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Helmut Kusdat Rosa Roth-Zuckermann zur Erinnerung Rosa Roth-Zuckermann wurde am 4. Dezember 1908 als Rosa Roth in Czernowitz geboren. Die von ihrem Landsmann Gregor von Rezzori ironisch geprägte Selbstbezeichnung „Epochenverschlepper“, für jemanden, der Epochengrenzen, scheinbare historische Brüche durch seine schlichte Fortexistenz verwischt, negiert, traf auch auf sie zu. Zur Zeit ihrer Geburt war die Bukowina ein österreichisches Kronland, der Kaiser feierte sein 60jähriges Regierunsjubiläum und in Czernowitz war soeben das prächtige ‚„Jüdische Haus’ fertiggestellt worden. Rosas Eltern betrieben in der Vorstadt eine bescheidene Greißlerei. Miteinander sprachen sie jiddisch, wollten aber ihren drei Söhnen und der Tochter Rosa eine höhere Schulbildung angedeihen lassen, und so wurde mit den Kindern nur deutsch gesprochen. Rosa konnte das Gymnasium besuchen und studierte Philologie. — 1932 heiratete sie ihren Studienkollegen Abraham Hochstädt, mit dem sie einen Sohn hatte. Als Jüdin konnte sie im rumänischen Czernowitz der Zwischenkriegszeit ihren Beruf als Sprachlehrerin nicht in einer staatlichen Schule ausüben. Sie gab daher Privatunterricht. Diese Privatstunden, in denen sie Generationen von Czernowitzern die deutsche, englische und französische Sprache und Literatur näher brachte, sollten sie über 70 Jahre lang, bis wenige Tage vor ihrem Tod, über die materielle Notwendigkeit hinaus, geistig jung und rege halten. Im Sommer 1941 wurde die Familie Hochstädt, wie viele Tausende andere Bukowiner, in die Lager Transnistriens deportiert. Innerhalb eines Monats verlor Rosa ihre Eltern, ihren Mann und ihren kleinen Sohn. 1944 kehrte sie allein nach Czernowitz zurück. Sie begann ein zweites Leben im nunmehr sowjetischen Czernowitz. Sie erhielt einen Posten als Sprachlehrerin, heiratete Martin Zuckermann und wurde wieder Mutter eines Sohnes. 1956 wurde sie im Zuge „antizionistischer Säuberungen“ entlassen. Es blieben ihr die Privatstunden. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und das wachsende Interesse am „Phänomen Czernowitz“ beeinflußte auch Rosas Leben. So konnte sie 1996 mit ihrer Jugendfreundin Lydia Harnik Wien, das sie zuletzt 1919 gesehen hatte, besuchen. Sie verstand sich als „Österreicherin“ in einem umfassenden, übernationalen Sinn und beeindruckte damit ihre Gesprächspartner. Als eine der letzten in der Heimat verbliebenen „Alt-Czernowitzerinnen“ wurde ihr in den letzten zehn Jahren zunehmend eine Rolle als Zeitzeugin zugedacht, die sie bravourös bewältigte. Ihr phänomenales Gedächtnis und ihr klarer, unverstellter Blick machten sie zur begehrten Gesprächspartnerin für Besucher aus aller Welt: Literaturwissenschaftlern, Historikern, Journalisten und sogar Touristen stand sie Rede und Antwort und vermittelte ihnen eine authentische Vorstellung vom alten Czernowitz. Rosas Fähigkeit, all diesen Menschen das Gefühl zu geben, ihre ganz besonderen Gäste zu sein, und die Geduld, mit der sie die immer gleichen, oft schmerzlich berührenden Fragen beantwortete, waren bewundernswert. 1998 wurde über sie und ihren Landsmann Mathias Zwilling, dem sie lange Jahre freundschaftlich verbunden war, ein Dokumentarfilm gedreht, der für viele Menschen in Westeuropa nachhaltig das Bild von ihr und ihrer geliebten Vaterstadt geprägt hat, wenn auch nicht in ihrem Sinne. Alle, die sie kennenlernen durften, wird sie als großherzige und starke Frau in Erinnerung bleiben, die trotz schwerer Schicksalsschläge anderen Menschen ihre Lebensfreude und Weisheit mitzuteilen vermochte. Wenige Wochen vor ihrem Tod antwortete sie auf eine Frage nach ihrer Identität: „Ich habe viele Leben gelebt, ein österreichisches, ein rumänisches, ein staatenloses und allen Gewalten des Schicksals ausgeliefertes, ein sowjetisches und jetzt ein ukrainisches Leben. Sterben werde ich als Jüdin, und auf dem jüdischen Friedhof von Czernowitz werde ich begraben sein.