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Sonettenreihe von zwölf Gedichten, eine fiktive Gestalt, von der es in einer Vorbemerkung heißt, daß sie im 16. Jahrhundert in einen jungen Italiener sich verliebte, und als dieser ihr Haus verließ, ihre sämtlichen Gedichte verbrannte. Nun ist es aber so, daß Lea Goldberg es verstand, diese strenge Form bei strikter Beibehaltung ihres Gesetzes gleichsam zu lockern und zu lösen Kraft einer Art gesprochener Sprache. Hören wir (in ungereimter Übersetzung) das zweite der Sonette aus dieser Reihe: Ich will nicht immer wieder jede Nacht im Traum dich sehen, will nicht zittern öffnet die Tür sich. Nicht denken an dich will ich zu jeder Zeit des Tags. Und in dem wachen, jungen Mädchenblick der Siebzehnjährigen will ich nicht sehn das Siegeslachen und den Stich und Hohn. Solch eine Liebe will ich, will ich nicht. Wie doch in gleichgültiger stiller Ruh lebt’ ich vorher vertrauensvoll und klug, mein reifes Alter trug ich ohne Scham, nicht jagte in den Nächten mich die Furcht — wie süß jedoch war jeder Augenblick Zusammenseins, und scheues Warten drauf. Nach hebräischer Zahlensymbolik (die Buchstaben haben Zahlenwert) heißt 14: Gold, und das Sonett mit seinen 14 Zeilen Goldgedicht. Der streng-freie Umgang mit dieser Form ermöglichte der Dichterin eine „Erfindung“: das dreizehnzeilige Sonett, wobei der fehlende Vers, wie bei einem Torso, voll Ausdruckskraft ist. 13 heißt: Liebe, und so dieses Sonett Liebesgedicht. Ein Beispiel in der Übersetzung von Ludwig Strauß: Du warst für mich wie Erde voller Segen, Darauf der Wanderer ohne Wanken schreitet, Ein Grund, den unbewußte Weisheit leitet, Bescheidnen Halm wie reiches Blühn zu pflegen. Du warst mir wie Vergeltung und Verzeihn Für allen Irrgang meiner schmerzenssatten Vergangenheit. Geschmiegt in deinen Schatten, So kniet ich hin wie an den Bach vorm Hain. Von Demut und von Güte sanft erhellt, Träufte auf mich dein Aug das Licht der Welt So wie auf einem Zweig ein Tröpfchen Tau, — Drin klare Ferne ist, entwölktes Blau Und des durchflogenen Himmels hohes Zelt. Hoher Stil und Einfaches Leben halten sich die Waage. AufschluBreich fiir die Poetik der Dichterin ist das ,, Trépfchen Tau“, in dem sich „Ferne“ und des „Himmels hohes Zelt‘ spiegeln. Es ist das Kleine, Unscheinbare, das das „Große“ enthält. Sonette finden wir in zwei Bänden: In Vom Blühen und in Blitz am Morgen, beide aus den vierziger und fünfziger Jahren. Nach dem Furchtbaren des Zweiten Weltkriegs scheint die Dichterin in dieser Form etwas Behütetes, Bewahrendes, dem 48 Untergang Entgegengesetztes gefunden zu haben. Im späteren Werk finden wir keine Sonette mehr. Als Ludwig Strauß 1950 starb, erhielt Lea Goldberg seine Lehrstelle an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Später gründete sie da das Seminar für Komparatistik, das sie bis zu ihrem frühen Tod 1970 leitete. Ihre Vorlesungen füllten das Auditorium bis zum letzten Platz. Im letzten Band, den die Dichterin veröffentlichte, Mit dieser Nacht (einen Band mit Gedichten aus dem Nachlaß gab ich nach ihrem Ableben heraus) steht das Gedicht, das dem Band seinen Namen gab. Es lautet: Mit dieser Nacht und all ihrem Schweigen mit dieser Nacht — Mit drei Sternen die verlorengingen zwischen Bäumen mit diesem Wind. Mit diesem Wind der stehenblieb zu lauschen dieser Nacht — Mit dieser Nacht und drei Sternen und diesem Wind. Ich schrieb an anderer Stelle: /st Lyrik ein Sprachmodus, der uns die Grenze zwischen sprachlichem Subjekt und Nichtsprachlichem vergessen läßt, wo es keine Scheidewand mehr gibt zwischen sprechendem Ich und dem Nicht-Ich — es wird Eins mit der Welt —, dann ist dieses Gedicht eines der lyrischsten, denen ich, besonders im Hebräischen, begegnet bin. Das Sprechen ist fast ein Flüstern. Die Sprache ist von all ihren Regeln so frei geworden, daß sie ihre Prädikate sowohl zeigen wie auch verbergen kann und dann über das Subjekt nichts mehr aussagt. Es gibt zwar Nebensätze: ‚die verlorengingen', ‚der stehenblieb', ‚zu lauschen’, sie lassen aber kaum noch eine Abhängigkeit verspüren, da ihre Hauptsätze elliptisch sind. Ganz wenige Worte mit unvorhergesehenem Refrain beschwören wie ein später Nachhall eines Zauberspruchs Nacht und Sterne und Wind, die dadurch zu ganz starken Wesenheiten werden. Und dabei sind es etwas suspekte Substantive: Nacht, Sterne und Wind sind poetisch aufgeladene, abgenützte Nomina der Dichtung. Hier wurden sie Musik. Dennoch wird hier auch ein visuell völlig präzises Bild wiedergegeben: die drei Sterne gingen verloren, als der Wind die Baumwipfel vor sie schob und sie erscheinen wieder, als der Wind „stehenblieb“, zu wehen aufhörte. Solche Präzision zeichnet die Lyrik dieser Dichterin überall aus. Ihre Gedichte sind nicht nur „sehr schön“, sie haben auch nichts „Falsches“. Tuvia Rübner, geb. 1924 in Bratislava, lebt seit 1941 als Lyriker und Literaturwissenschaftler im Kibbuz Merchavia in Israel. Er veröffentlichte eine hebräische Monographie über Lea Goldberg und gab auf Hebräisch ihre gesammelten Schriften heraus. 1990 edierte er den Briefwechsel zwischen Martin Buber und Ludwig Strauss. Bei Piper und im Rimbaud Verlag veröffentlichte er mehrere Lyrikbände.