OCR
ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Auch für Erwin Schulhoff (1894 Prag — 1942 Internierungslager Wülzburg), der nach dem Studium am Prager Konservatorium wie Jaromir Weinberger bei Max Reger in Leipzig Komposition studiert hatte, war Max Brod als Übersetzer tätig. Die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, den Schulhoff als Soldat der k.u.k.Armee in Schützengräben an der russischen und italienischen Front miterlebt hat, hatten aus dem zweifachen Mendelssohn-Preisträger einen lebenshungrigen Zyniker gemacht. Als Komponist und Pianist offen für alle neue Strömungen (Expressionismus, Dada, Atonalität, Vierteltonmusik) zieht ihn vor allem der Jazz in seinen Bann. Er zieht von Saarbrücken nach Berlin, fühlt sich aber auch dort unverstanden: „... ein Kritiker in der Voss [Vossischen Zeitung] wirft mir vor, ich sei Friseur, Kostumier, ich komponiere nicht. Gott, anstatt mich mit dem guten deutschen Walzer zu befassen, nehme ich die Tanztypen meiner Zeit— na, usw. So also sieht meine Zeit aus!“ Zunehmende nationalistische Ressentiments und aufkeimender Nationalsozialismus in Deutschland, auf den er bereits 1921 im Prolog zur Suite für Kammerorchester Bezug genommen hatte („Bierhaussiechen ist meine Seele und meine Zähne klappern im Shimmytakt ..‘“) veranlassen ihn 1923 zur Rückkehr nach Prag. Zwischen den Esquisses de Jazz, Hot Music und der Hot-Sonate für Altsaxophon und Klavier schreibt er Flammen. Eine musikalische Tragikomödie in zwei Aufzügen zu 10 Bildern von Karel Josef Benes (1927-29). Das Libretto wird von Max Brod ins Deutsche übersetzt, das Werk 1932 am tschechischen Landestheater in Brünn uraufgeführt. Im diesem Jahr vertont er auch das Kommunistische Manifest: Das Manifest. Nach Marx-Engels (in Bearbeitung von Rudolf Fuchs), das erst 44 Jahre später in Prag uraufgeführt werden sollte. Die Uraufführung der szenischen Musik zu Aristophanes’ Komödie Der Friede (in der Bearbeitung von Adolf Hoffmeister) fällt 1933 der Zensur zum Opfer’; 1936 wird er aber mit der Bühnenmusik zu Molieres Le bourgeois gentilhomme für das tschechische Nationaltheater beauftragt. Nicht nur als Komponist, auch als virtuoser Pianist für zeitgenössische Musik feiert Schulhoff Erfolge, daneben schreibt er unter diversen Pseudonymen immer wieder Tanzmusik. Trotzdem gerät als Jude, ‚Neutöner’, Linker und Satiriker zunehmend in Isolation‘. 1941 entschließt sich Erwin Schulhoff zur Flucht in die Sowjet-Union und nimmt die sowjetische Staatsbürgerschaft an. Kurz bevor er ausreisen will, überfällt Hitler die SowjetUnion, am nächsten Tag wird er interniert und gegen Ende des Jahres ins Internierungslager Wülzburg deportiert. Dort stirbt Schulhoff am 18. August 1942 an Tuberkulose. Hans Krasa bleibt in Prag, wird am 10. August 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo seine Kinderoper Brundibar, nach einem Libretto von Adolf Hoffmeister, von den inhaftierten Kindern aufgeführt wird. Am 16. Okober 1944 wird er von dort ins KZ Auschwitz verschickt, wo er sofort nach der Ankunft ermordet wird. Rudolf Thomas und seine Frau wählen nach dem Einmarsch der Deutschen in Prag den Freitod, Rudolf Fuchs kann nach Großbritannien fliehen’. Emil Franti$ek Burian wird März 1941 verhaftet, ist in mehreren deutschen Konzentrationslagern (darunter Neuengamme bei Hamburg) inhaftiert, überlebt und kann nach 1945 wieder seine von den Nazis geschlossene Bühne leiten. Adolf Hoffmeister war nach 1945 tschechischer Botschafter in Paris. Alexander Zemlinsky flieht 1938 in die USA, wo er am 16. März 1942 fast buchstäblich an einem gebrochenen Herzen stirbt. Jaromir Weinberger, 1939 in die USA geflohen, wo er u.a. eine grandiose Lincoln Symphony (1941) schreibt, aber nicht mehr an die Erfolge der vergangenen Jahre anknüpfen kann", verübt 1967 Selbstmord in St. Petersburg/Florida. Max Brod flieht 1939 nach Palästina, wo er Berater, Dramaturg und Komponist für das Hebräische Nationaltheater Habimah ist. Er schreibt 1944 das Libretto zu ersten ,israelischen’ Oper Dan der Wächter (Marc Lavri), prägt den Begriff smediterraner Stil’ und verfaßt mit Die Musik Israels (1951)" die erste Musikgeschichte Israels. Brods eigene Kompositionen wurden erst in den letzten Jahren wieder entdeckt. Primavera Gruber, geboren 1951 in Den Haag, studierte Niederlandistik in Leiden, Rechtswissenschaft in Wien. Griinderin und Leiterin des Orpheus Trust. Anmerkungen 1 Max Brod: Prager Sternenhimmel. Musik- und Theatererlebnisse der zwanziger Jahre. Wien 1966. 2 David -Axmann( Hg.): Und Lächeln ist das Erbteil meines Stammes. Erinnerungen an Friedrich Torberg. Wien 1988. 3 Friedrich Torberg: Die Tante Jolesch. Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten. München, Wien 1975. 4 Cornelis Witthoefft: Hans Kräsa, in: Initiative Hans Kräsa (Hg.): Komponisten in Theresienstadt. 2. Auflage. Hamburg 2001. 5 Frithjof Trapp, Werner Mittenzwei, Henning Rischbieter, Hansjörg Schneider (Hg.): Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945. Bd. 1. München 1999. 6 Tagebucheintragung Erwin Schulhoff vom 10.3. 1923 in der Abschrift von Josef Bek, ÖNB Misc.127/1, zitiert nach Christian Utz: Aller Ernst ist Verblödung. Ironie und Montage in der Musik Erwin Schulhoffs. Diplomarbeit an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst. Wien 1995. 7 Josef Bek: Erwin Schulhoff. Leben und Werk. Verdrängte Musik. Bd. 8. Hamburg 1944. 8 Christian Utz: Aller Ernst ist Verblödung. Ironie und Montage in der Musik Erwin Schulhoffs. Diplomarbeit an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst. Wien 1995. 9 Vgl. Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Wien 2000. 10 Norman Lebrecht: The Companion to 20" Century Music. New York 1992. 11 Max Brod: Die Musik Israels. Tel Aviv 1951. 2. Auflage, bearbeitet und erweitert von Yehuda Walter Cohen. Kassel 1976. Erich Schmeckenbecher in Feldkirch Unter dem Titel „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“ präsentieren Erich Schmeckenbecher (Ex-Zupfgeigenhansl) und Bömmes (d.i. Hans Dieter Mohr) am 25. Mai 2002, 20 Uhr 15, im Theater am Saumarkt, Feldkirch, ein Programm mit Kramer- und Bellmann-Liedern und anderen Songs. 21