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und dann entweder ausschließlich über den Holocaust, oder Völkermord, oder für Menschenrechte oder Frieden. Zu bemerken ist hier auch, daß der Großteil meiner Studenten in Nevada nicht-jüdisch ist, was beweist, daß wir in unserem HGPS-Programm menschheitsgeschichtliche Themen behandeln. Wir sind also kein „jüdisches“ Institut. In den siebziger Jahren, als ich zum erstenmal einen Kurs zum Holocaust unterrichtete, waren „Holocaust Studies“ an den amerikanischen Universitäten und an den Schulen kaum existent. Das hat sich seitdem geändert. Für Lehrer in den Bundesstaaten Kalifornien, Florida, Illinois, New Jersey und New York ist es seit 1995 Pflicht, Unterrichtseinheiten zum Thema „Holocaust“ vorzubereiten. Andere Bundesstaaten, so auch Nevada, besitzen vom jeweiligen Gouverneur ernannte Kommissionen, die teilweise an der entsprechenden Lehrplangestaltung mitarbeiten." Die Kommission für Nevada befindet sich in Las Vegas. Unser Institut leistet trotzdem einen Großteil der Arbeit an den Schulen. Vor drei Jahren erhielt ich eine E-mail von zwei jungen Österreichern mit der höflichen Anfrage, ob sie ihren „Gedenkdienst“ bei uns in Reno ableisten dürften. Das Konzept war mir neu. Das Angebot lautete auf 14 Monate Mitarbeit als Alternative zum obligaten Militärdienst; zudem werde das Ganze vom österreichischen Innenministerium bezahlt. Ich glaubte zu träumen. Doch blitzschnell kam mir eine Idee. Nach entsprechender Ausbildung durch unser Institut könnten fortan die beiden jungen Österreicher die Arbeit an unseren Schulen in Nevada an meiner Stelle übernehmen. Diese schöne Eingebung ist währenddessen zur erfolgreichen Praxis geworden. Inzwischen arbeitet schon die „zweite Generation“ der Gedenkdiener hier in Reno. Was diesen jungen Menschen eventuell an Expertise bezüglich des Holocaust fehlt, machen sie wett durch die Unmittelbarkeit des persönlichen Kontakts. Man darf einfach nicht unterschätzen, welchen Eindruck es auf unsere amerikanischen „kids“ macht, wenn zwei junge Österreicher — kaum älter als sie selbst — davon erzählen, was sie dazu motiviert, an einer HolocaustInstitution zu arbeiten.'” Innerhalb der letzen anderthalb Jahre haben unsere jungen Gedenkdiener zu mehr als 3.500 SchülerInnen in über 120 Schulklassen gesprochen. Im Rahmen der Gesprächsrunden bekommen die SchülerInnen einen kurzen Überblick über die historischen Voraussetzungen des Holocaust, die Auswirkungen des Faschismus auf Österreich in der Zeit nach 1938 und die Nachwirkungen dieser Ereignisse im heutigen Europa. Diese Arbeit mit Schülergruppen (es handelt sich je nach Dauer der Schulstunden um Unterrichtseinheiten oder Gespräche zwischen 45 bis 75 Minuten) erfordert ausgezeichnetes Fachwissen, gutes pädagogisches Gespür und hohe menschliche Reife. Diese Öffentlichkeitsarbeit komplementiert die Aufgaben und Ziele unseres Instituts und wird auch seitens der Universitätsleitung enorm geschätzt. Auch hiesige Zeitungen würdigten wiederholt die Arbeit der jungen Männer und bezeichneten unsere Gedenkdiener häufig als friedensstiftende „Botschafter Österreichs“. Daß unser Center for HGPS so erfolgreich ist, beruht auf einer Kombination von Faktoren. Zu nennen ist ein weitsichtiger Prorektor, der 1994 das ‚grüne Licht’ zur Gründung gab; meine langjährige Erfahrung an der Universität von Nevada; meine Forschungsschwerpunkte „Exilliteratur“ und „Holocaust“; meine 25 Jahre zurückreichende Arbeit innerhalb der amerikanischen Friedensbewegung; die Kooperation wohlwollender KollegInnen hier in Reno; die Volontäre, die immer wieder an unsere Tür klopfen und anfragen, wie sie helfen können; die finanziellen Gönner und Sponsoren, die unsere Arbeit unterstützen; die beiden österreichischen Gedenkdiener, ohne deren technische Expertise wir bezüglich Homepage und unserer Zeitung schlecht dran wären; die ‚schlechten Zeiten’, die der Arbeit unseres Instituts immer neuen Stoff liefern und - last not least — ein gehöriges Maß an „Massel“. IV. Können wir feststellen, ob unsere Arbeit wirklich im