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Die Jugendbriefe von Ernst Loewy aus Palästina Der aus Krefeld gebürtige Buchhändler, Bibliothekar und Vorsitzende der Gesellschaft für Exilforschung (von 1984 bis 1991) Ernst Loewy emigrierte 1936 als Sechzehnjähriger mit Hilfe der Jugendalija nach Palästina. Loewy lebte zuerst im Kibbuz Kirjat Anavim und fand 1938 eine Lehrstelle in einer deutschsprachigen Buchhandlung in Tel Aviv. Von 1942 bis 1949 diente er in der britischen bzw. später israelischen Armee. 1956 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er das Begabtenabitur ablegte sowie unter Theodor W. Adorno und Max Horkheimer studierte. Von 1957 bis 1964 leitete er die Judaica Abteilung der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek, danach arbeitete er als Referent im Deutschen Rundfunkarchiv. Loewys Briefe an seine Eltern, die in der Reihe Bibliothek der Erinnerung des Berliner Metropol Verlags publiziert wurden, sind nicht nur wichtige Zeugnisse der Entwicklung des jungen Autors, sondern auch des im Entstehen begriffenen Staates Israel. Sie dokumentieren außerdem das Zusammentreffen zwischen den in den Jugendbewegungen tradierten zionistischen Idealen und der zionistischen Realität. Loewy war enttäuscht von den Menschen in Kirjat Anavim, über die er schrieb: Die Menschen, die hier leben, sind reine Proletarier ... Mit geistigen Dingen beschäftigt man sich nicht. Es gibt keine Vorträge, man liest keine Bücher. Er sah in diesem Zusammenhang auch einen Unterschied zwischen West- und Ostjuden, also zwischen den Chawerim (Freunden) aus Deutschland und aus Osteuropa: Die Chawerim aus Deutschland stellen einen ganz anderen Menschentyp dar als die alten Chawerim. Diese kennen, wie ich schon einmal schrieb, weiter nichts als ihre Arbeit ... geistige Interessen haben sie mit wenigen Ausnahmen überhaupt nicht. Und dies ist doch sehr traurig. Ich hatte vom jüdischen Arbeiter eigentlich doch mehr erwartet. Die Briefe wurden von Loewy mit einem Nachwort versehen und von der Leiterin des Exilarchivs der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main Brita Eckert eingeleitet sowie kundig und ausführlich kommentiert. E.A. Ernst Loewy: Jugend in Palästina. Briefe an die Eltern 1935-1938. Hg. von Brita Eckert. Berlin: Metropol 1997. 243 S. DM 34,— 80 Dimensionen des Vernichtungskrieges Das Handbuch zur revidierten Wehrmachtsausstellung Zur Erinnerung: Uber 800.000 Besucher zählte die vom Hamburger Institut fiir Sozialforschung erarbeitete Ausstellung „Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“, die im Frühjahr 1995 eröffnet und in 33 Städten gezeigt wurde. Sie löste in der Öffentlichkeit heftige Kontroversen über die Rolle der Wehrmacht im NSStaat bis hin zur Polarisierung aus und wurde am 4.11. 1999, nach einer erregten Debatte um die falsche Zuordnung von Fotos und Bildlegenden, zurückgezogen. Eine vom Hamburger Institut mit der Prüfung beauftragte Historikerkommission empfahl im November 2000 die Überarbeitung in einigen Punkten. Doch daraus wurde eine neue Konzeption und somit eine weitgehend neue Ausstellung, die zwei Jahre später, am 27. November 2001 in Berlin eröffnet wurde, dort viel Zuspruch und ein nahezu einhellig positives Echo fand und nach Bielefeld jetzt in Wien gezeigt wird. Die neue Ausstellung gliedert nicht mehr geographisch nach Kriegsschauplätzen, sondern systematisch. Grundlegend zunächst das einleitende Kapitel „Krieg und Recht“, in dem das im Zweiten Weltkrieg geltende Kriegsvölkerrecht (Haager Abkommen, Genfer Rotkreuzkonventionen, Völkergewohnheitsrecht) und die im Mai/Juni 1941, also vor dem Überfall auf die Sowjetunion, erlassenen zentralen Befehle und Weisungen der Wehrmachtsführung behandelt