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Nachrichten für ihre Lieben. Als ich wieder auf der Straße war, versprach mir mein Beschützer, er werde veranlassen, daß Jakob zu essen bekomme und nicht mehr in den Keller gebracht werde. Ich solle morgen nicht kommen, denn er werde Jakob zu mir nach Hause bringen, nachdem er den Akt mit Jakobs Geständnis vernichtet habe. Das klang unglaublich. Der Mann ist ein Lügner, dachte ich mir, ein Wichtigtuer. Doch welche Wahl hatte ich? Und wenn er hält, was er verspricht, wieviel wird es kosten? Und wenn wir das Geld nicht aufbringen, was wird dann aus Jakob? Mit diesen Gedanken und Befürchtungen kam ich nach Hause. Viel Zeit zum Erzählen hatte ich nicht, ich mußte die Zettel mit den Nachrichten verteilen gehen. Mein Vater, meine Mutter und ich sortierten die Zettel; wir liefen durch die dunklen Gassen des Judenviertels. Wir kamen heil zurück. Am nächsten Morgen sagte ich mir: Du bist einem Betrüger ins Netz gegangen, jetzt weiß er, wo wir wohnen. Wer weiß, was er mit uns vorhat? So verging die Zeit zwischen Bangen und Hoffen. Gegen Mittag läutete es an der Tür, und Jakob, an der Hand seines Schutzengels, stand vor ihr. Nach einer stürmischen Begrüßung schickten wir Jakob ins Badezimmer. Er war seit Wochen ungewaschen und total verlaust, genoß das heiße Bad, die frische Wäsche und Kleidung, die wir für ihn zusammengesucht hatten. Währenddessen saßen wir mit unserem Schutzengel zusammen, und ich fing an, ihn in einem günstigeren Licht zu sehen. In unserer gemütlichen Wohnküche, nebenan Jakob, der zufrieden in der Badewanne planschte, schien uns die Zukunft mit einem Mal rosiger. Wir redeten über gemeinsame Bekannte aus unseren Fachkreisen, den Goldschmieden. Endlich faßte ich Mut, die Frage zu stellen: „Was wird uns diese Rettung kosten?“ Seine Antwort war: „Sagen Sie, was Sie geben können, ich will für mich nichts. Aber den Polizisten muß ich etwas geben.“ Ich gab ihm die Doxa-Uhr, die ich trug, und einige Gramm Zahngold. Er nahm es, es war natürlich sehr wenig. Er sagte nichts dazu, doch versprach er, am nächsten Tag wiederzukommen, um für Jakob eine Legitimation zu bringen. (Für dieses Dokument, das einen berechtigte, in Czernowitz zu bleiben, waren Juden bereit, Tausende Dollar zu zahlen; trotzdem war es fast nicht zu bekommen.) Wie versprochen erschien er am nächsten Tag und brachte die Legitimation. Danach haben wir nichts mehr von ihm gehört. Wir hatten unsere Überlebensprobleme, in Czernowitz wurde das Getto eingerichtet, dann kamen die Deportationen, dann retteten wir uns, indem wir aus dem Zug sprangen, der uns und Tausende andere ins Lager nach Transnistrien bringen sollte. Jakob war die ganze Zeit mit uns. Seine unglaubliche Rettung verblaßte angesichts der schrecklichen Ereignisse, die folgten. Jakob teilte unser Schicksal, auch er wurde nicht ins Lager deportiert. Gegen Ende des Jahres 1944 rückten die russischen Truppen heran, kämpften die Reste der geschlagenen deutschen Armee nieder, schließlich waren die russischen Zivilbehörden da, und wir waren wieder Sowjetbürger. Die Juden, die die Lager überlebt hatten, kehrten zurück, darunter auch eine Cousine von Jakob und von mir. Sie heirateten, bekamen einen Sohn und eine Tochter. Anfang der 1960er Jahre übersiedelten sie nach Israel. Jakobs Sohn Mosche ging zur Armee und fiel im Sechstagekrieg. 