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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Ausstellung an der Wiener Musikuniversität Er war neben Wilhelm Furtwängler und Arturo Toscanini einer der großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts: Bruno Walter. In Zusammenarbeit mit dem Orpheus Trust machte sich die. Bibliothek der Musikuniversität Wien im Vorjahr endlich daran, den Wiener Nachlaß des großen Dirigenten in Form einer Ausstellung aufzuarbeiten und zu präsentieren. Es war an der Zeit, diese immer nur mit anderen Kollegen und anderen Exilanten erwähnte Persönlichkeit einmal eigenständig und originär vorzustellen. Nie war er schillernd, konnte kaum mit Skandalen aufwarten und zeichnete sich eher durch Treue und Loyalität einem Werk gegenüber aus, als daß er es genüßlich in der Öffentlichkeit zerpflückte. Jetzt wurde er endlich in Wien geehrt — jener Stadt, in der er 1901 von Gustav Mahler an die Staatsoper engagiert wurde, ab 1911 die Singakademie leitete und 1932 zum Direktor der Wiener Staatsoper berufen wurde. Bruno Walter Schlesinger, so sein eigentlicher Name, wurde am 15. 9. 1876 in Berlin geboren. Angeblich war es sein Freund Gustav Mahler, der ihm riet, den jüdischen Nachnamen abzulegen. Er war zunächst Schüler des Sternschen Konservatoriums in Berlin, debütierte 1894 in Köln und arbeitete dann als Opernkapellmeister in Hamburg. Weitere Stationen waren Breslau, Preßburg, Riga und 1900 das Königliche Opernhaus Berlin. Von dort holte ihn Mahler nach Wien, das er zwei Jahre nach dessen Tod, 1913, Richtung München verließ. Jedoch sollten diese Jahre für ihn zur prägenden künstlerischen Erfahrung werden. 1913 bis 1922 wurde Walter als Nachfolger Felix Mottls Generalmusikdirektor in München. Vor allem seine Mozart-Aufführungen bei den Salzburger Festspielen ab 1922, deren Gründungsmitglied er war, wurden legendär. In ihrer romantischen Grundhaltung prägten sie das Mozartbild der ersten Jahrhunderthälfte. 1924 bis 1931 leitete Bruno Walter auch Aufführungen der Covent Garden Opera in London. Parallel wirkte er in Deutschland: 1925 wurde er Generalmusikdirektor der Städtischen Oper Berlin, 1929 übernahm er - in Nachfolge Wilhelm Furtwänglers — das Amt des Gewandhauskapellmeisters in Leipzig. Gerade auf dem Gipfel seines Schaffens, hoch geachtet und künstlerisch anerkannt, belegte ihn Deutschland 1933 22 mit Dirigierverbot. Richard Strauss ersetzte ihn und sagte zu Stefan Zweig: „Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich politisch so weit vorgetreten bin? Weil ich für den schmierigen Lauselumpen Bruno Walter ein Concert dirigiert habe?“ Bereits 1932 war er zum Direktor der Wiener Staatsoper berufen worden, und hier wurde er für einige Jahre neben Toscanini zur zentralen Gestalt des Musiklebens. Die Hoffnung, der „Ständestaat“ würde den Nationalsozialismus verhindern, die Walter mit nicht wenigen Verfolgten des Naziregimes teilte, erwies sich als trügerisch. 1938 floh er nach Frankreich, wo ihm 1939 die Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Aber noch im selben Jahr flüchtete er weiter in die USA. Amerika gab ihm Arbeit. Hier wirkte er zunächst als Gastdirigent des NBC Symphony Orchestra und weiterer bedeutender Orchester sowie an der Metropolitan Opera in New York. 1947 bis 1949 arbeitete er als Dirigent der Philharmonic Symphony Society in New York. Nach dem „Allegro furioso“ New Yorks sei er froh, so sagte er einmal, das „Allegretto grazioso“ von Beverly Hills in Kalifornien zu genießen. — Ab 1948 dirigierte Bruno Walter wieder als Gast in Europa, auch in Wien. Er starb am 17. Februar 1962 im amerikanischen Exil, in Beverly Hills. Walters künstlerisches Betätigungsfeld umspannte vor allem die Epochen der Klassik und der Neuromantik. Von seinem Wirken in Hamburg und Wien her war er geistig und persönlich eng mit Gustav Mahler verbunden. 