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fen. Noch einmal mußte sie alle Schwierigkeiten eines neuangekommenen Einwanderers auf sich nehmen, doch sie verstand es, durch Deutschunterricht am Vassar College, Brooklyn College und an der New York University für ihren Unterhalt zu sorgen, bevor sie sich dann für ein Studium der psychiatrischen Sozialarbeit entschied, ein Gebiet, das sie schon lange interessiert hatte. Sie graduierte 1947 an der Schule für Sozialarbeit am Bryn Mawr College. Von 1952 bis zu ihrer Pensionierung 1977 arbeitete sie als Sozialarbeiterin für das pädagogische Büro beim Erziehungsrat von New York und war Verfasserin einer großen Anzahl von Artikeln über emotionale Störungen bei Kindern. Während eines Karenzjahres lehrte sie 1985 als Fulbrightprofessor in Lima, Peru. Dr. Wachstein betrieb außerdem bis zu ihrem 90. Lebensjahr eine private psychotherapeutische Praxis, wo sie vor allem mit erwachsenen Patienten arbeitete, die sich die hohen Kosten einer Psychotherapie nicht leisten konnten. Als Dr. Wachstein aufgrund einer Netzhautdegeneration praktisch erblindet war, mußte sie die Malerei aufgeben, der ihre lebenslange Liebe gegolten hatte; aber sie reiste weiterhin sehr viel. Sie sprach fünf Sprachen. Bescheiden in ihren Ansprüchen, verstand sie es, sehr billig zu reisen — so fuhr sie auf der Ladefläche eines Schweinetransporters quer durch die Dominikanische Republik. Damals war sie siebzig Jahre alt. Dr. Wachstein blieb immerzu tätig: Sie lehrte russische Emigranten Englisch, ging zu Vorlesungen auf die New School und schrieb eine Reihe autobiographischer Erinnerungen, ehe sie im Frühjahr 2001 erkrankte. Peter Gstettner Persönliches und Politisches in Erinnerung an Janez Wutte-Luc Für Luc war es selbstverständlich, in der vordersten Reihe zu sein. Er flößte Respekt ein; auch bei unseren Studentinnen, die mit mir bei Gedenkveranstaltungen waren. Das war auch vor zwei Jahren am Per$manhof so. Luc saß in der ersten Reihe und es war ihm kaum anzumerken, wie es um ihn stand. Wenn ich die Fotos in meinem Album betrachte, dann kommt immer wieder der Per$manhof ins Bild. Vor zehn Jahren hat am Persmanhof noch Milena Gröblacher für uns die Jause gerichtet. Da waren die Studierenden aus Paderborn mit dabei, im „interkulturellen Austausch“. Sie erzählen heute noch gerne von der Begegnung mit den Widerstandskämpferinnen und Partisanen in Kärnten. Sie fragten damals verwundert, warum unsere Studierenden, vor allem die Kärntner SlowenInnen, nicht stolz darauf wären, daß es 72 hier einen bewaffneten Widerstand gegen die Nazis gegeben habe. Ich versuchte es mit komplizierten historischen Erklärungen... Es ist ein Verlust für uns alle, wenn solche Menschen uns verlassen, die uns daran erinnern, daß Widerstand möglich und die einzige Form ist, dem Nazitum zu begegnen, ein Widerstand, durch den Menschen ihre Selbstachtung und Würde bewahren konnten. Die Geschichte dieser bewundernswerten, mutigen Menschen vergeht nicht, denn sie sagt uns heute mehr als die „offizielle Geschichte“. Ich glaube, Luc hat uns so — und nicht nur den Kärntner Sloweninnen - ein Vermächtnis hinterlassen: den aufrechten Gang. Er war unbeugsam im Widerstand und dennoch dem Mitmenschen in Mitgefühl zugewandt. „60 Jahre Vertreibung und Widerstand/pregnanstva in upora“ — es war eine würdige Gedenkfeier am 14. April 2002 im Konzerthaus in Klagenfürt/Celovec, bei der auch an Luc gedacht wurde. „Vertreibung und Widerstand“, beide historischen Ereignisse haben etwas miteinander zu tun. Dennoch gibt es einen Unterschied zu dem in Kärnten so beliebten Begriffspaar „Abwehrkampf und Volksabstimmung“, wobei bei diesen beiden Ereignissen immer auf die Kausalbeziehung hingewiesen wird: Ohne Abwehrkampf hätte es keine Volksabstimmung gegeben. „Vertreibung und Widerstand“ haben nicht diese Automatik der logischen Abfolge. So sehe ich in „Vertreibung und Widerstand/pregnanstva in upora“ zwar zwei historische Ereignisse, die zeitlich zusammenfallen, die aber eine andere Logik haben. Hätten die Kärntner Sloweninnen denn keinen