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„Es gibt keine Kerzen“, sagt die Frau hinter dem Ladentisch mit ihrem heitersten Lächeln. „Aber wozu brauchen Sie Kerzen? Jetzt bei der Sommerzeit gehen Sie um 9 Uhr ins Bett und stehen um 5 Uhr früh auf. Das ist eine sehr gesunde Lebensweise.“ Ja, es scheint, daß alle die Entbehrungen des täglichen Lebens im Kriege und sogar das Abschneiden der elementaren Bedürfnisse, Licht und Wasser neue erfinderische Kräfte in den Juden ausgelöst haben, ein Robinson Crusoe Geist, der entschlossen ist, sich Hilfsmittel in den schwierigsten Umständen ausdenken. Es gibt gedruckte Anweisungen mit Illustrationen, wie man mit der Wasserration, die sich die Hausfrauen in Eimern abholen, die verschiedensten Gebote der Reinlichkeit erfüllen kann, indem man das schon gebrauchte Wasser bis auf den letzten Tropfen verwendet. Es gibt eine Ausstellung eines Holzgasherdes, welcher den Primus und die elektrische Kopfplatte ersetzen kann. Inmitten all dieser Nöte blüht ein unverwüstlicher Optimismus, eine Bejahung des Daseins, ja ein gesteigertes Lebensgefühl. Feierliche Freude überragt den Alltag, verscheucht alle Furcht, das Bewußtsein den großen Augenblick der jüdischen Geschichte mitzuerleben. Zeitgendssisches Manuskript aus dem Nachlaß. Vgl. S. 44. Terror Es muß nicht der elfte September sein, es sind nicht die Zwillingstürme, es ist die heilige Stadt Jerusalem, die wieder einmal blutet, und eine blutjunge Terroristin sitzt auf einem blutigen Stein und spielt auf der Blockflöte das Adagio von Albinoni... Lieber Gott „Lieber Gott, kannst du nicht Frieden machen in Jerusalem?“ (Das sagt Noah, meine siebenjährige Enkelin.) Lieb? Bist du nicht — obwohl ich an deiner Existenz nicht zweifle... Wie könnte ich auch? Du hast uns doch mit Beweisen überschüttet: Die Streifen der Zebras, wie mit dem Lineal gezogen, die Vielfalt der Farben und Formen der Kreatur. Du, der cleverste Bauunternehmer, du, der einfallsreichste Architekt, du, der beste Maler und Bildhauer — lieb? Bist du nicht. Du wirfst deine unschuldigen Lebewesen in die unvollkommene Welt und rauchst deine Pfeife seelenruhig bei hermetisch abgeschlossenen Wolken. Sollen sie einander prügeln, die Gestreiften und Gepunkteten, Du Gott, hast das Deine getan. Der heilige Terrorist Er ist ein „Schahid“. Er wird auf fremden Auen sein neues Leben bauen, er wird auf göttliche Frauen mit toten Augen schauen und tauchen die tote Zunge in himmlischen Wein. Wer aber sammelt seine Glieder ein? Terror in Jerusalem Hier ist das Land, wo die Zitronen blühen, die Datteln, die Granaten glühen —- und explodieren... Es splittern die Fenster, es heulen Sirenen und Menschenfetzen schmücken kahle Bäume. Hier ist das Land, wo Milch und Honig fließen und Blut in kleine Bäche rinnt, das Land, das viele schon verließen, wir bleiben, weil wir müde sind... Eine halbe Welle... Eine halbe Welle und ein Häufchen Sand: Land. Ist es unser Land? Ein Dreiviertel Palme, etwas Staub, Steine, Felsen, Steine, Sonne, heiße Ruinen, Beduinen, Zelte, Sand. Ist es Euer Land? Shulamit Arnon, geboren 1929 in Königsberg, wuchs zum größten Teil in Berlin auf und emigrierte 1939 mit ihrer Familie nach Palästina. Sie lebte zuerst in Tel Aviv, danach zehn Jahre in einem Kibbuz und arbeitete ab 1960 als Lehrerin für Hebräisch in Jerusalem. Sie schrieb Hörspiele und arbeitete für den Rundfunk in Israel und Deutschland. Buchveröffentlichungen: Zwischen Tradition und Wagnis. Frauen aus Israel erzählen (1984); Die gläserne Brücke (Roman; Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch 1989). 43