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Das zweite Interviewbuch von der in Hamburg lebenden jüdischen Journalistin Gabriele Koppel enthält elf längere Gespräche mit teils sehr prominenten deutschen Juden, die von leider nur sehr kurzen biographischen Angaben eingeleitet werden. So ist es zum Beispiel bedauerlich, daß Mirele Schlesinger ganz beiläufig erwähnt, daß sie die Tochter von Fritz Mordechai Kaufmann ist. Kaufmann war ein bekannter Publizist und Leiter des jüdischen Arbeiterfürsorgeamtes Berlin. Berühmt wurde er mit dem von ihm herausgegebenen Band Die schönsten Lieder der Ostjuden. Er starb 1921 — laut einem Nachschlagewerk — durch Selbstmord und es wäre interessant und wichtig gewesen, seine Tochter nach ihm zu befragen, was Frau Koppel leider nicht tat. Beeindruckend ist das Gespräch mit dem prominenten Generalstaatsanwalt und Richter Chaim H. Cohn. Er stammt mütterlicherseits aus der berühmten rabbinischen Familie Carlebach und hätte laut seiner Familientradition Rabbiner werden sollen. Obwohl er seit 1944 „völlig säkular“ sei sagte er in dem Interview: „Jeder Stein in Jerusalem ist heilig.“ Während seines Studiums habe er sich „in das talmudische Recht verliebt“, das er daher seither in seiner Praxis und Theorie — zum Beispiel als Verfasser des Buches Human Rights in Jewish Law oder als Richter im Obersten Gerichtshof —, was leider im Interview nicht erwähnt wurde — humanistisch interpretierte und anwandte. Ganz anders und zwar sehr viel kurzsichtiger ist Uri Avnerys Aussage über die Zukunft der jüdischen Religion: Die Religion war nötig, damit die Juden in der Diaspora zusammengehalten werden. In dem Augenblick, da wir eine jüdische Gemeinschaft hier im Lande haben, braucht man die Religion nicht mehr; der nationale Gedanke vereinigt uns. Zu den weiteren Interviewpartnern des Buches gehören der frühere Bürgermeister von Tel Aviv Shlomo Lahat, die Schauspielerin Orna Porat, die frühere Knessetabgeordnete und Tochter des Gründers des zionistischen Archivs Georg Herlitz Esther Herlitz sowie die in Wien und Preßburg aufgewachsene Journalistin Alice SchwarzGardos, die man allerdings nicht wirklich als deutsche Jüdin bezeichnen kann. E.A. Gideon Greif, Colin McPherson, Laurence Weinbaum (Hg.): Die Jeckes. Deutsche Juden aus Israel erzählen. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2000. 318 S. OS 423,— Gabriele Koppel: Heimisch werden. Lebenswege deutscher Juden in Palästina. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2000. 229 S. OS 263,— Das Museum der Jeckes in Israel aus der Sicht der Erinnerungen seines Griinders Yisrael Shiloni Seit 1971 entstand in der israelischen Stadt Nahariya, in der einzigen von deutschen Juden gegründeten Stadt der Welt, ein Museum, das der Geschichte der „Jeckes‘“ — der deutschen Juden in Israel — gewidmet war. Gegründet wurde es von dem selbst aus Deutschland stammenden Bürger von Nahariya Yisrael Shiloni. In einem Vortrag über die Entstehungsgeschichte des Museums, der im vorliegenden Buch abgedruckt ist, erzählt Shiloni, wie er Bücher von Bibliotheken, die von ihren Besitzern oder deren Erben aufgelöst wurden, retten und zusammen mit vielen anderen Achivalien und Erinnerungsstücken in sein Museum bringen konnte. Das Museum blieb jedoch immer ein Stiefkind der Stadt. Shiloni konnte zwar den damaligen Biirgermeister von Nahariya fiir sein Museum begeistern, nicht jedoch seine „Mitjeckes“ in Nahariya. 