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Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend Österreichs und dann auch der Sozialistischen Jugendinternationale brachte. Da er belesen und an Literatur interessiert war, freundeten wir uns an. Peter Strasser fand in Jakob Bindel einen überaus humanen und agilen Verleger für die von meinem Freund Reinhard Federmann und mir geplante und redigierte Anthologie „Stimmen der Gegenwart“, für deren Herausgabe wir Hans Weigel gewannen, sowie für eine Buchreihe von Erstveröffentlichungen junger österreichischer Autorinnen und Autoren. Zusammen mit Peter Strasser gründeten Federmann und ich die „Gesellschaft für die Freiheit der Kultur“, die sich in Vorträgen und Diskussionen mit den rechten und pseudolinken Feinden der Kultur auseinandersetzte. Wir hatten sogar einen vehementen Protest gegen den von Friedrich Torberg und Hans Weigel geforderten Boykott von Bert Brecht an den Wiener Bühnen verfaßt, obwohl wir mit den beiden angesehenen Literaten befreundet waren, weil wir den Standpunkt vertraten, daß man den Kommunismus nicht mit Verboten, also mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen könne. Die Freiheit der Kultur müsse für alle gelten. Ich kann mich nicht erinnern, daß irgendeine Zeitung diesen Protestbrief abgedruckt hat. Aber wir haben ihn geschrieben. Peter Strasser hatte uns, das heißt meinen Freund Reinhard Federmann und mich, für die sozialistische Partei gewonnen. Das geschah folgendermaßen. Eines Tages, ich glaube, das war 1951, kam er zu uns und erzählte, seine Partei mache in diesem Jahr eine große Werbekampagne. Jedes Mitglied solle ein neues Mitglied gewinnen. Da alle seine Freunde und Bekannten schon Parteimitglieder seien, wisse er nicht, wen er anwerben solle. Mit einem Wort, Federmann und ich müßten herhalten und in die Partei eintreten. Wir sagten ihm, wir seien als Schriftsteller Anarchisten oder so etwas Ähnliches und würden die Einheit der Partei nur stören. Wir wollten uns aufkeinen Fall binden. Peter ließ jedoch nicht locker, so daß wir schließlich, mit Vorbehalten natürlich, einwilligten. Reinhard und ich erklärten uns dann zu geheimen Mitgliedern und hatten nicht die Absicht, uns in die Tagespolitik einzumischen. Mir fiel es leichter, mich als geheimes Mitglied zu fühlen, da ich mit meinem vollen bürgerlichen Namen Milutin Doroslovac geführt wurde und den kannte, außer meinem Finanzamt, wirklich niemand. Nach den hoffnungsvollen Anfängen des ersten Nachkriegsjahrzehnts trat in den sechziger Jahren eine gewisse Stagnation ein, weil die Sozialdemokraten es nach und nach aufgaben, sich an kulturellen und intellektuellen Auseinandersetzungen aktiv zu beteiligen. Wie ist es sonst zu erklären, daß sie das Gros ihrer Publikationen einstellten, ihre Verlage und Druckereien verkauften und die Initiative auf diesem Gebiet den anderen überließen? Meine Anthologie „Die Verbannten“, eine Kampfansage an die dumpfe, provinzielle Geisteshaltung der meisten Österreicher, erschien 1963 bei einem ÖVP-nahen Verlag. Sie war meinem früh verstorbenen Freund Peter Strasser gewidmet. Eine erfreuliche Änderung in den Beziehungen zwischen den Sozialdemokraten und den Intellektuellen fand unter Bruno Kreisky statt. Er empfahl uns Schriftstellern, uns zu organisieren, und forderte uns damit geradezu auf, unbequem und aufsässig zu sein, so daß wir für ihn nicht nur Respekt, sondern auch Zuneigung empfanden. Auch meine Freunde Christian Broda, Fred Sinowatz und Franz Vranitzky fanden immer Zeit für ein Gespräch mit unsereinem und trugen viel dazu bei, daß die soziale Außenseiterposition der Schreibenden Österreichs durch eine Reihe von Gesetzesnovellen erträglicher wurde. 