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Über die Wiederentdeckung von Paul Engelmann Paul Engelmann, der aus Olmütz stammende Architekt und Freund von Ludwig Wittgenstein und Karl Kraus ist eine der großen vergessenen Gestalten der europäischen und jüdischen Moderne. Dies hat auch eine kleine Forschergruppe aus Innsbruck um Professor Allan Janik, einem der beiden Autoren des berühmten Buches Witigensteins Wien, erkannt. Den Anstoß zu dem sogenannten Engelmann Projekt, in dessen Rahmen neben den beiden vorliegenden Büchern noch viele Editionen geplant sind, gab der israelische Dichter Elazar Benyoetz, der mit Engelmann noch in Tel Aviv befreundet war. Paul Engelmann wuchs in Olmütz auf, absolvierte sein Studium an der Technischen Hochschule in Wien und arbeitete 1911 als Privatsekretär von Karl Kraus. Er publizierte in der Fackel und wurde 1912 ein Mitarbeiter von Adolf Loos. In den zwanziger Jahren arbeitete Engelmann als Architekt in der Tschechoslowakei, in Wien und der Ukraine, u. a. für die Familie Wittgenstein; zusammen mit Ludwig Wittgenstein baute er das berühmte Haus Stonborough im dritten Wiener Gemeindebezirk. 1934 emigrierte er nach Palästina; 1939 bezog er zusammen mit seinem Jugendfreund Max Zweig eine Dachwohnung in Tel Aviv. Er starb 1965 in Tel Aviv. 1967 erschien sein von Elazar Benyoetz herausgegebenes Buch Dem Andenken an Karl Kraus. Es geht bei der Beschäftigung mit Paul Engelmann, wie der Wiener Philosoph Peter Kampits einleitend schreibt, um die Rekonstruktion einer in dieser Form nicht mehr existenten Kultur. Engelmann ist für Kampits Zeuge einer durch die Geschehnisse des 20. Jahrhunderts zwar nicht vernichteten, aber abgebrochenen und zerstreuten Kultur. Eben diese versuchen wir heute wieder zu rekonstruieren, nachdem die Gespenster der Totalitarismen von links und rechts zwar aus Europa verschwunden sind, aber immer wieder neu zu erscheinen drohen. Der Wittgenstein Biograph Brian McGuinness beschreibt luzide das Mißverhältnis zwischen dem Selbstverständnis der Familie Wittgenstein und ihrer späteren Rezeption durch die Umwelt: In einer bekenntnishaften Phase seines Lebens machte sich Wittgenstein bittere Vorwürfe, seine jüdische Abstammung als geringfügig dargestellt zu haben. Und dennoch, wenn eine korrekte Darstellung seiner Familie und deren Einflüsse auf ihn das Ziel ist, hatte er damit recht. Zur Jahrhundertwende hätte niemand daran gedacht, seine größere Verwandtschaft als jüdische Familie zu bezeichnen; so wird sie heute gelegentlich beschrieben ... Die Witigensteins ... waren protestantisch oder katholisch und mit ProtestantInnen oder KatholikInnen verheiratet. Ihr Leben hatte keine jüdische Dimension oder auch Bewußtsein von einer entfernten jüdischen Abstammung — auf jeden Fall war dies im Laufe der Generationen eine immer mehr verschwindende Größe. Engelmann setzte auch in Tel Aviv seine deutschprachigen Vorlesungen über Karl Kraus fort. Zwei Einladungen dazu sind im Buch auch faksilimiert. In diesem Zusammenhang formuliert Ursula A. Schneider das Postulat: Besonders diese Lesungen, die mit Recht als ein Hauptwerk Paul Engelmanns gelten können, sind verschwunden in der Geschichte der deutschsprachig gebliebenen Immigranten Israels ... Eine Kulturgeschichte dieser Emigrantenzirkel, ihrer Mitglieder und Inhalte, wäre ein dringendes Forschungsdesiderat. Aufgrund der mangelnden Quellen wird dieses Desiderat aber leider nur teilweise erfüllt werden können. Yehuda E. Safran erinnert in seinem Beitrag an Josef Schächter, einen der engsten Freunde von Engelmann, der in seinem Leben und Werk — als Mitglied des Wiener Kreises und