OCR
Es war schon lange ruhig geworden um den Schriftsteller Franz Innerhofer. Als er Ende Jänner 2002 in Graz freiwillig aus dem Leben schied, wurde dies vom offiziellen Literaturbetrieb pflichtgemäß zur Kenntnis genommen. Wie zum Hohn sendete das Österreichische Fernsehen Samstag um neun Uhr morgens die Verfilmung von Innerhofers Roman Schöne Tage, wohl in der Gewißheit, daß um diese Zeit nur Kinder vor dem Bildschirm sitzen. Mit Mühe gelang es Elfriede Jelinek, Peter Turrini und Michael Scharang das Vestibül, einen schlecht beleuchteten, kalten Nebenraum des Burgtheaters für eine Lesung zu mieten. Die Kritik, die Innerhofer einst feierte, fiel ein letztes Mal über ihn her. Immer schon hatte im deutschsprachigen Feuilleton Einhelligkeit geherrscht: Da habe einer an seinen ersten großen Erfolg nicht anknüpfen können und sei als Schriftsteller gescheitert. Noch einmal wurde formuliert, womit Innerhofer seit den späten siebziger Jahren gerungen hatte: Der große Erfolg, den er mit seiner autobiographischen Romantrilogie so plötzlich und unerwartet erreicht hatte, ließ sich nicht wiederholen. So sehr Innerhofer auch immer wieder versuchte, sich dem Druck der äußeren Erwartung, dem eigenen Zwang zum Produzieren zu widersetzen, der Kampf gegen die Anforderungen eines gnadenlosen Literaturbetriebes dürfte ihn auch zermürbt haben. Doch nimmt sich die Nachwelt stets zu viel heraus, wenn sie alle Gründe für einen Freitod zu wissen glaubt. Der Aufstieg des Sohns eines Landarbeiters zum Schriftsteller war in vieler Hinsicht ungewöhnlich verlaufen. Ein Jahr vor Kriegsende als uneheliches Kind in Krimml, in Salzburg zur Welt. gekommen, wird er, den Kinderschuhen noch nicht entwachsen, mit sechs Jahren von der Mutter zum leiblichen Vater auf einen Bergbauernhof geschickt. Der Wechsel von der Kleinfamilie in die grobschlächtigen bäuerlichen Verhältnisse, der Umgang mit den verrohten Knechten und Mägden haben für den Buben verheerende Folgen: 18 Stunden Schwerarbeit am Tag, begleitet von physischer Gewalt, ein Martyrium, dem er lange Zeit schutzlos ausgeliefert ist. Die fortwährenden Prügel, eine Keimform der Tortur, die er bei jeder Gelegenheit von seinem Vater bezieht — um die er bitten und für die er zu danken hatte — erschütterten das Grundvertrauen zur Welt, fortan ist er der Angst ausgeliefert. Elf Jahre verbringt er als „Leibeigener“ auf dem Hof. Erst als er 16 ist, findet er die Kraft zur Befreiung. Als Innerhofer Jahre später in Schöne Tage, das Buch erschien 1974, von seiner Kindheit und Jugend erzählt, geschieht dies ohne Larmoyanz und bar jeden pädagogischen Gestus’. Er habe, so sagt er später, auch gar nicht vorgehabt, Bücher zu schreiben, er habe das nicht freiwillig gemacht. Es habe ihn auch nicht so sehr gekümmert, was ein Roman ist, „sondern ich hab’ diese Sachen einfach fix vor mir gehabt, und ich hab’ sie versucht, bestmöglich zu formulieren“. Was aus ihm heraus brach, war der ohnmächtige Zorn über die postfaschistischen bäuerlichen Verhältnisse der fünfziger Jahre: Innerhofer berichtet von der dumpfen Gesellschaft heimgekehrter Nazis, von Frauen, die vom religiösen Wahn ergriffen waren, von einer destruktiven Erotik und Sexualität, von seinem herrschsüchtigen Vater, der ihn demütigte und erniedrigte bis hin zum Terror der Arbeit — „über Arbeit klagen, war die größte Schande“. Sämtliche Klischees einer heilen Bergwelt waren damit auf einen Schlag zerstört und die Idylle eines bäuerlich-patriarchalen Landlebens wie es in der Heimatdichtung eines Peter Rosegger oder Karl Heinrich Waggerl beschworen worden war, als Ideologie entlarvt. Bei Erscheinen des Buches reagierte man in Salzburg, dem Herkunftsland Innerhofers, aufgebracht, das rührte ans Innerste; da plante der Vater, gerichtlich gegen seinen Sohn vorzugehen, und katholische Buchhandlungen, welchen die Kritik an der fatalen Rolle von Kirche und Religion zuwiderlief, versuchten die Publikation zu boykottieren. Und als 1981 Schöne Tage verfilmt, und justament am Tag der Arbeit (dem 1. Mai) im Fernsehen gezeigt wurde, sandte die Landwirtschaftskammer ein Protestschreiben an den ORF; der Bauernstand sei verunglimpft, hieß es darin, und dem Ansehen des Landes sei geschadet worden. Innerhofers Erfolg allerdings war durchschlagend: in nur wenigen Monaten erreichte der Roman eine Auflage von fast zehntausend Exemplaren. Schöne Tage ist keine Autobiographie. Innerhofer erzählt scheinbar unbeteiligt und ohne Eitelkeit, eine Eigenschaft, die er, der in seiner Kindheit und Jugend stets „der Letzte“ war, kaum entwickeln konnte. Nicht um ihn selbst ist es ihm zu tun, sondern um die Darstellung gesellschaftlicher Verhältnisse, denen er wie durch ein Wunder entkommen war, während andere daran zugrunde gingen oder ihrem Leben ein Ende setzten. Diese Verhältnisse, die so eingerichtet waren, „daß einer für den anderen mehr Haß als Mitgefühl aufbrachte“, werden am Schmerz, der dem einzelnen zugefügt wird, sichtbar. Tod und Selbstmord sind hier ständig präsent und können angesichts des Grauens der Wirklichkeit nur als Erlösung empfunden werden. Gewiß ist es kein Zufall, daß Innerhofer gerade in diesem Buch eine seiner berührendsten Gestalten schuf: Es ist dies der behinderte Moritz, der als Kind jahrelang von seinem Bruder in einer Kammer gefangen gehalten wird, verstummt und die bemerkenswerte Fähigkeit des „Uhrmachens“ erlernt. Während er bei Tag am Hof Schwerarbeit leistet, übt er in der Nacht sein eigentliches Handwerk aus. Er schläft auf der Ofenbank, denn sein Zimmer ist vollgeräumt mit zerlegten Uhren. Weder des Schreibens noch des Lesens kundig, weiß er doch genau, wem welcher Bestandteil gehört und wer welchen Wecker besaß. Doch ausgerechnet dieses hoch entwickelte Gedächtnis macht ihm sein Leben zur Hölle. Er leidet an den Grobheiten und Gemeinheiten, die man ihm ständig zufügt, und das um so mehr, als er sie akribisch im Gedächtnis behält. Ungeachtet seines außerordentlichen Talents treibt man ihn auch im Winter