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lich-europäischer und östlich-orientalischer Kultur. 1962 erschienen die Detektivgeschichten Die sieben Einfälle der Thamar Dor. In seiner letzten Buchveröffentlichung Kamele trinken auch aus trüben Brunnen (1965) setzte Ben-Gavriel der untergehenden Nomaden-Kultur der Beduinen ein literarisches Denkmal. Die Geschichte der Juden Europas arbeitete er im autobiographischen Buch Die Flucht nach Tarschisch (1963) und im Roman Das Haus in der Karpfengasse (1958) auf, einer Darstellung der Ereignisse nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei und dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Prag. Hoeflich/Ben-Gavriéls Tagebücher, mit deren Abfassung er während des Ersten Weltkriegs begonnen hat und die er seit 1918 kontinuierlich geführt hat, stellen eine erstrangige literatur- und kulturgeschichtliche Quelle dar, sowohl zur Geschichte der Wiener Juden der Zwischenkriegszeit als auch zum kulturellen und politischen Leben während der Aufbaujahre des jüdischen Staates. Die handschriftlichen Originale werden im Department of manuscripts and archives der Handschriftenabteilung der Jewish National and University Library Jerusalem unter der Signatur Ms. Var. 365, Karton 7, aufbewahrt (Ben-Gavriel-Teilnachlaß). Die Tagebücher der „Wiener Zeit“ Hoeflich/Ben-Gavriéls (Kriegstagebiicher 1915 und 1917 sowie Tagebücher 1918 bis März 1927, dem Datum seiner Ubersiedlung nach Jerusalem) habe ich 1999 in einer kommentierten Edition herausgegeben: Eugen Hoeflich (Moshe Ya’akov Ben-Gavriel): Tagebücher 1915 bis 1927. Herausgegeben und kommentiert v. Armin A. Wallas (Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1999, VII + 641 Seiten). Die Edition enthält die komplette Transkription der Tagebücher sowie einen ausführlichen, auf weitgespannte Quellenrecherchen gestützten Kommentarteil, der die im Textteil erwähnten Ereignisse, Personen, Organisationen und zeithistorischen Kontexte erläutert. Derzeit bereite ich die Edition des zweiten Bandes der Tagebuchedition vor, der die Jahre 1927 bis 1933 umfassen wird und aus dem die folgende Textprobe (1928/29) stammt. Die Palästina-Tagebücher Ben-Gavriöls beschreiben das politische, soziale und kulturelle Leben im britischen Mandatsgebiet. Die folgenden Ausschnitte stammen aus der bewegten Phase vor und nach den heftigen Ausschreitungen von Arabern gegen Juden im August 1929, bei denen mehr als 130 Juden ermordet wurden. Von diesen gewalttätigen Unruhen, die sich an einem Streit um das Recht der Juden, an der ha-Kotel ha-Maarawi (Westmauer bzw. Klagemauer) zu beten, entzündet hatten, wurde ganz Palästina erschüttert, besonders betroffen waren Hebron, Safed und Jerusalem. Zu dieser Zeit amtierte John Robert Lord Chancellor als britischer Hochkommissär in Palästina. Ben-Gavriöl verließ während der Unruhen für kurze Zeit Jerusalem (seine Wohnung lag in dem hauptsächlich von Arabern bewohnten Stadtteil Musrara, der von den Unruhen erfaßt wurde) und übersiedelte nach Tel Aviv, wo seine Ehefrau Mirjam (genannt „Mir‘“) als Schauspielerin tätig war. Die Radikalisierung des jüdisch-arabischen Konflikts wurde vor allem von Großmufti Emin el-Husseini und seinem Neffen, Djemal el-Husseini, dem Anführer der „Palästinensischen Araberpartei“, forciert. Ben-Gavriél schildert die Spannungen und Konflikte zwischen Juden und Arabern aus der Perspektive eines engagierten Zionisten, der unermiidlich fiir ein Gelingen des jtidisch-arabischen Friedensprozesses gekämpft hat. Er war nicht nur einer der ersten zionistischen Intellektuellen, die auf die Dringlichkeit der friedlichen Lösung der Araberfrage