auch, daß General Dwight D. Eisenhower — damaliger Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte — es für seine Pflicht ansah, Zeugnis von den Zuständen in den Lagern abzulegen, damit niemand später behaupten könnte, das Ganze sei nicht wahr.‘ Doch wenige — meine StudentInnen nicht ausgeschlossen — kennen die unrühmliche Kehrseite der Medaille, daß nämlich amerikanische Konsulate Tausenden von Juden Einreisevisa verweigerten, und daß man Anfang der vierziger Jahre selbst im Weißen Haus recht genau wußte, was in den Konzentrationslagern geschah, und trotzdem kaum etwas unternahm, um die Todesmaschinerie zu stoppen oder zu zerstören. Die politische Strategie ließ wenig Platz für Moral und für die Rettung von Menschenleben.’ Wenn ich also das Thema „Holocaust“ anschneide, muß ich auch auf die großen, im Namen der USA verübten Verbrechen wie den Sklavenhandel und die Ausrottung der indianischen Bevölkerungen hinweisen. Zwar sind viele dieser Tatsachen grundsätzlich bekannt, doch werden sie in den Köpfen der amerikanischen Bevölkerung nicht als Geno55