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Moshe Ya’akov Ben-Gavriél (Eugen Hoeflich) zählt zu den bedeutendsten zionistischen Publizisten und Schriftstellern Österreichs. Geboren 1891 in Wien, wuchs er in Ottakring, als Sohn eines jüdischen Arztes auf. Erste literarische Texte Hoeflichs erschienen in der Wiener Kulturzeitschrift Die Wage. Beeinflußt von den Texten des österreichischen Wegbereiters des Expressionismus, Albert Ehrenstein (1886-1950), mit dem er lebenslang befreundet war (und dessen Nachlaß er nach dem Tode Ehrensteins betreute), fand Hoeflich Anschluß an die expressionistische Literaturbewegung. Nach einer schweren Verwundung, die er im Ersten Weltkrieg an der Ostfront erlitt, wurde er 1917 für mehrere Monate nach Palästina beordert, wo er, im Rang eines Leutnants, am k. u. k. Reservespital Jerusalem Dienst versah. Die Zeit, die er in Jerusalem verbrachte, bedeutete für Hoeflich ein Schlüsselerlebnis. Die Begegnung mit dem Orient löste, verbunden mit der Lektüre der Schriften Martin Bubers, einen Prozeß jüdischer — konkret: kulturzionistischer — Identitätsfindung aus. Hoeflich war überwältigt von der mystischen Atmosphäre der heiligen Stadt Jerusalem, dem Erlebnis der Wüste als Inbegriff des Ursprünglichen, der Farbigkeit und Vitalität des orientalischen Lebens und den Begegnungen mit den Menschen Palästinas, zionistischen Pionieren, kabbalistischen Mystikern, muslimischen Gläubigen, Karawanenhändlern, Derwischen und Beduinen. Nach der Rückkehr fühlte er sich in Wien fremd und einsam, suchte sein Palästina-Erlebnis fiktional — in Form von Lyrik (Der rote Mond, 1920) und Prosaskizzen (Feuer im Osten, 1920) — zu rekonstruieren und engagierte sich fortan in der zionistischen Bewegung. Unter anderem war er im Frühjahr 1918 maßgeblich an der Gründung der Wiener Gruppe des zionistischen Geheimbundes Olej Zion (= Aufsteigende Zions) beteiligt und wirkte nach dem Ersten Weltkrieg an der jüdischen Selbstwehr mit. 1919 regte er die Konstituierung einer Sektion der palästinensischen „volkssozialistischen“ Arbeiterpartei haPoel ha-Zair (= Der junge Arbeiter) in Wien an, mit deren Ziel, der Schaffung eines sozial gerechten jüdischen Staates in Palästina, er sich identifizierte. Des weiteren redigierte er die jüdischen Zeitschriften Esra (1919/20) und Das Zelt (1924/25) und nahm, zum Teil gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Mirjam Schnabel (1893-1980), aktiven Anteil am jüdischen Theaterleben; unter anderem organisierte Hoeflich in seiner Eigenschaft als Sekretär der Freien jüdischen Volksbühne das Wiener Gastspiel der „Wilnaer Truppe“ (1921/22) und wirkte an der jiddischen Kleinkunstbühne „di gildene pawe“ (1924/25) mit. Eine Zusammenstellung seiner PalästinaErinnerungen erschien 1918 unter dem Titel Der Weg in das Land (erweiterte Neuausgabe 1923: Die Pforte des Ostens). Literarisch und publizistisch vertrat Hoeflich die Idee des „Panasiatismus“, die er mit zionistischen Oppositionellen wie Martin Buber, Hans Kohn, Robert Weltsch oder Nahum Goldmann ebenso wie mit führenden asiatischen Intellektuellen diskutiert hat. Unter „Panasiatismus“ verstand er eine Gesamtasien (Judentum, Arabien, Indien, China, Japan) umfassende Erneuerungsbewegung. Asien stellte für ihn nicht nur 28 einen geographischen, sondern vor allem einen „geistigen Begriff“ dar, der Ursprünglichkeit, Verinnerlichung und Religiosität umfaßt, und den er zu einer Gegeninstanz zu den Entfremdungserscheinungen Europas, zu Organisation, Mechanisierung, Industrialisierung, Kommerzialisierung und Entindividualisierung stilisiert hat. Angesichts der Selbstzerstörung Europas im Ersten Weltkrieg, der Pogrome, der nationalistischen Agitation und des Aufstiegs des Nationalsozialismus proklamierte Hoeflich die Rückkehr des Judentums zu seinen östlichen Ursprüngen, worunter er die Wiedereinfügung in eine einheitliche, auf religiöser Grundlage beruhende Lebensordnung verstand. Der Entwurf eines Idealbildes der integralen, nicht-entfremdeten Lebens- und Geisteswelt des Ostens barg politische Sprengkraft in sich. So etwa faßte Hoeflich die indische Befreiungsbewegung unter Ghandi, die national-türkische Bewegung in Anatolien, den Aufstieg Japans, die islamische Renaissance und Selbständigkeitsbestrebungen in Afghanistan, Ägypten, Arabien etc. als Zeichen des Wiedererwachens und einer zukünftigen Einigung Asiens auf. Im „Aufstand des Ostens gegen die westliche technische Macht“ erkannte er die Chance einer „wahren Revolution der Zukunft“, die sich gegen Imperialismus und Kapitalismus richtet. Im Jahre 1927 zog er die Konsequenz aus seiner weltanschaulichen Haltung, übersiedelte nach Jerusalem und nahm den hebraischen Namen Moshe Ya’akov Ben-Gavriél an. Die Eindrücke, die er in den ersten Jahren seines Lebens in Palästina sammelte — vom überwältigenden Eindruck der Stadt Jerusalem bis zum Aufbruchsgestus der Chaluzim (zionistische Pioniere), von der landschaftlichen Vielfalt Palästinas bis zum romantisch beschriebenen Wüstenleben der Beduinen -, verarbeitete er 1938 im Kleinen Palästinabuch für empfindsame Reisende. Dieses Buch sollte dazu dienen, europäischen Palästina-Reisenden Einblicke in die Geschichte und Kultur, aber auch die Konflikte des Landes zu vermitteln und die Aufbauarbeit des Zionismus zu veranschaulichen. Den Lebensunterhalt verdiente Ben-Gavri&l als Korrespondent deutschsprachiger Zeitungen, Zeitschriften und Presseagenturen. Im Zweiten Weltkrieg diente er in der britischen Armee; am Unabhängigkeitskrieg 1948 und am Sinaifeldzug 1956 nahm er als israelischer Offizier teil. Der literarische Durchbruch gelang Ben-Gavri£l erst in den 1950er und 1960er Jahren mit teils unterhaltsamen, teils spannenden Romanen und Erzählungen über das Leben im Nahen Osten. Den Anfang machte der Roman Frieden und Krieg des Bürgers Mahaschavi (1952). Das Buch handelt von den Abenteuern eines jüdischen Arztes — dessen Name sich vom hebräischen Wort „machschava“ (= Gedanke) ableitet - als britischer Soldat im Zweiten Weltkrieg. Das anstößige Leben des Großen Osman (1955) führt in die Zeit der türkischen Verwaltung Palästinas und erzählt vom täglichen Überlebenskampf der Bettler und Gauner von Jaffa. Die unter dem Titel Kumsits (1956) zusammengefaßten „Geschichten aus der Wüste“ wie auch der Roman Der Mann im Stadttor (1960) berichten anekdotenreich über das Leben in Israel als Kreuzungspunkt west