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Hazel Rosenstrauch Flüchtlingskulturen Lange schon habe ich mich gewundert, daß Exilliteratur immer noch vor allem und manchmal ausschließlich mit der deutschen Literatur im Exil assoziiert wird. Es gab doch auch das griechische, tschechische, persische, spanische, chilenische, kurdische, rumänische, russische... ach, die Aufzählung wird zu lang. Und man wird, zumal in staatlich finanzierten Institutionen, mit einigem Recht sagen, aber das ist doch nicht Teil unserer Kultur. ‚Uns’, den Österreichern und Deutschen (whatever this means), gehört natürlich bis heute auch die Exilliteratur nur begrenzt, aber man bemüht sich. Die tschechischen, russischen, kurdischen, chilenischen Bewohner unserer’ Länder haben keine Bibliotheken und Forschungsinstitute und sie haben sich, sofern sie Künstler und Schriftsteller sind, oft an die Kreise angedockt, die sich für Exilliteratur engagieren. Es gibt ja auch Berührungspunkte zwischen diesen und jenen Exilanten. In ihrem Nachwort zu Antonije Zalicas ExilErzählung ‚Gelber Schnee’ (Mannheim: persona-verlag 2001) hat Svetlana Slapsak den Ausdruck ‚Flüchtlingskultur’ verwendet, und sie beschreibt damit jene immer größer werdende Kultur in Europa, Nordamerika und Australien, die von den gebildeten, lesenden, notgedrungen an Politik interessierten Einwanderern geprägt wird — im Unterschied zu den sprachlosen Flüchtlingen versuchen sie meist, sich nicht auf den Umgang mit Landsleuten zu beschränken. Als Antonije Zalica mit Glück und einer Einladung nach Amsterdam noch während des Kriegs aus Sarajevo ausreisen konnte, machte er in Wien Station. Ich traf ihn bei einer Freundin, die ihrerseits zu Beginn des jugoslawischen Kriegs in Wien gestrandet war. Ein paar Jahre später hatte ich in Amsterdam die Aufgabe, junge Schriftsteller vorzustellen, da traf ich Antonije Zalica wieder und er gab mir ein paar, in schlechtes Englisch tibersetzte Seiten seiner Erzählung über die Theateraufführung von Romeo und Julia während des Kriegs in Sarajevo. Bei einer anderen Tagung, ich weiß nicht mehr wo, hatte ich Svetjana Slap$ak kennengelernt, Dubravka Ugresic, die ich in Istanbul getroffen hatte, hat sie mir vorgestellt. Und als in Berlin eine Balkan-Initiative von Wissenschaftlern in einer für das deutsche akademische Leben sehr ungewöhnlichen gemeinsamen Aktion unterschiedlicher akademischer Einrichtungen Stipendien und Arbeitsplätze für Kollegen aus den Kriegsgebieten vergab, kam auch Svetlana Slap$ak nach Berlin, und wir haben intensiv miteinander diskutiert. Und weil es zum Glück, wenn auch immer weniger, Netzwerke gibt, erfuhr Lisette Buchholz, die Verlegerin, die seit 20 Jahren Exil-Literatur herausgibt, von Antonije Zalicas Manuskript. 76 Sie ist, ich geb es gerne zu, eine enge Freundin und auch meine Verlegerin (wobei die Reihenfolge umgekehrt war). Lisette Buchholz hat in dem recht gut funktionierenden YU-Netzwerk eine Übersetzerin gefunden, und Astrid Philippsen hat sich, wie das eben in diesen mit Exil befaßten Kreisen üblich ist, mehr als nötig ins Zeug gelegt. Die deutsche Exilliteratur konnten wir lesen, zur Not auf englisch oder französisch. Das wird wohl auch ein Grund sein, weshalb wir unter Exilliteratur immer noch vor allem und primär die deutsche und österreichische verstehen. Wer kann schon jugoslawisch, pardon, bosnisch-kroatisch-serbisch. Astrid Philippsen hat die Erzählung so übersetzt, daß Leser, die nur des Deutschen mächtig sind, sie verstehen. Ich verstehe, daß es eine hohe Kunst ist, unpathetisch vom Krieg zu schreiben, eine hohe Kunst, sich als Erzähler in einer nationalistisch aufgeheizten umkämpften Stadt einzelnen Individuen zuzuwenden — Freunden und Bekannten, die plötzlich in Bosnier, Serben, Kroaten gespalten sind. Die Kunst, im Krieg zu überleben, im Krieg auch noch zu denken und zu fühlen und Milch für das Kind zu besorgen und sich wie ein Mensch zu benehmen hat der Autor überliefert, indem er die wahre Geschichte der Aufführung von Romeo und Julia in Sarajevo erzählt. Schwer verstehbar und erstaunlich ist, daß Menschen, die