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abgerissen, die Füße abgebissen, den Bauch aufgeschlitzt, vielleicht haben sie sich auch gegenseitig vergiftet. Einige wurden von irgendeinem großen Insekt getötet, das plötzlich brummend und summend in die geöffnete Dose hinein flog und gleich wieder davonflog. Zum Schluß ist nur eine einzige Ameise am Leben geblieben. Sie war ganz sicher die‘ größte und stärkste! Wir haben sie an den Fuß der Hausmauer gelegt, damit sie hinauf kriecht. Sie verdient eine Krone! Aber sie hat kein Volk mehr!“ In Freiburg fand vom 28. März bis 1. April 2001 eine Tagung unter dem Motto „Fremde und Identität“ statt, an der ich teilnahm. Da wir in Palästina-Israel Eingewanderten uns als Heimkehrer ins Ursprungsland betrachten, löste nur der Begriff Identität bei mir Überlegungen aus. Identität bedeutet Zugehörigkeit, nicht nur, aber hauptsächlich zu einer bestimmten Kultur. Kultur schließt Sprache ein. Wie ist dann unsere Identität, die Identität der in deutscher Sprache schreibenden Autoren in Israel, einem Land mit hebräischer Sprache und Kultur? Gibt es bei unseren Autoren in deutscher Sprache eine Identitätsspaltung? Die Antwort ist ein kategorisches Nein, unsere Identität ist israelisch. Die Sprache dient uns nur als literarische Ausdrucksmöglichkeit. Die in den frühen 1930er Jahren Eingewanderten aus den deutschen Sprachgebieten Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei waren zumeist Zionisten, für die nach 1938 Eingewanderten bildete Palästina eine letzte Zuflucht. Soweit sie als Kinder ins Land kamen wie Jehuda Amichai, Nathan Zach und Ruth Almog integrierten sie sich in die hebräische Sprache und wurden bekannte hebräische Schriftsteller. Für die Älteren war der Übergang zur neuen Sprache schwer, noch schwerer war er als literarische Ausdrucksmöglichkeit, besonders in der Lyrik. Die bekannten Ausnahmen in der Weltliteratur sind Vladimir Nabokov und Joseph Conrad. Schalom BenChorin sagte: „Aus einem Land kann man auswandern, aber nicht aus einer Muttersprache“. Musik, Malerei, Tanz sind international verständliche Kunstformen. Im Theater sind Texte erlernbar, wie das aus russischen Einwanderern gegründete Gescher Theater in Tel-Aviv bewies. Das Instrument des Schriftstellers ist die Sprache, sie dient ihm als alleinige Ausdrucksmöglichkeit. In Palästina hatten die deutschschreibenden Autoren keine Möglichkeiten zur Publikation. Die Ablehnung, ja Feindseligkeit gegen die deutsche Sprache war groß. Sie verstärkte sich als die Überlebenden der Todeslager ins Land kamen. Für sie verband sich die Sprache mit furchtbaren Assoziationen, sie war die Sprache der Quäler und Mörder. Die Verbindung zu Verlegern und Publikum während der nationalsozialistischen Zeit war natürlich ausgeschlossen; man denke nur an die Bücherverbrennungen. Das bedeutete für die deutschschreibenden Autoren Palästina-Israels, daß sie keine Verleger und kein Leserpublikum hatten, weder in Israel noch im Ausland. Später konnten sie sich als Unbekannte, fern vom deutschen Sprachgebiet, nicht durchsetzen. Eine Ausnahme bildeten der schon anerkannte Max Brod, der erfolgreich weiterschrieb, der Religionsphilosoph Schalom Ben-Chorin und die spät bekannt gewordene Jenny Aloni, für die in ihrer Geburtsstadt Paderborn ein Archiv an der Universität gegründet wurde. Der Verband deutschschreibender Schriftsteller in Israel Auch der Staat Israel lehnte die mitgebrachten Sprachen und Gebräuche ab, um möglichst schnell durch die hebräische Sprache eine gemeinsame israelische Identität zu schaffen. Erst 1975 war es möglich den deutschschreibenden Schriftstellerverband sowie elf anderssprachige Verbände zu gründen. Man war zu der Einsicht gelangt, daß es in Israel als Einwanderungsland eine pluralistische Bevölkerung gab, deren Kultureinflüsse die eigene Kultur bereichern. Der Initiator des Verbandes war Meir Marcell Faerber, ein aus MährischOstrau stammender Journalist und Schriftsteller, der seit 1934 im Land lebte. Nach seinem Tod 1992 wurde Prof. Margarita Pazi Vorsitzende, seit ihrem Ableben 1997 ist Josef Norbert Rudel, der Chefredakteur der Stimme, der Monatsschrift der Bukowiner, Vorsitzender des Verbandes. Dieser ist an den Dachverband für anderssprachige Autoren und an den Israelischen Schriftstellerverband angeschlossen. Er wuchs von 27 Mitgliedern bei der Gründung auf die Zahl von 61 Autoren an, denn in diesen Jahren gab es in Israel eine ansehnliche Zahl von Autoren, die deutsch schrieben. Heute sind es durch die altersmäßig Verstorbenen nur mehr 30 Mitglieder, fünf korrespondierende und ein Ehrenmitglied, Heinz Bleicher vom Bleicher Verlag, der sich viele Verdienste um die Publikation deutschsprachiger Literatur aus Israel erworben hat. Zu Beginn des Jahres 1975 verschickte der Verband sein erstes Rundschreiben mit Informationen über Neuerscheinungen der Mitglieder, Pressebeiträge, Vorträge, Lesungen und Anthologien. Bis zum Jahr 2001 wurden 123 Rundschreiben versandt. Einzelne Mitglieder des Verbandes sind auch Mitglieder anderer Schriftstellerverbände, des PEN-Clubs, der Else LaskerSchüler-Gesellschaft und der Regensburger Schriftsteller Gesellschaft International. Auch Autoren des Lyris Kreises in Jerusalem gehören dem Verband an. Es fanden jährliche Studientage des Dachverbandes für alle angeschlossenen anderssprachigen Verbände mit Subvention des Kultur- und Erziehungsministeriums statt, bis zu der großen russischen Einwanderung, die größere materielle Unterstützung ihrer zahlreichen Schriftsteller erforderte. 1981 begann Tilly Boesche-Zacharow, korrespondierendes Mitglied unseres Verbandes, die Zeitschrift Silhouette herauszugeben, die hauptsächlich deutschschreibende Autoren aus Israel veröffentlichte. Danach verlegte sie kleine Lyrikbändchen der Mitglieder des Verbandes. Armin A. Wallas von der Universität Klagenfurt, korrespondierendes Mitglied des Verbandes, widmete den israeli61