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Anmerkungen Die Übersetzungen der Gedichte, wenn nicht anders angegeben (Ludwig Strauß) stammen von mir. Die Gedichte von Avraham Ben Yitzhak sind unter dem Titel: Es entfernen sich die Dinge von Efrat Gal-Ed und Christoph Meckel übersetzt und herausgegeben 1994 im Hanser-Verlag erschienen. 1 Sonne veröffentlichte unter dem Pseudonym Avraham Ben Yitzhak im ganzen zwölf Gedichte in verschiedenen Zeitschriften bis ungefähr 1930, die neu zu drucken er verbot (eine größere Anzahl wurde in seinem Nachlaß gefunden, vollendete und unvollendete, und später herausgegeben), und trotz dieser geringen Zahl publizierter Gedichte zählt er zu den Wegbereitern der israelischen Moderne und zu den bedeutendsten neuhebräischen Lyrikern überhaupt. Er war eng befreundet mit Hermann Broch, und Elias Canetti hat ihm die vielleicht schönsten Seiten im dritten Band seiner dreiteiligen Autobiographie Das Augenspiel gewidmet. Sonne (welch leuchtender Name!), in Galizien gebürtig, lebte lange Jahre in Wien, bis er von 1919-1921 nach London berufen wurde, um das Amt eines Generalsekretärs der Zionistischen Weltorganisation zu übernehmen, das er enttäuscht wieder aufgab. Er lebte danach in Wien und ab 1938 in Jerusalem, wo er bis zu seinem Tod 1950 ein zurückgezogenes Junggesellenleben führte. 2 Siehe: Gesammelte Werke 3/2. Lyrik und Übertragungen. Göttingen: Wallstein 2000. Vor einigen Jahren brach der bekannte israelische Literaturwissenschafter und -kritiker Dan Miron in Israel eine heftige Diskussion vom Zaun, weil er behauptete, daß die Schriftsteller, die zur Generation der Zeit der Staatsgründung gehörten, also jene, die in den 1930er Jahren geboren oder als Kinder ins Land gebracht worden sind, ihre schöpferische Substanz verloren, und — nur auf den Geschmack des Lesers ausgerichtet — Bestseller produzierten, wobei sie unmerklich der nächsten, jüngeren Schriftstellergeneration Platz machten.' Damit brach dieser Kritiker den Stab über bekannte, auch im Ausland viel gelesene Schriftsteller wie Amos Oz, A.B. Jehoschua, aber auch jüngere wie Meir Shalev und David Grossmann, die er alle namentlich nannte. Ohne auf die Einzelheiten der Diskussion einzugehen, ist zu beachten, daß Dan Miron einen Vertreter dieser Generation mit seiner Kritik nicht nur verschont, sondern dessen Werk als immer reifer werdend besonders würdigt: es geht um das literarische Schaffen Aharon Appelfelds, eines Autors hebräischer Sprache, von dessen Gesamtwerk, bestehend aus Romanen, Erzählungen und Essays, ein großer Teil in mehrere Sprachen Europas, vor allem ins Deutsche, übersetzt worden ist. Der DTV Verlag plant eine Gesamtausgabe der Werke Appelfelds. Seine Leserschaft ist vermutlich im Ausland größer als in Israel. Aharon Appelfeld wurde 1932 in Czernowitz, in der Bukowina (Rumänien), geboren und wuchs in einer völlig assimilierten, sehr liberalen und gutsituierten jüdischen Familie auf. Das grausame Schicksal, das über die Juden Europas und besonders Osteuropas hereinbrach, trennte ihn von seinen Eltern, als er acht Jahre alt war. Nachdem ihm die Flucht aus einem Lager der Deutschen gelungen war, wanderte er als Kind in den Wäldern Osteuropas umher, ehe er ins damalige Palästina gelangte. Als noch kaum Erwachsener nahm er nach der Gründung des Staates Israel als Kurier am Unabhängigkeitskrieg 1948/49 teil. Danach studierte er hebräische und jiddische Literatur, hatte mehrere Jahre lang eine Professur für hebräische Literatur an der Universität Beer Sheva und hielt auch Vorlesungen an verschiedenen ausländischen Universitäten, so in Harvard und Oxford. Diese Angaben zeigen den wesentlichen Unterschied zwischen Appelfelds Biographie und jener bekannter israelischer Schriftstellerkollegen seiner Generation. Während die älteren unter ihnen von der Zeit des Widerstandes gegen die Träger der englischen Mandatsmacht in Palästina und des Unabhängigkeitskrieges geprägt worden sind, hat Appelfeld noch als Kind das Schicksal als Flüchtling in seiner ganzen Härte erlebt. Die schwere Last von Erinnerungen an seine Wanderzeit — wobei sich seine eigenen Bilder und Erlebnisse vermischten mit dem, was er auf seinen Wanderungen über andere und von anderen gehört hatte — ist seine Prägung. Aber auch die Landschaft und die Atmosphäre der Welt seiner frühen Kindheit in der Bukowina ist in manchen seiner Werke reflektiert, ohne daß sie allerdings zum Thema werden, geht es ihm doch um den Menschen schlechthin, der sich in Grenzsituationen seines Lebens befindet. Diese biographischen Bedingtheiten bestimmen auch die Sprache, in der er seine Thematik vermittelt. Die sprachliche Umgebung, in der Appelfeld aufwuchs, war deutsch. Die hebräische Sprache begann er erst zu lernen, als er als Dreizehnjähriger ins Land kam. Statt also als Kind organisch in die Sprache seines späteren literarischen Schaffens hineinzuwachsen, mußte er sich seinen eigenen hebräischen Stil erst erarbeiten. Man warf ihm zunächst seine zu einfache Sprache vor. Appelfeld jedoch vermied bewußt und konsequent Symbole, die eine Assoziationskette aus der Tiefe der jüdischen Tradition heraufbeschworen, was dagegen seine im Lande geborenen Kollegen beherrschten und pflegten. Für ihn muß das Schreiben, wie er mir einmal in einem längeren Gespräch sagte, „der Sache, die man behandelt, dienen, und soll nicht Welten hineinziehen, die mit der Sache nichts zu tun haben.‘ Seine Konzentration auf den Themenbereich des Holocaust ist Resultat eines nicht endenwollenden Erzählstoffes, dessen literarische Umsetzung ihm mit dem Einsatz immer verfeinerter Ausdrucksmittel, der Öffnung immer neuer Aspekte und der Darstellung überraschender Handlungsabläufe gelang. Seine Thematik ist einerseits die Krise und der Zerfall der jüdischen Gesellschaft Europas im Vorfeld des Holocaust, Inhalt des Romans Badenheim, dieser beklemmenden Diagnose des Vorspiels zur großen Katastrophe.’ Den breiteren Raum aber nehmen jene Erzählungen ein, die den Holocaust zwar nicht in seinem Vollzug in den Lagern, aber als Ursache und Folge aufscheinen lassen. Das ist zum Beispiel aufüberraschende Weise der Fall in der noch nicht ins Deutsche übertragenen Erzählung 49