1991 war Shiloni 90 Jahre alt und konnte nicht mehr jeden Tag ins Museum fahren. Auch die Stadtverwaltung von Nahariya zeigte sich an der Zukunft des Museums desinteressiert, darunter vor allem der neue marokkanische Bürgermeister. Shilonis Kinder suchten daher nach einer Trägerinstitution für das Museum. Sie schrieben an das Diasporamuseum in Tel Aviv, an das Leo Baeck Institut und die Stadtverwaltung in Jerusalem sowie an den von deutschen Juden gegründeten Kibbuz Hasorea und erhielten nur abschlägige Antworten. Schließlich kamen sie in Kontakt mit dem aus Deutschland stammenden Industriellen Stef Wertheimer. Er besuchte das Museum und beschloß, es in seinen Industriepark nach Tefen in Galiläa zu übersiedeln und auszubauen. Obwohl es noch einige Komplikationen mit der Stadtverwaltung von Nahariya gab, die sogar gerichtlich geklärt werden mußten, war Shiloni tibergliicklich und schrieb: ,,In meinen kühnsten Träumen konnte ich mir keinen besseren Platz für mein Museum wünschen.“ 1998 gab Shilonis Tocher Talma Shiloni im Auftrag des Museum für deutschsprachiges Judentum im Rahmen des Offenen Museums in Tefen, das heute von Ruthi Ofek kuratiert wird, die Erinnerungen ihres Vaters zweisprachig, deutsch und hebräisch, heraus. Das Buch enthält auch ein berührendes Vorwort des Sohnes, Zwi Shiloni, in dem er das humanistische, weltoffene und säkulare Judentum seines Vaters beschreibt. Die vielen sprachlichen Fehler werden vom inhaltlichen Charme der Erinnerungen mehr als kompensiert. Shiloni wurde als Hans Herbert Hammerstein 1901 in Berlin in eine assimilierte jüdische Familie geboren. In den zwanziger Jahren engagierte er sich in der Jugendbewegung BlauWeiß, in deren Rahmen er auch als Erzieher in Königsberg und Kowno tätig war. Über das Erlebnis dreier lesender Lastträger in Kowno schrieb er: In der Einfahrt saßen drei jüdische Lastträger. Sie hatten ein großes Buch auf ihren Knien, aus dem sie gemeinsam lasen. Ich weiß nicht, was für ein Buch es war, wahrscheinlich die Gemara ... Ich stand da wie vom Donner gerührt. Wo in der Welt gibt es ein Volk, wo die Lastträger lernen? Das war für mich ein unvergleichlicher Eindruck. 1927 verbrachte er ein Jahr in Palästina, in dem jedoch eine so hohe Arbeitslosigkeit herrschte, daß er nach Deutschland zurückkehren mußte. Bis 1938 lebte er als Lehrer und Schulleiter in Deutschland. Über England und Australien, wohin er mit dem berüchtigten Schiff Dunera deportiert wurde, kam er 1942 wieder nach Palästina, wo er zuerst in dem berühmten Kinderdorf Ben Shemen arbeitete und später beim britischen Militär diente. 1950 bis 1967 lebte Shiloni als Bibliothekar im Kibbuz Beth Sera. E.A. Yisrael Shiloni: Das Mögliche und das Unmögliche. Erinnerungen. Hg. von Tamar Shiloni. Das Offene Museum, Industriepark Tefen 1998. 337 S. Ein Monographie über Lola Landau Die 1990 verstorbene deutsch-jüdische, später israelische Schriftstellerin Lola Landau war eine der wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen in Israel. Obwohl ihre Autobiographie 1992 in einer gekürzten Taschenbuchausgabe erschien und ihr erster Ehemann, der Schriftsteller Armin T. Wegner heute noch einigermaßen bekannt ist, ist Lola Landau selbst weitgehend vergessen. Ihre 1921 geschlossene Ehe mit dem Pazifisten und Kommunisten Wegner, der 1933 in einem Brief an Adolf Hitler gegen die Judenverfolgung protestierte, scheiterte, weil er nicht in Palästina bleiben wollte. Die deutsche Germanistin Birgitta Hamann hat nun in einer ausfühlichen Biographie und Werkgeschichte das Vermächtnis Lola Landaus in Erinnerung gerufen. Sie hat dazu den umfangreichen Nachlaß, der sich teils im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, teils bei der Familie von Landaus 1997 verstorbenem Sohn aus erster Ehe, Andreas Marck, in Moledet in Israel befindet, eingesehen und im Anhang auch ein detailliertes Verzeichnis des Gesamtnachlasses publiziert. Lola Landau, eine Nachfahrin des berühmten Prager Oberrabbiners Ezechiel Landau, wuchs in einer großbürgerlichen Familie als Tochter eines Berliner Frauenarztes auf. 1936 emigrierte sie nach Palästina, wo sie sich in den verschiedensten Berufen wie Küchengehilfin, Kindermädchen, Fremdenführerin und Lehrerin durchschlug. 1945 lebte sie in 77