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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Wer Prag sagt, sagt Kafka, und wer Kafka sagt, denkt an Max Brod. Was aber verbindet Max Brod mit Jaromir Weinberger, Hans Kräsa mit Friedrich Torberg, und wie passen Alexander Zemlinsky und Erwin Schulhoff in dieses Prag hinein? Max Brod (1884 Prag — 1968 Tel-Aviv), in erster Linie als Nachlaßverwalter und Herausgeber der Werke Franz Kafkas bekannt, stand mit der Premiere von Leo’ Janaéeks Jenufa in der Wiener Staatsoper im Scheinwerferlicht als Ubersetzer und Bearbeiter zahlreicher Opernlibretti Janaéeks. Wenn auch in der neueren Janälek-Forschung teilweise bemängelt wird,in seiner Übersetzung sei die Sprachmelodie des tschechischen Originals nicht entsprechend ins Deutsche übertragen worden, kann seine Rolle als Vorkämpfer und ‚Bühnenagent’ für Leo Janälek nicht genug gewürdigt werden. Auch die Oper Schwanda der Dudelsackpfeifer (1927) von Jaromir Weinberger (1896 Prag/Vinohrady — 1967 St. Petersburg/USA) verdankt Brod und seiner deutschen Übersetzung den internationalen Durchbruch — Teile daraus fanden sogar Eingang in Walt Disneys berühmten Zeichentrickfilm Fantasia. Weinbergers erste Kompositionen wurden gedruckt, als er neun Jahre alt war. Er studierte am Prager Konservatorium und bei Max Reger in Leipzig Komposition. Einer kurzen Lehrtätigkeit am Ithaca Conservatory, New York folgte eine Tätigkeit als Dramaturg am Slowakischen Nationaltheater in Preßburg. Der überragende Erfolg von Schwanda ermöglichte ihm ein Leben als freischaffender Komponist, zunächst in Prag, später in Baden bei Wien. Mit den Böhmischen Liedern und Tänzen und der Schwanda-Fantasie auch auf den Konzertpodien präsent, wurden seine Opern Milovany Hlas (Die geliebte Stimme) und Valdstejn (Wallerstein) in der deutschen Übersetzung Max Brods an der Wiener Staatsoper aufgeführt, Wallerstein 1937 sogar uraufgeführt. Max Brod, Schriftsteller, Journalist und Komponist, ist nicht nur in seiner Eigenschaft als Übersetzer von Opernlibretti und als Konsulent des Wiener Musikverlags Universal Edition, sondern auch als freier Mitarbeiter und von 1929 bis 1939 Leiter der Kulturredaktion des Prager Tagblatts ein ‚Kulturmanager avant la lettre’ gewesen: er war es, der die musikalischen Sterne Prags zum Leuchten brachte.' Friedrich Torberg (1908 Wien — 1979 Wien), der Max Brod 1927 in Prag kennenlernt’, introduziert Max Brod in seiner Die Tante Jolesch? als Schwiegersohn der alten Frau Taussig, die das ‚kulinarische Zwischenspiel’ um (Artischocken-)Gestrüpp bereichert und neben der Titelheldin das heimliche Matriarchat in der deutsch-jüdischen Prager Gesellschaft repräsentiert. Als Redakteur beim Prager Tagblatt ist er dem jungen Torberg ‚väterlicher Freund’ und Förderer - eine Rolle, die er auch für die Jüngere Komponistengeneration Prags übernimmt. Der Beginn der Zusammenarbeit Hans Krasas (1899 Prag — 1944 KZ Auschwitz) mit Max Brod (Brod übersetzt für Kräsas Symphonie die Läusesucherinnen von Rimbaud in deutsche 20 Prosa) verhilft Kräasa 1925 zu einem Generalvertrag mit der Universal Edition. Schon Kräsas Opus 1, Orchestergrotesken mit begleitender Singstimme nach Galgenliedern von Christian Morgenstern, von Alexander Zemlinsky in Prag Mai 1921 zusammen mit seinen eigenen Maeterlinck-Liedern uraufgefiihrt, wird von Brod mit einer lobenden Kritik (,,Kontrapunkt, der Witze reiBt ...“) bedacht. Er bestatigt dem jungen Komponisten des zur gleichen Zeit entstandenen Streichquartetts, „gleichsam das hohe Erbe Gustav Mahlers angetreten zu sein“. Kräsa selbst differenziert im Jahr 1933: „Ich war ein Schüler Zemlinskys. Das brachte mich auch dem Geiste Schönbergs näher ...‘“* Alexander Zemlinsky (1872 Wien — 1942 Larchmont/USA) hatte 1920 neben der Opernleitung des Neuen Deutschen Theaters auch die Leitung der Kompositionsklasse an der neu gegründeten Deutschen Akademie für Musik und darstellende Kunst übernommen und den Prager „Verein für musikalische Privataufführungen“ (die Prager ‚Filiale’ des Wiener Schönberg-Vereins) gegründet. Wie schon zuvor in Wien war er auch in seinen Prager Jahren Anreger und Förderer für eine ganze Generation junger Musiker. Kräsa, unter Zemlinsky Korrepetitor am Neuen Deutschen Theater, folgt Zemlinsky 1927 als Korrepetitor an die KrollOper nach Berlin, kehrt aber bald als freischaffender Komponist nach Prag zurück und bewegt sich im Kreis der Mitarbeiter des Prager Tagblatts. Chefredakteur Rudolf Thomas übernimmt zusammen mit Rudolf Fuchs das Libretto für sein Opernprojekt nach Dostojewski (die spätere Verlobung im Traum). Auch der junge Torberg wird auf ihn aufmerksam, ist aber in der Tante Jolesch deutlich mehr von Kräsas Bruder Fritz, „dem roten Kräsa“ beeindruckt. In den dreißiger Jahren schließt sich Hans Kräsa der Künstlergruppe „Manes“ und der Avantgardebewegung um Emil Franti$ek Burian (Theater D 34) an. Friedrich Torberg verfaßt 1935 für die Komödie Mladi ve hre (Jugend im Spiel) von Adolf Hoffmeister eine deutsche Übersetzung unter dem Titel Anna sagt nein. Hans Kräsa komponiert die Bühnenmusik. Torbergs deutsche Fassung geht an der Kleinen Bühne des Neuen Deutschen Theaters gleichzeitig mit dem tschechischen Original in Burians Theater D 34 in Premiere’, Torbergs Übersetzung ist leider bis heute verschollen. Das „Lied der Anna“ aus Mladi ve hre inspiriert Krasa zum Streichquartett Thema mit Variationen (1936). Der vielseitige tschechische Theatermann und Komponist Burian, der mit seiner 1927 gegründeten ,, Voice-band“ Vorbild für viele ‚Sprechchöre’ wurde, war auch der Initiator des „Deutsch-Tschechischen Bühnenklubs“ — am 21.12. 1935 in Prag mit dem Ziel gegründet, sich „gemeinsam gegen engstirnigen Nationalismus und Fascismus zur Wehr zu setzen“. Stellungnahmen zur Gründung kamen u.a. von Max Brod, Adolf Hoffmeister, Bruno Walter, Thomas Mann; unter den Gästen des Bühnenklubs waren Erich Kleiber und Bruno Walter.