“ Rosa Roth-Zuckermann starb am 20. April 2002 in Czernowitz. Madeline Buchsbaum Sonia Wachstein (1907 — 2001) Sonia Wachstein, Lehrerin, Sozialarbeiterin, Psychotherapeutin, Freundin der Flüchtlinge, die selbst aus ihrem Heimatland Österreich 1938 nach der Nazi-Okkupation fliehen mußte, starb am 10. August 2001 in ihrem Heim East Village (New York) an Lungenkrebs. Sie war 93 Jahre alt. Sonia Wachstein wurde 1907 als zweites Kind von Marie und Bernhard Wachstein in Wien geboren. Ihr Vater, Doktor der Philosophie, war Historiker, Spezialist für den Nahen Osten, Direktor der Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und Verfasser einiger wissenschaftlicher Werke über die Inschriften auf den Grabsteinen jüdischer Friedhöfe in Österreich. Seine Beschreibung des jüdischen Friedhofs von Wien war so akribisch, daß sie dazu benützt wurde, den Friedhof nach seiner Verwüstung durch die Nazis zu restaurieren. Sonia Wachsteins Erfahrungen mit dem Antisemitismus und ihr Aufwachsen als Jüden in Wien vor dem 2. Weltkrieg sind ihrer 1996 erschienen Autobiographie Hagenberggasse 49. Erinnerungen an eine Wiener Jüdische Kindheit und Jugend (vgl. die Besprechung von E. Adunka in MdZ Nr. 4/1996, S. 25 f.) dokumentiert. Eine englische Ubersetzung ist übrigens Ende 2001 erschienen. Als Jugendliche schloß sie sich der sozialistischen Jugendbewegung an. Bis zu ihrem Tod blieb sie politisch aktiv und leidenschaftlich interessiert an den Fragen der Menschenrechte und der Rechte der Tiere. Sie war Vegetarierin und eine begeisterte Kunstliebhaberin. Nachdem sie am Reformrealgymnasium für Mädchen maturiert hatte, begann sie ein Studium an der Universität Wien und betätigte sich gleichzeitig ein Jahr lang als Berufsschauspielerin. Sie machte ihren Doktor aufgrund von Studien der Anglistik und Germanistik im Jahre 1932 und unterrichtete fünf Jahre Englisch am Chajes-Gymnasium, der einzigen jüdischen Mittelschule in Wien. Sie war eine anregende Lehrerin, die mit ihren Schülern in Verbindung blieb, und die einzige Lehrerin, die 1992 in Wien ihre Schüler wieder treffen konnte. Nach dem Februar 1934 wurde die sozialdemokratische Partei verboten und in die Illegalität gedrängt; es bildeten sich die Revolutionären Sozialisten. Dr. Wachstein nahm an Versammlungen teil und verbarg SchutzbundKämpfer in der Wohnung ihrer Eltern. Nachdem 1938 das Chajes-Gymnasium geschlossen und ihr Bruder Max, ein Physiker, festgenommen und nach Dachau deportiert wurde, gelang ihr die Emigration nach England. Zu dieser Zeit durften die Flüchtlinge nur im Haushalt arbeiten, aber für Dr. Wachstein wurde eine Ausnahme gemacht, weil es ein dringendes Bedürfnis gab, den deutschsprachigen Flüchtlingen Englisch beizubringen. Einer ihrer Schüler war Shmul Ziegelbojm, ein bekannter Führer der polnischen jüdischsozialistischen Bundes. Er beging später Selbstmord, da er Churchill und Roosevelt nicht zu einer militärischen Intervention zugunsten der bedrohten europäischen Juden bewegen konnte. Sonia Wachstein betreute auch Kinder aus Deutschland und Österreich, die durch die „Kindertransporte“ nach England gekommen waren. Bis 1944 war sie in England Lehrerin an einer vom jüdischen Flüchtlingskomitee unterhaltenen Schule. 1944 verließ sie England, um mit ihrer Familie in den USA wieder zusammenzutref71