Widerstand gegen die Nazis geleistet, wenn sie auf ihren Höfen hätten bleiben dürfen? Ich glaube, Luc hätte gesagt: Widerstand war in jedem Fall notwendig. Der Völkermord lag in der Logik des Nazi-Faschismus; die Massenverbrechen an den slawischen Völkern und an den Juden, ihre Vertreibung und Vernichtung, waren fixe Bestandteile der faschistischen Ideologie und Praxis. Die Slowenen haben das gewußt, sie haben es gespürt; sie mußten es spüren, denn was Hitler sowohl mit den Juden als auch mit den Polen, Russen und allen anderen slawischen Völkern vor hatte, war kein Geheimnis. Es stand überall geschrieben, es wurde überall davon gesprochen, die Wehrmacht bekam entsprechende Weisungen — und seit Kriegsbeginn konnte man die Folgen beobachten. Die Ergebnisse des Vernichtungsfeldzuges waren bis in das sogenannte „Hinterland“ zu merken. Die Ausrottung des Gegners reichte bis ins hinterste Südkärntner Tal. Die Ermordeten des Per$manhofs geben davon stummes Zeugnis. Gab es ab 1939 irgendwo Sloweninnen, die Antifaschistinnen waren und die sich in Kärnten sicher fühlen konnten? Gab es Sloweninnen, die gegen die Nazis eingestellt waren und die gewiß sein konnten, daß ihnen nichts passiert? Ich glaube, für Menschen, die so eingestellt waren wie Luc, waren die „ethnischen Säuberungen“ in Kärnten und die gewaltsamen Deportationen seiner Landsleute nicht erst abzuwarten, um in den Widerstand zu gehen. Es war eine Sache von richtiger Einstellung und Überzeugung, um zu erkennen, daß das Nazi-Regime einen brutalen Rassenhaß züchtete, der die Menschen in Kategorien wie „Herrenmenschen“ und „Untermenschen“ einteilte. Gewisse Kategorien von „Untermenschen“ wurden im Machtbereich des deutschen Imperiums nicht geduldet. Daß dazu auch die Kärntner Sloweninnen gehören würden, war augenscheinlich. Sloweninnen, soweit sie sich irgendwie ihren slawischen Wurzeln verbunden fühlten und sich dazu bekannten, waren vom deutschen Vernichtungskrieg nicht auszunehmen. Widerstand auch ohne Vertreibung — das empfinde ich als die Botschaft von Luc an uns Nachgeborene. Widerstand als Reaktion auf die Deportation der Angehörigen, das war sicher ein Aspekt der brutalen Kärntner Realität. Mut zum Widerstand jenseits der drohenden Deportation, war eine Frage der antifaschistischen Haltung und der Vision für eine bessere Gesellschaft. Wenn wir heute in gewissen Zeitungen lesen, große „deutschkärntner“ Persönlichkeiten hätten sich mutig bei der NS-Führung gegen die Deportation der slowenischen Familien ausgesprochen, dann gehört dies mehr in den Bereich des heutigen Wunschdenkens und Reinwaschens als in den der damaligen Wirklichkeit. Die Beweislage für den angeblichen „wütenden Protest“ dieser Leute und für ihre „Interventionen“ ist mehr als dürftig. Wem dient die Verbreitung von solchen Geschichten? Ich schäme mich für diesen Teil Kärntens, der solche Behauptungen aufstellt, die nicht nur die historische Wahrheit verbiegen, sondern auch die Tatsache der Vertreibung der Sloweninnen dazu benutzen, um das braune Image von Personen weiß zu waschen. Über Deutschkämtner, die die „Aussiedlung“ der Sloweninnen nur dazu verwenden, um ihre angeblichen Proteste und Interventionen herauszustreichen, kann man nur sagen: Man merkt die Absicht und wird wütend. Mut haben diese Deutschkärntner im antifaschistischen Widerstand jedenfalls nicht bewiesen. Mehrheitlich waren sie für NS-Organisationen tätig oder kämpften für Hitler. Vermutlich hätten sie ohne weiteres auch auf Kärntner Partisanen geschossen, wenn sie dazu die Möglichkeit gehabt hätten — wenn sie nicht gerade an der Eismeerfront oder sonstwo „die Heimat verteidigt“ hätten. Später werden sie dann sagen, sie haben als Soldaten nur „ihre Pflicht“ erfüllt. Ich schäme mich für solche Pressemitteilungen, wie sie der „Kärntner Heimatdienst“ (KHD) verbreitet: „Die ausgesiedelten Kärntner Slowenen, die nach Kriegsende erfreulicherweise ausnahmslos wieder in ihre Kärntner Heimat zurückkehren konnten, wurden in der Folge auf vielfältige Weise materiell entschädigt.“ (KHD-Presseaussendung, 11. April 2002)