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aufs Feld und in den Stall, bis seine Finger durch die Kälte blau gefroren und geschwollen sind und er zu zittern beginnt. Ist er zornig, wirft er seinen Kunden die Uhren nach... Doch was half der Zorn, wenn Moritz „vor lauter Bitterkeit nicht mehr reden konnte, nicht einmal in den dringendsten Fällen einen Notschrei von sich zu geben vermochte, höchstens einen langgezogenen Schrei, einen Seufzer, ein Stöhnen, wenn es bereits passiert war, wenn er bereits auf dem Boden lag, daß er auf Zaunstecken gelegt und weggetragen werden mußte, oder wenn er Durchfall hatte und an der zugenagelten Aborttür riß, bis alles in die Hosen ging, oder wenn er in der Kirche saß, und während einer Predigt fingen plötzlich in seinem Rucksack mehrere Wecker zu rasseln an, wenn er sich nach einem Unfall plötzlich aufraffte und für Wochen verschwand, bis ihn andere Peinigungen wieder zurücktrieben... Dieses UmgetriebenWerden hatte ihn schon so abgestumpft, daß er den Gefahren nicht mehr auswich, blindlings ging er zu einem Pferd, schlug es und ließ sich schlagen“. Dieser Gestalt des Moritz, der wegen seiner Behinderung in einer kaum erträglichen Weise erniedrigt wird, der manchmal in völliger Verzweiflung, gehüllt in seinem zerlumpten, schwarzen Mantel vom Hof auf die Straße zu seinen Milchkannen lief, um sich dort in aller Stille auszuweinen, dieser geschundenen Kreatur, die auf ihre Körperlichkeit, auf Qual und Schmerz zurückgeworfen ist, hat Innerhofer ihre Würde und Autonomie wiedergegeben. Es ist das Abweichende, Nichtidentische, das den Schriftsteller interessiert: Nicht nur das Uhrenreich, das hier mit liebevoller Hingabe beschrieben wird, sondern auch Weinen und Zorn dieser Gestalt weisen über dieses elende Leben hinaus. Nur ein Jahr nach dem großen Erfolg von Schöne Tage erscheint Innerhofers zweiter Roman Schattseite. Darin erzählt Franz Holl, das Alter ego des Autors, von den weiteren Stationen seines Lebensweges, der Schmiedelehre, der Berufsschule und schließlich von seiner Arbeit in der Fabrik, kurzum die Geschichte eines mühsamen Aufstiegs vom Knecht zum Arbeiter. In der Überzeugung, daß niemand ihm hilft, außer er selber, war Holl zwar den beklemmend engen bäuerlichen Verhältnissen entflohen, vor den gesellschaftlichen Zwängen, der Abhängigkeit von seinen Vorgesetzten, der Konkurrenz am Arbeitsplatz und der Beziehungslosigkeit unter den Kollegen jedoch gab es kein Entkommen. „Tatsächlich“, sagt Holl anläßlich des Selbstmordes eines Bekannten, „verband uns nichts als die Arbeit, die uns trennte.“ Der Arbeit, das hatte Innerhofer früh am eigenen Leib erfahren, kann keine Emanzipation entspringen. Doch der wirklich große und entscheidende Bruch in Holls Leben steht noch bevor: unzufrieden mit seiner Existenz als Arbeiter, beschließt er, die Arbeitermittelschule und danach die Universität zu besuchen. Es beginnt ein gesellschaftlicher Aufstieg, der sich als unerhört konfliktreich und widersprüchlich erweist. Ja es scheint, daß sich in Die großen Wörter, Innerhofers drittem Roman, einer auf die Suche nach einem anderen, besseren Leben begibt, einzig um zu erkennen, daß dieses Leben eine Illusion ist. Nur deshalb kann der Autor die Verhältnisse so präzise beschreiben, weil er sich seine Naivität und die Fähigkeit zur Erfahrung bewahren konnte; ist er doch selber einer von jenen „Arbeitermittelschulabendteurern“, die in ihren Berufen „immer weiter herunter‘ kommen, einzig in der Hoffnung, irgendwann das ersehnte Abitur zu machen. Bald schwindet die Ehrfurcht vor den Lehrern, die zwar allesamt Akademiker, aber zumeist völlig unfähig sind, ihr Fach den überanstrengten und müden Abendschülern in adäquater Form näher zu bringen. Und je höher Holl die Bildungsleiter erklimmt, desto größer wird seine Angst vor Enttäuschung: „sein Entsetzen über die Unbekümmertheit und den mittelmäßigen Verstand der Studenten brachte er nicht mit den Universitätsprofessoren in Zusammenhang, sondern er hob die Universitätsprofessoren als seine letzte Hoffnung aus allen Zusammenhängen heraus und weigerte sich, sie in Lächerlichkeiten verwickelt zu sehen. Er hatte einfach Angst, irgendwann zu nichts in der Welt ja sagen zu können.