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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Mitleid mit den Söhnen, die ‚Mutter Deutschland’ befleckten, als dem Unerhörten, daß die Arbeiterklasse, die Eisler so gut aus den Zeiten der Weimarer Republik zu kennen glaubte, sich nicht einfach mehr von jenen Tanks losschnallen ließ; daß die „Volksgemeinschaft“ die Klassen im Namen der allseitigen Vernichtung nachhaltig versöhnt hat. In einem Gespräch mit Brecht hatte Eisler einst — so wird überliefert — als Finale der Symphonie eine „große Siegesmusik“ angekündigt, wenn „die deutschen Arbeiter Hitler selbst vertreiben würden [...].““ Der Schock darüber, daß es anders kam, und das Gespenstische, das dadurch die Söhne Deutschlands annahmen, kommt übrigens besonders in einer Aufführung der Symphonie unter Michael Gielen zum Ausdruck. Als Kommentar zu dieser Musik empfehle ich das letzte Gespräch von Hans Bunge mit Eisler („Fragen Sie mehr über Brecht“) — vom August 1962. Darin bekennt Bunge, daß er als Wehrmachtsoffizier in keinerlei Widerspruch zu den Zielen der Nazis stand und einen solchen Widerspruch auch nirgendwo in seinem Regiment wahrgenommen hatte. Eisler, der das fast nicht glauben kann und mit seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg vergleicht, als er mit anderen Kameraden in der Kriegsgegnerschaft einig gewesen war, weiß auf Bunges offenes Eingeständnis immer nur „Das ist traurig“ zu sagen.* Diese Traurigkeit hat er im Epilog seiner Symphonie komponiert. Bilderverbot? „Seine Musik war ungemütlich, sie war nicht erhaben, sie verklärte nicht, sie triumphierte und siegte nicht, sie hatte, was den Hörern vor allem nicht einging, den Grundton der Verzweiflung.“ So schrieb Eisler in den fünfziger Jahren über Schönbergs Musik. „Wie viele seiner Werke lebendig bleiben, das weiß ich nicht; aber er wird zumindest als Verächter des Klischees gerühmt werden müssen. Die gesellschaftliche Ordnung, in die er hineingeboren war, hat er nicht verklärt und nicht beschönigt. Er hat nichts geschminkt. Er hat seiner Zeit, seiner Klasse einen Spiegel vorgehalten. Es war gar nicht schön, was man da sah. Aber es war die Wahrheit.‘* In diesem Sinn hat Eisler die Zwölftontechnik selbst immer wieder angewandt — eben auch an einigen Stellen der Deutschen Symphonie. Aber Schönberg war auch ein Verächter des KlassenKlischees, dem Eisler selbst und nicht zuletzt in seiner Symphonie Tribut zollte, da er mit ihm den Schrecken rationalisieren konnte. Schönbergs Überlebender aus Warschau erscheint unter diesem Gesichtspunkt geradezu wie ein Gegenentwurf zur Deutschen Symphonie Hanns Eislers: Brechtsche Metaphern wie die vom Wolf, der die Zähne bleckt, werden von diesem 1948 entstandenen Werk als märchengläubige Verniedlichung dekuvriert. Schönberg verzichtet im Text vollständig auf Metaphern — und er verweigert die „große Form“, wie sie bei Eisler schon der Titel Deutsche Symphonie suggeriert. Es handelt sich um einen Bericht in Gestalt eines betont knapp gehaltenen oratorienartigen Werks. Es dauert insgesamt etwa nur halb so lang wie die Arbeiterkantate, der 9. und längste Satz von Eislers Symphonie: knappe 7 Minuten; 99 Takte. Berichtet wird bei Schönberg etwas Vergangenes: ein Ereignis aus der Geschichte der Shoah, eine Episode kurz nach der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto; und berichtet wird von einem, der durch Zufall überlebte. Eine Gruppe von Juden wurde