64 Jakob lebt heute in Rechowot, ist seit einigen Jahren Witwer, seine Tochter lebt mit ihrem Mann und mit drei erwachsenen Söhnen ganz in seiner Nähe. Er hat den Verlust des Sohnes nicht verwunden. Wir treffen Jakob an Feiertagen oder bei Familienfesten. Bei diesen Besuchen sprechen wir oft von seiner unglaublichen Rettung durch jenen Menschen, der Unglaubliches, Unmögliches vollbracht hat. Wir sprachen auch davon, daß wir gerne gewußt hätten, was aus ihm geworden sei. Der Zufall kam uns zu Hilfe. Ich war mit meinem Mann nach Rumänien in einen bekannten Badeort zur Kur gefahren. Im Hotel trafen wir viele Bekannte, frühere Czernowitzer und jetzt gleich uns TelAviver. Abends saß man in der Lobby des Hotels und unterhielt sich. Eines Abends gesellte sich ein Neuankömmling hinzu. Es war der Mann, der meinem Cousin Jakob das Leben gerettet hatte. Ich erinnerte ihn an die Geschichte, er aber konnte sich an nichts erinnern, was kein Wunder war nach all dem, was er durchgemacht hatte. Er erzählte, ganz frei von sich aus, daß er, nach der Rückkehr der Russen, als Konfident der rumänischen Polizei zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden sei und diese Zeit in Sibirien abgesessen habe. Nach seiner Freilassung lebte er noch Jahre weiter mit einer Russin in Sibirien, sie hatten eine Tochter, an der er sehr hing. Eines Tages entschloß er sich, Frau und Tochter zu verlassen, und ging als Neueinwanderer nach Tel-Aviv. Er erfuhr, daß in Italien ein Mann lebe, dem er seinerzeit geholfen hatte. Er nahm Verbindung mit dem Mann auf, der ihm eine große Summe Geld als Dank für seine damalige Errettung schickte. Mit dem Geld begann er einen Handel mit antikem Schmuck. Er sagte, er sei jetzt ein wohlhabender Mann, der sich alles leisten könne, ohne weiter arbeiten zu müssen, doch sei er außerstande, ein geordnetes, ruhiges Leben zu führen, ihn fasziniere die Gefahr, die er ein Leben lang gesucht habe. Er erzählte auch von großen, gewagten Geschäften, die er in Aussicht habe. Am nächsten Tag war er nicht mehr im Hotel, auch in Tel-Aviv haben wir ihn nicht mehr gesehen. Da wir selber auch ein Gold- und Antiquitätengeschäft betrieben, hörten wir ab und zu seinen Namen, wenn von zweifelhaften Geschäften die Rede war. Vor einigen Jahren soll er in TelAviv gestorben sein. Sidi Gross, geb. 1921 in Stanestie, in der Nähe von Czernowitz, als Sidonie Müller. Ihr Vater war Gerichtsbeamter. Nach der Volksschule ging sie zusammen mit der Schwester nach Czernowitz aufs Lyzeum, dann in die Handelsschule. Später, fast gegen den Willen der Eltern, begann sie eine Goldschmiedelehre. Im ersten „Russenjahr“ 1940-41 arbeitete sie in einem verstaatlichten Betrieb. Mit 19 Heirat mit Berthold Gross (verstorben 1986). 1941, nach dem deutsch-rumänischen Einmarsch, ins Getto getrieben, sollte sie von dort nach Transnistrien deportiert werden. Sidi Gross rettete ihre Familie vor der Deportation, weil sie als Goldschmied gebraucht wurde und daher als „wirtschaftlich wertvoll“ galt. Im März 1946 Ausreise nach Bukarest; Arbeit als Goldschmied. 1949 ging sie nach Wien, im Juni 1950 nach Haifa. In Israel 15 Jahre in verschiedenen Goldschmiedewerkstätten, dann Mitinhaberin eines Ladens für antiken Schmuck. 1995 veröffentlichte sie in Tel Aviv ein Buch über ihren Onkel: „General Manfred Stern alias Emilio Kleber“ (General im Spanischen Bürgerkrieg). Zahlreiche Publikationen im Mitteilungsblatt des Irgun Olei Merkas Europa und der „Stimme“ (Tel Aviv) sowie in ZW.