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1943 vor der Haganah [Jüdische Armee vor der Staatsgründung]. Heute ist die alte Stadt wunderbar ausgegraben, eines der Schaustücke unserer Abteilung für Altertümer. Aber im Jahre 1936 war Caesaräea bewohnt; das Wenige, was man ausgraben konnte, lag durcheinander in dem sogenannten Museum, das damals auf einer Landzunge stand, die man irrtümlich als vom Stratonsturm gekrönt glaubte. Professor Avi Yenah hat inzwischen diesen Stratonsturm weiter nördlich ausgegraben, nördlich der mittelalterlichen Stadtmauer. Aber dies nur nebenbei! Beer-Hofmann wollte sehr gerne sehen, was es zu sehen gab — das Hippodrom, Teile der Stadtmauer, gewisse Inschriften, und das „Museum“. Nun, als mich Paula Beer-Hofmann damals fragte, ob es dort nicht gefährlich wäre, lachte ich herzlich! „Was stellen sie sich bloß vor? Wir gehen doch oft dorthin. Wir würden sie doch nicht fahren lassen, wenn ihnen das Mindeste drohte. Das Schlimmste, was passieren kann ist, daß sie im [Sand] stecken bleiben. Dann werden die beiden Jungen Leute sie ausgraben — sie haben Schaufeln mit. Die Leute im Dorf dort sind besonders gut gesinnt und freundlich, ich kenne einige von ihnen persönlich. Es gibt auch ein romantisches arabisches Kaffeehaus am Strand.“ Tatsächlich kamen sie gegen Abend in bester Laune und sehr angeregt zurück. Nur hatte mein Bruder eine merkwürdige Sache zu erzählen: Auf dem Heimwege sahen sie nahe der Bahnstation eine große Menge Araber und mein Bruder hielt an, um zu fragen, was es denn gäbe. „Das weißt du nicht?“, gab der Mann zurück, den er gefragt hatte. Es war ein Fischer aus Caesaräea, der seinen Fang in Benyamina zu verkaufen pflegte. „Die Juden von Tel Aviv schlachten unsre Brüder aus Jaffa ab, und wir warten hier auf unseren Muchtar [Dorfvorsteher], der in der Früh dorthin gefahren ist. Wir sind in Sorge!“ Die Sache störte uns nicht weiter; wir wußten, wie gern der Araber übertrieb und dachten, es sei eine kleine Schlägerei. Wir verbrachten einen besonders angenehmen Abend, namentlich da Beer-Hofmann von seinem bisher vierzehntägigen Aufenthalt ganz begeistert war. Als ich ihn zuerst nach seinen Eindrücken fragte, antwortete er in seiner Art mit einer Gegenfrage. „Wie können sie einen Menschen nach seinen Eindrücken fragen, wenn ihm soeben ein Berg auf den Kopf gefallen ist? Ich bin noch ganz betäubt, ich kann noch keine Eindrücke auseinanderhalten.“ Nichtsdestoweniger erzählte er sehr viel und sehr lebendig, und besonders eine Anekdote amüsierte uns. Er sagte zuerst, er habe doch seit Jahren in der Welt der Bibel gelebt und da konnten sie beide oft Traum und Realität nicht auseinanderhalten. Ein Beispiel: Sie saßen auf der Terrasse des Hotels Teltsch in Haifa, und seine Frau fütterte die Spatzen mit Kuchenkrumen. Auf einmal wandte sie sich zu ihm und sagte: „Schau mal, Richard — haben die Spatzen hier nicht viel größere Augen als in der Wirklichkeit?“ Sie fuhren ziemlich spät abends nach Tel Aviv zurück — und am nächsten Morgen hörten wir durch das Radio die Nachricht, von der auch die Zeitungen voll waren: in ganz Palästina waren vorbereitete Unruhen ausgebrochen! Beer-Hofmanns war glücklicherweise nichts passiert und sie fuhren ein paar Tage später nach Wien zurück. Aber mir war wie dem Reiter über dem Bodensee - hatte ich doch Frau Beer-Hofmann so fröhlich und sicher garantiert, es könne nichts geschehen! 38 Paula Arnold, geb. 1885 in Wien als Tochter des Anglisten Leon Kellner (Universitätsprofessor in Czernowitz, einer der engsten Mitarbeiter und Herausgeber der Tagebücher von Theodor Herzl, englischer Sekretär des österreichischen Bundespräsidenten). Ihre Schwester Dora Kellner war verheiratet mit Walter Benjamin. PA. arbeitete in Wien als Lehrerin im Chajesgymnasium und als literarische Übersetzerin, u.a. für den Zsolnay Verlag, für den sie zwei Romane von John Owen übersetzte. In Israel schrieb sie für Jerusalem Post, Baltimore Sun, Jedioth Chadashoth und das Mitteilungsblatt des Irgun Oleh Merkas Europa (MB) und veröffentlichte Bücher über die Vögel und die Flora Israels. Ihre Erinnerungen befinden sich in Privatbesitz; für die Erlaubnis der auszugsweisen Veröffentlichung danken wir Dan Arnold, Benyamina. Alltag in Israel Heriberto Haber, den Lesern von MdZ und ZW vielleicht als Verfasser satirischer Kurzgeschichten über die Verhältnisse in Israel bekannt, hat einige seiner Geschichten nun in deutscher Version in einem Band gesammelt. Verzichtet hat er auf seine kritischen Invektiven gegen die Vermischung staatlicher und religiöser Gesetze in Israel (so in „Erzählungen aus Israbbinerland“, 1991), zu denen er ja aufgrund seiner eigenen Tätigkeit als jüdischer Religionslehrer berechtigt scheint. Haber, 1930 in Wien geboren, seit 1938 in Argentinien und Südamerika, übersiedelte 1971 nach Israel, blieb aber weiter der spanischsprachigen Welt verbunden und schreibt spanisch und deutsch. Den israelischen Alltag sieht er mit den Augen eines praktisch veranlagten Südamerikaners an, zum Teil auch mit den Augen eines Wiener Stadtkindes, das im groß gewordenen Tel Aviv das Vorhandensein einer nützlichen Einrichtung wie der Stadtbahn vermißt. Liebevoll setzt sich Haber mit den großen und kleinen Mißständen seines Landes und den Schwächen seiner Landsleute auseinander, wobei sich zeigt, daß die Probleme Israels in vielem den Problemen anderer von täglichen Autokolonnen verpesteter Länder gleichen. Es ist dieselbe wohlbekannte etwas gequälte Normalität, nach der man strebt. Spezifisch mögen in diesen Erzählungen vielleicht die besonderen Sprachschwierigkeiten sein, denen sich Neuzuwanderer aus aller Herren Länder ebenso wie Touristen ausgesetzt sehen. Stets wird ein alltäglicher Vorfall in einem flüssig zu lesenden Dialog (die wechselnden Identitäten der beteiligten Personen werden nach und nach klar) dargestellt und mit viel Witz abgehandelt. Die titelgebende Kurzgeschichte bezieht sich übrigens auf eine israelische Form des Schlangestehens bzw. des Vermeidens desselben auf Kosten anderer. - K.K. Heriberto Haber: „Ani Acharecha“ und andere israelische Erfindungen. Frankfurt/M.: R.G. Fischer 2002. 70S.