zum Appell zusammengetrieben, um in die Vernichtungslager abtransportiert zu werden. Der Erzähler selbst wurde bewußtlos geschlagen und dadurch für tot gehalten — nur darum überlebte er. Der Überlebende ist das Gegenteil des Klassen-Subjekts, das in der Arbeiterkantate Eislers eine ganze Geschichtsphilosophie erzählt — letztlich den Mythos des Arbeiterstaats. Allerdings schlägt auch der Bericht von Schönbergs Überlebenden am Höhepunkt plötzlich um in Religion: „Iremember only the grandiose moment, when they all started to sing, as if prearranged, the old prayer they had neglected for so many years —the forgotten creed“(T.14-21)’—ein Chor setzt leibhaftig’ ein und singt das Schma’Y'sroel (T.80-99) unisono. Möchte Schönberg in dieser religiösen Form die Möglichkeit und das Bewußtsein von kollektivem Widerstand gestalten — oder die eigentliche Vernichtung mit einem religiösen Bild verdecken? Deutlich wir jedenfalls das notwendige Dilemma aller Kunst nach Auschwitz: das nicht Darstellbare dennoch darzustellen. Der Vergleich der Deutschen Symphonie mit dem Überlebenden aus Warschau legt jedoch auch nahe, daß Eislers festgehaltenes Bild der deutschen Arbeiterklasse, das zum Klischee erstarrt, eine ähnliche Funktion übernommen haben könnte. Bertolt Brecht schrieb nach 1945: „Die Vorgänge in Auschwitz, im Warschauer Ghetto, in Buchenwald vertrügen zweifellos keine Beschreibung in literarischer Form. Die Literatur war nicht vorbereitet aufund hat keine Mittel entwickelt für solche Vorgänge.“ Der blinde Fleck des Klassenkampf-Konzepts übernahm in gewisser Weise die quasi religiöse Funktion eines Bilderverbots, das man sich kaum auszusprechen getraute. Vielleicht ist Hanns Eisler sich zuletzt mehr und mehr bewußt geworden, daß dieses Bild der deutschen Arbeiterklasse kein guter Stellvertreter der jüdischen Opfer war. Seine letzte Filmmusik schrieb er 1962 zu der Verfilmung einer Novelle von Bruno Apitz mit dem Titel Esther, worin die jüdische Herkunft der Opfer der Gaskammern ausdrücklich hervorgehoben wird. Und aus diesem letzten Lebensjahr des Komponisten stammen auch die Lieder nach Texten des jiddischen Dichters Mordechai Gebirtig: „Bleib gesund mir, Krakau“ und „Minuten der Zuversicht“. Die Gedichte von Gebirtig, der 1942 im Krakauer Ghetto ermordet worden ist, wurden während des Zweiten Weltkriegs als Lieder des jüdischen Widerstands in den Ghettos und Konzentrationslagern gesungen. Anmerkungen 1 Moishe Postone: Nationalsozialismus und Antisemitismus. Ein theoretischer Versuch. In: Antisemitismus und Gesellschaft. Hg. v. Michael Werz. Frankfurt am Main 1995, 40f. , 2 Hanns Eisler: Deutsche Symphonie. (Partitur der Chorteile). Leipzig 1994. 3 Programmheft zum IV. Sonderkonzert der Staatskapelle Berlin am 24.4. 1959; zit. n. Thomas Phleps: Hanns Eislers ,Deutsche Sinfonie’. Ein Beitrag zur Asthetik des Widerstands. Kassel etc. 1988, 279. 4 Hanns Eisler: Gespräche mit Hans Bunge. Fragen Sie mehr über Brecht. In: H.E.: Gesammelte Werke. Hg. v. Stephanie Eisler u. Manfred Grabs. Serie III. Bd.7. Leipzig 1975, 267-275. 5 Hanns Eisler: Arnold Schönberg. In: Österreichisches Tagebuch (1955) 9, S.5-7. 6 Arnold Schoenberg: A Survivor from Warsaw. (Partitur). Neue revidierte Ausgabe von Jacques-Louis Monod. Wien-London 1979 (Philharmonia Partituren). 7 Bertolt Brecht: Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. v. Werner Hecht u.a. Bd. 23. Berlin-Weimar-Frankfurt am Main 1993, 101. 19