werden, mit denen ja das geltende Kriegsvölkerrecht außer Kraft gesetzt wurde (u.a. Kriegsgerichtsbarkeitserlaß, Kommissarbefehl). Daran schließt sich in sechs großen Kapiteln eine Darstellung der verschiedenen Dimensionen und Aspekte des Vernichtungskrieges im Osten, an dem die Wehrmacht als Organisation beteiligt war: Völkermord (Ermordung der sowjetischen Juden, Pogrome); Sowjetsoldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft (Massensterben, Arbeitseinsatz, Erschießung jüdischer Kriegsgefangener); Ernährungskrieg (,„Kahlfraßzonen“, Hungerpolitik, z.B. in Leningrad und Charkow); Deportationen (Rekrutierung von Arbeitskräften, Zwangsdeportationen, „Verbrannte Erde“); Partisanenkrieg (als Terrorinstrument gegenüber der Zivilbevölkerung und zum Mord an sowjetischen Juden genutzt); Repressalien und Geiselerschießungen (,,Stihnequoten“ in Serbien, Massenerschießungen in Griechenland). Es folgen ein Kapitel, in dem unter der Überschrift „Handlungsspielräume“ an acht Beispielen das konkrete Verhalten und die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten einzelner Personen in militärischen Entscheidungssituationen gezeigt werden, sowie eine schlaglichtartige Darstellung der Auseinandersetzung mit den Wehrmachtsverbrechen nach 1945 in Ost- und Westdeutschland — mit einem ausführlichen und chronologischen Rückblick auf die erste Wehrmachtsausstellung. Die Aufbereitung des ungeheueren — und zugleich ungeheuerlichen — Materials ist mustergültig. Die entscheidenden Dokumente werden entweder zur Gänze oder in wesentlichen Auszügen gedruckt, oft als Faksimile und farbig, was die Lesbarkeit erhöht und die Unterscheidbarkeit der verschiedenen handschriftlichen Paraphen und Unterstreichungen erst ermöglicht. Den einzelnen Themen vorangestellt ist jeweils ein zusammenfassender Abschnitt (etwa nach Art eines „Le Monde“Artikels); wichtige Zitate und Kernsätze aus den Dokumenten werden am Seitenrand wiederholt - beides erleichtert sehr die Übersicht. Fotos werden dabei jeweils in ihrem Kontext erläutert und kommentiert: Die Aufnahmen aus Tarnopol, deren falsche Zuschreibung damals eine wissenschaftliche Kontroverse ausgelöst hatte, werden in einem ausführlichen Exkurs über Fotos als historische Quelle minutiös beschrieben und interpretiert. In den Gang der Darstellung eingebaut sind Auszüge aus vielen Quellen und aus der Sekundärliteratur, Kurzbiographien der Akteure, Erläuterungen und Definitionen; der Satzspiegel ist außerordentlich großzügig bemessen und dank des vorzüglichen Druckes sind selbst die nahezu winzigen Literaturangaben noch ohne Lupe lesbar. Wer je in der Ausstellung war, wird für dieses Handbuch außerordentlich dankbar sein. Theo Meier-Ewert Verbrechen der Wehrmacht, Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 — 1944. Ausstellungskatalog, hg. vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Gesamtredaktion: Ulrike Jureit. Hamburg: Hamburger Edition HIS 2002. 749 S. Euro 30,Die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht wird noch bis zum 26. Mai 2002 im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste in Wien, 1060 Leharg. 6-8, gezeigt. Ein Grazer Schulmädchen 1938. Grazer Schüler 2000 Ein solidarischer Akt 1938 — 1942. Rechtsanwalt Bruno Kurzweil, engagierter Sozialist, flüchtet mit seiner Frau Gisela und der damals 13jährigen Tochter Adele nach dem „Anschluß“ aus Graz über die Schweiz nach Paris. Adele lebt einige Zeit im Heim der Kinderhilfsorganisation OSE. Beim Vorrücken der Hitler-Armee im Mai 1940 begibt sich die Familie nach Montauban (Südwestfrankreich), Sammelpunkt vieler österreichischer und deutscher Exilanten und somit auch der „Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten“. Während den mei