den Krieg erlebt haben und alles verloren haben und aus der Nähe Mord und Totschlag und Zynismus beobachten konnten, eine solche Sprache finden. Zalica hat unprätentiös, zwischen den Zeilen, Leben rekonstruiert. Die Menschen, mit denen er spricht und probt und säuft, sind ganz anders als jene, die während des Kriegs im TV gezeigt wurden. So tragisch sie in all ihren Facetten ist, macht doch die Flüchtlingskultur Hoffnung; sind die zugewanderten Intellektuellen doch bei Strafe des Identitätsverlusts gezwungen zu differenzieren, ihre neue und die zurückgelassene Welt für sich neu herzustellen; im Glücksfall können wir zuschauen, wie ein Künstler die Welt rettet. Unter den bekannten Arten von Exil, schreibt Svetlana Slapsak, „erinnern die jugoslawischen Emigranten am meisten an die jüdischen Flüchtlinge des Zweiten Weltkriegs, deren Grundbedürfnis die Normalisierung und Wiederherstellung des einstigen Lebens war.“ Die Exilierten schreiben gegen die Mißverständnisse, gegen das Vergessen und die Vereinfachungen an, die ihre Geschichten auf Nachrichtenformat zusammengestrichen haben. Die Verfemten können sich nicht auf Selbstverständlichkeiten ausruhen — es sei denn, sie passen sich ihrer Wirtskultur geschmeidig an und übernehmen die Rolle, die man ihnen zuweist. Auch das gibt es natürlich und es wird auch vom Kulturbetrieb belohnt. Für alle, die sich beruflich mit ‚Exil' befassen, kann es nur ein Gewinn sein, die Beschäftigung mit und Unterstützung der vielen anderen Exile zu ihrer Kultur hinzuzufügen. Rezensionen Die „Jeckes“ in Israel Die Mythen, Legenden und Anekdoten über die „Jeckes“, die deutschen Juden in Israel, sind weit verbreitet, aber definitionsgemäß nur teilweise korrekt. Wichtiger dagegen sind deren authentische Erzählungen, wie sie nun auch in zwei neuen Büchern in Erinnerung gerufen werden. Das Buch Die Jeckes enthält 66 überaus beeindruckende Photos, Kurzbiographien und (leider zu kurze) Interviewtexte. Eines der letzten Male wurde damit das Weiterleben und die Transformierung, kaum jedoch die Tradierung der deutsch-jüdischen Kultur in Israel dokumentiert. Zugleich zeigt das Buch von zwei in Israel lebenden Historikern und einem schottischen Photographen das erst seit wenigen Jahren bestehende Interesse an der Geschichte der deutschsprachigen jüdischen Landsmannschaften in Israel. Dies bedeutet auch, wie Dan Diner im Vorwort erläutert, einen Paradigmenwechsel, denn Israel war von seiner Entstehungsgeschichte her primär ein ostjüdisches Projekt: Inzwischen ist es in Israel legitim, die jeweiligen partikularen Vorgeschichten der verschiedenen Judenheiten herauszustellen. Ein homogener Israelismus ist nicht mehr allgemeines Ideal ... So geht die Geschichte der Jeckes heute zunehmend positiv in den allgemeinen israelischen Gedächtniskanon ein. Die Einwanderung von deutschsprachigen Juden nach Palästina in der sogenannten fünften Alija bedeutete auch einen Zivilisationsschub. Die Jeckes brachten umfangreiche Bibliotheken mit sich und sie waren, wie die Herausgeber schreiben: förmlich, legalistisch, genau und steif, aber auch kultiviert, diszipliniert und gebildet ... Die deutsch-jüdischen Einwanderer brachten urbane europäische Kultur nach Palästina und dort angekommen, strebten sie danach, denselben Lebensstandard zu erreichen, den sie in Deutschland hatten. Mit dem Tod dieser Menschen wird eine gesamte Kultur vernichtet werden. So erzählt der aus Breslau stammende Sänger und Entertainer Freddi Dura, wie traurig es sei, daß ich mich fast niemanden mehr mitzuteilen habe. Die Jugend hier hat kein Interesse an unserem speziellen Humor. Leider finden sich auch in diesen Interviews oft Ungenauigkeiten, die durch besseres Nachfragen vermieden hätten werden können. Zum Beispiel, wenn Elchanan Scheftelowitz von seinem Onkel, einem „Rabbinat-Professor, Honorarprofessor der Universität Köln“ erzählt, ohne seinen Namen oder sein Fach zu erwähnen, oder wenn Nachum Tim Gidal sagte: Der Rektor meiner Universität hat im Ersten Weltkrieg Vorträge für Deutschland gehalten, dann war er Reformrabbi, jedenfalls in ganz großer Mann.