Sinne unseres Grundsatzprogrammes Erfolg zeitigt? Oder existieren unsere edlen Verlautbarungen lediglich auf dem Papier? Schaffen wir kritisches Bewußtsein und wirken wir friedensstiftend? Schlägt sich nicht vieles von dem, was uns im Umgang mit Kenntnissen, Wissen und Werten berührt, unter Umständen erst Jahre später nieder? Verflüchtigt sich manches nicht schon bereits im Moment der Rezeption? Und wie ließe sich das alles eruieren? An meiner Universität ist es Vorschrift - und ich empfinde das als glücklichen Zufall - allen Studierenden zum Ende des Semesters die Möglichkeit einer schriftlichen Beurteilung des jeweiligen Kurses zu bieten. Geheim, anonym und wohl wissend, daß wir Professoren erst nach den Prüfungen und einige Wochen später das Geschriebene zu Gesicht bekommen, können die StudentInnen ihre Meinung frei äußern. „Your lectures were rather disturbing,“ heißt es da. „But I cannot imagine how I lived without knowing what has happened to people all over the world. My eyes, ears, and my heart were ripped open with this class.“ Ein andermal heißt es: I never expected what I would get out of this class. [...] I have learnt facts, but I also learnt a different way to think. For years I would cite statistics. Now when I think of the Holocaust, Cambodia, Vietnam, and Rwanda I think of people and not numbers. This became clear to me when I saw the photograph of the little girl burning with Napalm all over her body. Hier zwei weitere Bemerkungen. Your class has given me a new perspective and a desire to learn. I feel more educated and I feel that my narrow mind has begun to open up.“ ,,I honestly can’t begin to tell you how much this class has meant to me and touched me. [...] I will share this knowledge with others. Problems like hate crimes cannot be corrected unless someone stands up and says that this is wrong. I’m tired of being apathetic. I’ve stopped telling racist jokes, and I tell others that I don’t find them funny anymore. Diese wenigen AuBerungen beweisen, daß auch im kleinsten Umkreis die Möglichkeit einer „Kultur des Friedens‘ besteht — vorausgesetzt, wir verlangen sie den jungen Menschen ab. Einer meiner Studenten, Matt Krautscheid, schrieb zum Ende des Frühlingssemesters 2000 folgendes Gedicht. The Real Enemy Bombs are dropped on Kosovo From planes launched in the sea Someone should say that this is wrong Anyone but me The Hutus killed thousands of Tutsis In the savanna their bones still dry Someone should have protected them Anyone but I A generation of Cambodians is dead Their blood on the hands ofthe Khmer Rouge Someone should have stopped the killing field Anyone but me or you All around the world people have died Under rulers bent on totality But tyrants aren’t the ones to blame It’s our own apathy Anmerkungen 1 Weitere Information zur Arbeit des Center for Holocaust, Genocide Peace Studies findet sich auf unserer Homepage: http://www.unr.edu/chgps/blank.htm 2 Das Buch von Ron Rosenbaum ,,Explaining Hitler“ bietet eine Zusammenfassung der wichtigsten Positionen. 3 Is the Holocaust Unique? Perspective on Comparative Genocides. Hg. v. Alan S. Rosenbaum. Boulder, Colorado: Westview Press 1996. 4 Selbstverständlich ist die Diskussion weitaus differenzierter und es gibt noch andere Positionen, die allerdings hier nicht näher vorgestellt werden können. Alle historischen Ereignisse sind in gewissem Maße einzigartig und trotzdem gibt es stets auch Parallelen. Das Buch von Jack Nusan Porter, The Sociology of Genocide (Washington, D.C.: American Sociological Association 1998) geht näher auf diese Problematik ein. Vgl. dazu auch die Thesen von Gunnar Heinsohn: Warum Auschwitz? Hitlers Plan und die Ratlosigkeit der Nachwelt. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 1995. 5 Israel Charny, in: /s the Holocaust Unique? Wie Anm. 3, S. xi. 6 Steven Jacobs, „Holocaust AND Genocide Studies. The Future is Now“. In: CenterNews, Vol. 3, Nr. 2, S. 13. (CenterNews [ISSN 10862374] ist die zweimal im Jahr erscheinende Zeitschrift des Center for Holocaust, Genocide & Peace Studies). 57