12 Angesichts der sogenannten Globalisierung, deren Exponenten dem schrankenlosen Profitstreben huldigen und damit alle in den europäischen Ländern mühsam erkämpften Sozialrechte bedrohen, sowie angesichts der Ausbreitung der rechtsgerichteten, populistischen Bewegungen, die unsere angestammten Freiheiten auszulöschen vorhaben, wäre es höchste Zeit, den Dialog zwischen den aufrechten Sozialdemokraten und den linksliberalen Intellektuellen zu erneuern, damit wir von den vorhersehbaren Ereignissen nicht überrollt und zum alten Eisen degradiert werden. Im Sinne dieses überaus notwendigen Dialogs bedanke ich mich herzlich für den mir zugesprochenen Preis, der den Namen des von mir aufrichtig verehrten Bruno Kreisky trägt, und verabschiede mich mit dem alten Gruß: Freundschaft! An wen soll ich schreiben? An Gott? Karl Fallends Dialog mit ZwangsarbeiterInnen auf der Bühne Am 13. Jänner 2002 wurde An wen soll ich schreiben? An Gott? von Karl Fallend im Landestheater Linz uraufgeführt. Das Auftragswerk des Landestheaters basiert auf einem Buch, das im Böhlau-Verlag, Wien, unter dem Titel NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der „Reichswerke Hermann Göring AG Berlin“ 1938-1945. Band 2: ZwangsarbeiterInnen: (Auto-) Biographische Einsichten unter der Herausgabe von Oliver Rathkolb erschienen ist. Zehntausende ZwangsarbeiterInnen, davon Tausende mit „P“ bzw. „Ost“ gekennzeichnet und Tausende KZ-Häftlinge, zur Nummer entwürdigt, waren massenhaft als Arbeitskräfte zum Aufbau der nationalsozialistischen Kriegsindustrie in Linz eingesetzt. Männer und Frauen, Jugendliche und Kinder aus mehr als zwanzig Nationen mit je eigenen biographischen Geschichten und gebrochenen Lebensentwürfen. Nach Kriegsende, in der wiedergewonnenen Freiheit, war für die meisten das Leiden nicht zu Ende. Bis heute. Karl Fallend suchte das Gespräch mit ZeitzeugInnen, um einzelne Lebensgeschichten, Erlebnisse von einheimischen Betroffenenen und vor allem von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern sowie KZ-Überlebenden der Linzer Hermann-Göring-Werke in Erfahrung zu bringen. Es handelt sich nicht um beliebige Ereignisse eines Lebenslaufes, sondern um tabuisierte, zum Teil extrem traumatisierte Erlebnisse, die über fünfzig Jahre wortlos vergraben wurden und für viele zum ersten Mal Sprache und Gehör fanden. Die Inszenierung von Nikolaus Büchel (Ausstattung: Nikolaus Büchel/Gerti Rindler-Schantl, Musik: Peter Androsch; mit Sigrun Schneggenburger, Daniela Wagner, Gerhard Brössner, Karl Sibelius, Vasilij Sotke) wurde zum Österreichischen Theatertreffen am 30. Mai 2002 in Salzburg eingeladen. Karl Fallend, geboren 1956, ist Universitätsdozent, Psychologe und freiberuflicher Wissenschaftler. Von ihm stammen zahlreiche Publikationen zur Geschichte der Psychoanalyse, Psychologie und der Menschenrechte und über die Folgen des Nationalsozialismus. 1998-2000 forschte er als Mitglied der Historikerkommission zur „Zwangsarbeit am Standort Linz der ehemaligen Hermann-Göring-Werke“. Derzeit wirkt er Gastprofessor am Institut für Psychologie der Universität Innsbruck.