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sagen zu können, nirgendwo dazuzugehören, dieser Wunde spürten sie nach. Innerhofer hatte es kaum vermocht, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Gewiß wäre es falsch, ihn, der seine „Zerrissenheit‘“ und „Verzweiflung über seine eigene Entwicklungsgeschichte“ ständig reflektierte, bloß als Opfer des Literaturbetriebes zu bezeichnen. Es sei eben teuflisch, sagte er einmal, verschiedene Schichten der Gesellschaft durchlaufen zu müssen. „Früher hab’ ich Berufe gehabt, wo ich Leistung sehen konnte, ich konnte am Abend sehen, wieviel Heu da umgeladen worden ist ... und es bringt irgend eine Art der Befriedigung mit sich ... wogegen jetzt natürlich beim Nachdenken ... andere, die arbeiten, könnten sagen: der tut überhaupt nichts, der geht andauernd im Feld herum.“ Tatsächlich war Innerhofer aufgrund seiner Herkunft und besonderen Geschichte den gesellschaftlichen Identitäts- und Arbeitszwängen schärfer ausgesetzt als andere. „Für mich ist das Schreiben noch immer kein Beruf geworden, obwohl ich bisher nichts anderes gemacht hab’ ... aber es fehlt mir einfach was ...“ Kein Ausweg aus den Widersprüchen, nirgendwo Halt in der Welt: der brennende Wunsch, die Sache, die ich mache, „wichtig zu nehmen“, und zugleich zu wissen, als Literat eine „Art Wurschtel“ zu sein, „mit dem man nach Belieben verfahren kann.“ Verzweifelt versucht Innerhofer, der spürte, daß er dem äußeren und inneren Druck zunehmend weniger gewachsen war, seine Unabhängigkeit zu wahren. Um sich den Anforderungen des Literaturbetriebes entziehen zu können, eröffnet er zu Beginn der neunziger Jahre in Graz die Buchhandlung „Orvieto“, benannt nach der Stadt in Umbrien, in der er sich immer wieder aufhielt, weil er die Menschen und das Klima besonders gerne mochte. Als er einmal gefragt wurde, warum er sich nicht dorthin, nach Italien, zurückziehe, antwortete er: „Weil es mir dort zu gemütlich wäre.“ Liest man Innerhofers Trilogie mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung, so fällt zunächst ihre Modernität auf. Frei von jeder benennbaren Utopie erweist sich alle Hoffnung auf ein besseres Leben innerhalb der bestehenden Verhältnisse als Illusion. Die Kraft, die der Leser aus Innerhofers Texten beziehen kann, aber rührt genau aus dieser Negativität, der die Hoffnung innewohnt, solange Schmerz und Leid vergegenwärtigt werden können. Weil Innerhofer die nationalsozialistische Vergangenheit ausblendet und zur Hölle der Gegenwart erstarren läßt, konnte er die postfaschistische bäuerliche Gesellschaft so glaubhaft darstellen. Weil er ohne großen Gestus Ungeheuerliches erzählt und man nicht einmal erfährt, wie es dazu gekommen ist, erhält die Wirklichkeit etwas Beklemmendes. Zugleich aber stellt gerade diese Erstarrung der sozialen Verhältnisse, die Ausblendung ihrer Geschichte auch ein Defizit der deutschsprachigen Literatur der siebziger und achtziger Jahre dar. Dabei wurde der Alltag insofern abstrakt, als er von den historischen Voraussetzungen abgelöst betrachtet wurde. Andrerseits ist es keinem wie ihm gelungen aus dieser hermetischen Abgeschiedenheit des Alltags etwas von der wirklichen Erstarrung des Postfaschismus sichtbar zu machen. Innerhofers plötzlicher Erfolg Mitte der siebziger Jahre war freilich auch ein glücklicher Zufall, eine Laune der Zeit; unwahrscheinlich war es, daß es ihm gelingen würde, diesen großen Wurf zu wiederholen. Damit umzugehen, war gewiß nicht einfach. Nach der vernichtenden Kritik seiner beiden letzten Bücher Der Emporkömmling und Um die Wette leben fehlte ihm vielleicht auch der Mut weiter zu schreiben. Viel10 leicht auch hätte ihm die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Vergangenheit einen politischen und literarischen Weg weisen können. Doch hat Innerhofer zugleich auch die Fragwürdigkeit des Erfolges zum Ausdruck gebracht, indem er sich wie kaum ein anderer dem Literaturbetrieb entgegenstellte und Kompromißlosigkeit demonstrierte. Literatur ist eben immer auch das Ergebnis des Zusammenfallens eines bestimmten historischen Augenblicks und einer besonderen individuellen Entwicklung; diesen historischen Augenblick hat Innerhofer auf einzigartige Weise genutzt. Die Zitate sind entnommen Franz Innerhofers Trilogie Schöne Tage (dtv 1993), Schattseite (suhrkamp 1979) und Die großen Wörter (suhrkamp 1980), die Interviews aus Zeitungen und Zeitschriften, die sich in einem Konvolut des Schriftstellers im Literaturhaus (Wien) befinden. Andre, die das Land so sehr nicht liebten... Erich Schmeckenbecher stand mit seinen 1985 erstmals auf Platte erschienenen Vertonungen von Theodor Kramers Gedichten wieder auf der Biihne. (Feldkirch, Theater am Saumarkt, 25.5. 2002). Schnee von gestern? Aufgewärmte Brötchen? - Erich schien sich diese Frage selbst auch gestellt zu haben. Er nahm sich Zeit für seine Antwort auf meine Einladung. Erich kam zusammen mit seinem Freund, dem Bellman-Kenner Bömmes, nach Feldkirch. Die beiden teilten sich den Abend. Vor der Pause Kramer, nach der Pause Bellman. Erich Schmeckenbecher kann’s noch. Nach — wie er sagt — acht Jahren das erste Konzert. Vorher Ausfliige oder Ausbriiche in die neue „Volxmusik“, für die Hubert von Goisern wegweisend steht, oder in Pop-Rock-Gefilde. Und noch immer bezwingen die wunderbaren Melodien zu den Kramer-Texten mit ihren eindringlichen Bildern. Erich schafft mit seinem Gesang, der feinen Gitarrenbegleitung und seiner verbindenden Moderation eine dichte, intime Atmosphäre. Bömmes überraschte mit den derben, jedoch durchaus auch wohlklingenden Songs des schwedischen Rokokodichters Carl Michael Bellman, der schon vor 200 Jahren vor keinem Tabu zurückschreckte. Bömmes interpretierte Bellman so überzeugend und gekonnt, dass der Eindruck entstand, so seien diese Werke einstmals gedacht gewesen. Erich Schmeckenbecher ließ sich nicht lange bitten, das wunderbare „Andre, die das Land so sehr nicht liebten...“ als Zugabe noch einmal zu singen. „Ich hatte ganz vergessen, wie sehr Musik berühren kann.“ Dieser Kommentar im Foyer nach dem Konzert kann wohl als Antwort auf die eingangs gestellte Frage gelten. Kramer und Bellman — nach diesem Abend gab es keine Zweifel, dass sie zeitgemäß sind wie eh und je. Konrad Bönig Die CD Andre, die das Land so sehr nicht liebten... von Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher ist auch über die Theodor Kramer Gesellschaft zum Preis von Euro 19,50 beziehbar.