1907 hatte Mahler an Walter geschrieben: „Ich weiß niemand, von dem ich mich noch so verstanden fühle, wie von Ihnen und auch ich glaube, in den Schacht Ihrer Seele eingedrungen zu sein“. Walter veröffentlichte 1946 bereits seine Autobiographie Theme and Variations (engl., Verlag Galston New York; deutsch 1960). Weiterhin schrieb er die Publikation Gustav Mahler (Wien 1936) sowie das Buch von der Musik zum Musizieren (Frankfurt am Main 1957). Lange Jahre besaß die Wiener Musikakademie (später: Hochschule, jetzt: Universität für Musik) einen Teil des Nachlasses von Bruno Walter. Es gab sogar einen eigenen Bruno Walter-Gedächtnisraum, in dem der Nachlaß eigentlich hätte öffentlich gemacht werden sollen. Meist war er verschlossen. Der Initiative des Orpheus Trust, dem Engagement der Bibliotheksleiterin der Musikuni Susanne Eschwé und des Bibliothekars Michael Staudinger ist es zu danken, daß dieser Zustand beendet und für den wertvollen Nachlaß eine gewisse Öffentlichkeit geschaffen wurde. Vor allem die künstlerischen Belange waren es, denen sich die Ausstellung vom Herbst 2001 widmete. Mittels Partituren, die Walter mit Anmerkungen und Einzeichnungen versehen hat, und unterstützt von Tonaufnahmen wird seine Auffassung etwa von Mozart und Mahler erkennbar. Die Wiener Musikuniversität präsentierte Walter aber auch als Komponisten. Am 19. 10. 2001 interpretierte das Aron Quartett sowie Margit Fleischmann, Sopran, und Claus-Christian Schuster, Klavier, seine Kammermusik. Schuster, namhafter Pianist und Leiter des Altenberg Trios, erkennt in Walters Liedern „Spuren von Mahler und Strauß und das Erbe von Brahms und Wagner“. Vertreibung und Exil wurden bei der Ausstellung der Musikuniversität nicht mehr wie so oft in früheren Porträts des großen Dirigenten ausgeklammert oder verfälschend dargestellt, sondern als wesentlicher Abschnitt der Biographie und des Schaffens ins Licht gerückt. Die Ausstellung machte aber vor allem auch auf einen Mangel aufmerksam, der mit Vertreibung und Exil zu tun hat: Es gibt zwar Briefausgaben Bruno Walters, etwa jene von Walter Flint 1969 in Frankfurt am Main herausgegebene sowie die Korrespondenz zwischen Walter und Thomas Mann (1969), — aber es gibt noch immer keine Bruno Walter-Biografie in deutscher Sprache. Aus Anlaß der Ausstellung hat die Musikuniversität immerhin ein sehr informatives Bändchen herausgegeben, das nicht nur ein vollständiges Verzeichnis des Wiener Nachlasses, sondern auch — eindrucksvoll illustriert — Aufsätze über das Leben und die Arbeit des Dirigenten enthält: Bruno Walter. Der Wiener Nachlaß (Verlag Lafite, Wien; 7 Euro, Bestellung unter order@musikzeit.at). Beate Hennenberg Zwei Studien über das Musikexil in Palästina Die Berliner Historikerin und Musikwissenschaftlerin Barbara von der Lühe hat sich in zwei wichtigen Studien mit der Auswanderung der Musikschaffenden nach Palästina befaßt. Im Rahmen ihrer 1998 publizierten Dissertation schrieb sie eine Gruppenbiographie von rund 50 deutschsprachigen Gründungsmitgliedern des Palestine Orchestra. Der Gründer des 1936 gegründeten Orchesters, der Violonist Bronislaw Huberman, der selbst von 1926 bis 1938 in Wien lebte, machte es sich zur Aufgabe, in der NS-Zeit so viele Musiker wie möglich zu retten. Der