“ Das Besondere an Innerhofers Texten ist, daß er niemanden überzeugen, schon gar nicht einen politischen Weg weisen will; so sehr sich darüber streiten läßt, ob das letzte Kapitel von Die großen Wörter auch wirklich geglückt ist, so ist es doch von bestechender Authentizität. Es ist dies ein Streitgespräch ganz im Stile der siebziger Jahre über die Kommunistische Partei, das Holl mit einem Kollegen führt. Später erinnert sich Innerhofer an die Schwierigkeiten, die bei der Arbeit dieses Kapitels auftauchten: „Eigentlich wollte ich einen positiven marxistischen Ausgang für das Buch. Aber beim Schreiben sind mir plötzlich Sätze eingefallen, daß ich merkte - alles, was ich bisher erlebt habe, hat sich als nichtig herausgestellt. Ich konnte diesen Schluß den Leuten nicht antun, es wäre eine völlige Lüge gewesen ... Ein jahrelang errichtetes Gedankengebäude habe ich in wenigen Tagen über Bord geschrieben.‘ Freunde nehmen ihm das übel, sind politisch enttäuscht von ihm. In raschem Tempo von nur drei Jahren hatte Innerhofer seine Trilogie publiziert. Doch wirklichen Erfolg hatte er nur mit seinem ersten Buch, besonders Die großen Wörter trugen ihm Kritik ein. Der Sohn eines Landarbeiters und einstige Knecht hatte nicht nur den Bildungsbetrieb der Lächerlichkeit geziehen, sondern auch Verleger und Kritiker, jene, die ihm einst Genialität bescheinigten und mit Kafka verglichen hatten, gründlich durchschaut und brüskiert: „Viel schmerzhafter“, sagt er in einem Interview, „war meine Unterschrift unter den ersten Verlagsvertrag. Absurd: Ich schrieb über Leibeigene, und wurde selber einer.‘ Kaum war der dritte Band der Trilogie abgeschlossen, wird ihm auch schon prophezeit, daß er als Schriftsteller ausgebrannt sei, einer, der sich zwar sein Leben von der Seele geschrieben habe, dem aber nun nichts mehr einfallen würde. Bereits damals spricht er von der „Bedrängnis“ des Literaturbetriebes und stellt die grundsätzliche Frage, wie lange Autoren den „Wahn der Publikationsgeschwindigkeit“ überhaupt durchzuhalten vermögen. „Ja, ich hab’ das selber kapiert, ich hab‘ öfters zu Leuten gesagt, daß ich draufgekommen bin, daß also drei Bücher immer noch nichts sind, das heißt ich brauch‘ fünf Bücher ... ich mein’ so begierig bin ich dann auch wieder nicht zu publizieren, sondern ab einem bestimmten Preis würd’ ich also dann nicht mehr publizieren.“ Es war schon merkwürdig, daß ausgerechnet er, der ständig gegen den Kulturbetrieb rebellierte, sich im Umgang mit deren Agenten kaum zu schützen vermochte. Liest man Innerhofers Interviews aus den siebziger und achtziger Jahren so fällt auf, mit welcher Naivität und Offenheit er Journalisten manchmal gegenüber trat. Er beherrschte nicht die Kunst des Taktierens, war auch der Überheblichkeit mancher Kritiker nicht gewachsen, nahm sie zu ernst und versuchte sich zu rechtfertigen. Daß da ein erfolgreicher Schriftsteller die Fragwürdigkeit seiner Existenz, ja deren Lächerlichkeit thematisierte, war für Kritiker unerträglich, weil sie verstanden, daß auch sie gemeint waren. Sie hatten leichtes Spiel mit dem renitenten Aufsteiger, der, statt sich dankbar zu erweisen, die Intellektuellen permanent in Frage stellte. Der Angst, zu nichts mehr in der Welt ja