Rabbinatsschüler in Wien und späterer Philosoph in Israel — eine einzigartige Synthese zwischen Religion und Moderne verkörperte. Im Anhang enthält das Buch auch eine Auflistung des Bestandes Paul Engelmann im Brenner Archiv der Universität Innsbruck. Der zweisprachige (deutsch und englisch) Katalog der Wanderausstellung über Paul Engelmann dokumentiert vor allem seine architektonischen Bauten und Entwürfe in Europa und Israel. Engelmann gestaltete die Innenräume des King David-Hotels und des Touristen- und Presseklubs in Jerusalem, die Bank Hapoalim in Tel Aviv und entwarf den Thronsaal von König Abdullah von Jordanien. Sein einziges bis heute erhaltenes Haus in Israel steht in Haifa. Leider wurde diese Ausstellung ausgerechnet in Wien bislang nicht gezeigt. E.A. Ursula A. Schneider (Hg.): Paul Engelmann. Architektur, Judentum, Wiener Moderne. Innsbruck, Bozen: Folio Verlag 1999. 218 S. ÖS 241,Judith Bakacsy (Hg./ed.): Paul Engelmann und das mitteleuropäische Erbe. Der Weg von Olmütz nach Israel. Paul Engelmann and the Central European Heritage. The Path from Olomouc to Israel. Innsbruck, Bozen: Folio Verlag 1999. 96 S., zahlr. Abbild. OS 288,Die gesammelten Aufsätze von Margarita Pazi Die 1920 in Altstadt in Böhmen geborene israelische Literaturwissenschaftlerin Margarita Pazi arbeitete ursprünglich als Beamtin und promovierte erst 1969. Sie unterrichtete deutsche Literatur an der Universität Tel Aviv und war die Vorsitzende des Verbandes deutschsprachiger Schriftsteller in Israel. 1970 und 1978 veröffentlichte sie zwei wichtige Studien über Max Brod und über fünf Autoren des Prager Kreises. Margarita Pazi starb 1997 in Tel Aviv nach langer schwerer Krankheit. Posthum erschienen nun Pazis gesammelte Aufsätze zur deutsch-jüdischen Literatur in einem von Sigrid Bauschinger und Paul Michael Lützeler sehr schön edierten Sammelband. Pazis Wissen und Einfühlungsvermögen wird vor allem deutlich in ihren hier gesammelten Aufsätzen über die Autoren des Prager Kreises Franz Kafka, Ludwig Winder, Ernst Weiß und, sehr differenziert, über Franz Werfel. Besonders lesenswert sind Pazis Ausführungen über Max Brod, denn sie zitiert aus dessen Briefen und Tagebüchern, die sie noch von seiner Nachlaßverwalterin Ilse Ester-Hoffe zur Einsicht bekam. Diese Materialien sind heute für keinen Forscher mehr zugänglich und erst vor wenigen Jahren scheiterte die geplante Veröffentlichung von Brods Tagebüchern. Bemerkenswert sind weiters Pazis Interpretation von Beer-Hofmann und ihre Kritik der judenfeindlichen Haltung des Polemikers Karl Kraus, wobei sie sich auf Max Brod stützt. In ihrem Aufsatz über Stefan Zweig zitiert Pazi einen leider nicht nachgewiesenen und laut ihren Angaben undatierten Brief Stefan Zweigs an Max Brod, in dem von einem Manifest — wohl gegen den Antisemitismus in Deutschland — die Rede ist, über das Zweig in Marienbad mit den Oberrabbinern Feuchtwang, Schorr und Ehrenpreis sprach. Pazi vermutet als das Datum des Briefes das Jahr 1937, womit sie sich allerdings irrt, da David Feuchtwang bereits 1936 starb. Ihr Aufsatz Staub und Sterne. Deutschschreibende Autorinnen in Erez Israel und Israel enthält die Namen zahlreicher deutschsprachiger Autorinnen, deren Namen sich in keinem Literaturlexikon finden und deren Werke, wie Pazi selbst schreibt, sich oft nicht einmal in der Hebräischen National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem befinden. Damit zeigt sie auch, wie groß die Defizite der Erforschung der Exilliteratur bis heute sind. E.A. Margarita Pazi: Staub und Sterne. Aufsätze zur deutsch-jüdischen Literatur. Göttingen: Wallstein 2001. 300 S. DM 48,— 79