hingewiesen haben, sondern auch der erste, der Anfang der 1920er Jahre das Konzept eines binationalen, jüdisch-arabischen Staates in Palästina ausgearbeitet hat. Als Zeuge der zunehmenden Feindseligkeit zwischen Juden und Arabern hielt er dennoch an der Friedensidee fest. Unter anderem kooperierte er, wenn auch in kritischer Distanz, mit dem Brith Schalom (= Friedensbund), einem Zusammenschluß jüdischer Intellektueller zur Ausarbeitung von Konfliktlösungsmodellen. Zu den Aktivisten des Brith Schalom gehörte auch der in den folgenden Tagebuchauszügen erwähnte (aber nicht namentlich genannte) Kanzler der Hebräischen Universität Jerusalem, Judah Leon Magnes, der bei der Eröffnungsansprache zum Wintersemester 1929/30 einen Skandal auslöste, als er kurz nach den Unruhen vom August 1929 zu einer Fortsetzung der Friedensbemühungen aufrief. Die Rede wurde von rechtsgerichteten jüdischen Studenten gestört, und der prominente zionistische Politiker Menachem Ussischkin wies Magnes zurecht, sich auf die Wissenschaft zu beschränken und sich nicht in die Politik zu mengen. In diesen Tagen ereigneten sich auch zwei aufsehenerregende Zwischenfälle, als arabische Extremisten Attentate auf zwei prominente jüdische Persönlichkeiten ausübten, auf den (aus Österreich stammenden) Augenarzt Abraham Albert Ticho (den Ehemann der Malerin Anna Ticho) und auf Norman Bentwich, den höchsten Justizbeamten der britischen Mandatsregierung. In seinen Tagebüchern protokolliert Ben-Gavriél Ausschreitungen und nationalistische Demagogie sowohl der arabischen zwiespältige Rolle der britischen Mandatsmacht und weist unter anderem auf antisemitische Tendenzen innerhalb der britischen Beamtenschaft hin. Auf jüdischer Seite kritisiert er insbesondere die Haltung der von Wladimir Jabotinsky angeführten zionistischen Revisionisten, mit denen damals auch der junge Arthur Koestler sympathisierte, der 1927 bis 1929 als Nahostkorrespondent des Ullstein-Konzerns in Palästina gewirkt hat. Ben-Gavriels araberfreundliche Haltung, die sich unter anderem darin ausgedrückt hat, daß er sich gerne orientalisch kleidete, führte einmal dazu, daß er bei einem Spaziergang in Tel Aviv für einen Araber gehalten und von nationalistischen Jugendlichen angepöbelt wurde. Insgesamt vermitteln Ben-Gavritls Tagebücher ein vielschichtiges Panorama der Spannungen und Konflikte des zionistischen Aufbauwerks und der Gründungsphase des Staates Israel. Sie können als ein engagiertes Plädoyer für eine Fortsetzung des Friedensdialogs zwischen Juden und Arabern auch unter schwierigsten Voraussetzungen gelesen werden. Trotz zahlreicher Rückschläge, Selbstzweifel und Skepsis bemühte sich Ben-Gavriél immer wieder von neuem, an einer friedlichen Lösung des Konflikts mitzuwirken. Ben-Gavriel spart auch nicht mit harter Sozialkritik, wenn er etwa die Elendsviertel Jerusalems besucht und die soziale Not beschreibt, unter der vor allem die orientalischen Juden zu leiden hatten. Darüber hinaus stellen die Tagebücher ein farbenprächtiges Kaleidoskop Palästinas/Israels dar: Landschaftsbeschreibungen, Einblicke in das Leben der Beduinen, Gespräche mit arabischen Intellektuellen, Besuche in zionistischen Siedlungen und Kwuzot (Genossenschaftssiedlungen), Porträts jüdischer Gelehrter, Besprechungen von Theateraufführungen und Kunstausstellungen, Beschreibungen archäologischer Entdeckungen, Hinweise auf PalästinaReisen jüdischer Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler etc. wechseln einander in bunter Reihenfolge ab. Daraus gestaltet sich ein einzigartiger Querschnitt durch das politische, künstlerische und intellektuelle Leben Palästinas/ Israels. 29