OCR
Halbverborgenen ab; wer sehen will und sucht, der kann auch finden. Die alten Polizeispitzel sind bekannt, die neuen werden schnell erkannt. Und für Zigarettenschmuggel oder Kleiderimitationen hat die Polizei auch keine große Lust, ständig neue Menschen in Einsatz zu schicken. Die Welt, das Alte, das Neue, alles ist da pulsierend vereinigt auf einem Platz in einer Stadt, die ohne MigrantInnen längst nur mehr aus kantigen alten Menschen bestehen würde. Alltagswelt als neu zu entstehende Geschichte Die Bewacher des Mexikoplatzes fühlen sich von diesem Raum ständig herausgefordert. Eine Fülle von Eindrücken (trotzt niedrigen Preisen!), ein unübersichtliches Beziehungsgeflecht, dazu ein von Kontrollen geprägtes soziales Mikroklima und eine chaotische, teilweise für andere gesellschaftliche Schichten gedachte Architektur. Herumliegende Kartonschachteln, Kaffeetische an den Eingängen plaziert, aus der Dose Bier trinkende Männer (in allen Weltsprachen) über Politik redend, Wohnungen, die seit ihrer Entstehung nicht renoviert wurden. Langeweile ist so gut wie unbekannt. Herumlaufend und flanierend beobachtet jeder die Jugend, die neuen Schönheiten, die stolz sind und Stolz zeigen. Denn ein Merkmal der MigrantInnenszene in Österreich — wie der MigrantInnen auf der ganzen Welt - ist die selbstbewußte nächste Generation. Eine Generation von kämpferischer Durchsicht der Verhältnisse. Derjenigen Verhältnisse, die von ihren Eltern als normal empfunden wurden und die jetzt von dieser Generation permanent und zunehmend in Frage gestellt werden. Der vermeintliche Widerstand basiert auf dem einfachen Prinzip des Wissens. Demjenigen, der weiß, kann man die Sprache nicht mehr verweigern. Egal wie still sich ihre Stimme anhört, sie sprechen und artikulieren und bestimmen schon damit die Zukunft. Die hegemoniale Identität ist gemeinschaftlich geworden, da können die Herrschenden dagegen wettern wie sie wollen. Der Modus des Zugangs ist es, der neben dem Rhythmus des Mexikoplatzes die Textur der zwischenmenschlichen Beziehungen als Widerstandsprojekt bestimmt. Und damit ist der namenlose Rebell König. Dieses Bewußtsein dieser Generation ist jedoch nicht bloß ein Übergangsmodus, sondern ganz entschieden geprägt durch eine ihnen von der Gesellschaft aufgezwungene Form der Perzeption. Die jungen Menschen haben gelernt, im Staate Österreich zu sehen. Und dabei offenbart sich Wien, der Mexikoplatz und auch die gesamte Gesellschaft, als Ort der Unterdrückung und Ausbeutung. Wo die MigrantInnen rücksichtslos durch Gesetze entrechtet und als nicht mehr brauchbar weggejagt werden, da wird zugleich ständig von vielen, vielen Universitätsprofessoren, Intellektuellen und Pädagogen über Integration geredet. Alles Fassade, potemkinsche Dörfer, Hollywood im Leben, das für andere gedacht wird. Liebevoll erzählt man im Bekanntenkreis über seine „bosnische Putzfrau“, „ägyptische Kolporteure“ und „schwarze Bekannte“. Niemand bemerkt (scheinbar!), daß diese vor allem Menschen und nicht solche entwürdigenden Symbole in der Kommunikation der Mächtigen sind. In der k.u.k.-Zeit herrschte ein streng rationales Muster. Die Bürokratie beschloß, dem ewigen Jagdgebiet und Gelsensumpf an der Donau Herr zu werden, es auszutrocknen. Das Gebiet war schon zu dieser Gründerzeit von Gastarbeiterträumen geprägt: die Trockenlegung erfolgte mit eingewanderten Polen und Tschechen, denen man die Vorläufer der heutigen Arbeitercontainer zur Verfügung stellte; die Erde, in die sie ihre Wohnlöcher graben durften. So lebten sie, bis die nächste Schicht kam, um die ersten - in Erdlöchern lebenden, an Seuchen gestorbenen Kameraden — zu beerdigen. Danach wurde die Kirche gebaut, zu Ehren der Kaiserin Elisabeth. Ihre Kapelle ist drinnen, den Anarchisten Luccheni, der sie mit Muranoglas erdolchte, ehrt man vor der Kirche. Die Ironie der Geschichte: Keiner von uns kann sich an diese zwei Gestalten unabhängig voneinander erinnern. Erst später, um die Jahrhundertwende herum, hat man begonnen, die umliegenden Häuser zu bauen. Um die Vorgartenstraße die reicheren Schichten, sonst die Bassenahäuser mit Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung und -ordnung. Da waren auch die großen Wohnheime, in denen die galizischen Juden kurz - in Schlafsäle gepfercht — ihre trügerische Ruhe fanden. Unweit davon baute man den Nordbahnhof im maurischen Stil, der vom hungrigen Uhrmacher Gerstl in die Luft gesprengt wurde, weil er es während der Wirtschaftskrise nicht mehr ertragen konnte, die Welt mit den Augen der Armen zu betrachten. Sogar nach seinem Todesurteil blieb er in Erinnerung als einer, der gesagt hatte, daß es ihm nicht leid tut. Endgültig trug man dieses Gebäude erst 1974 ab, viel später, nachdem es im Zweiten Weltkrieg ein zweites Mal zerbombt wurde. Vorher hat es aber seinen unwürdigen Zweck erfüllt, indem die Nazis seit 1943 die Juden von dort nach Auschwitz und Theresienstadt deportierten. Viele dieser Transformationen zeigen sich heute noch, wenn wir den Zeichen, die am Mexikoplatz herumliegen, nachgehen. Diese Geschichten konnten in dieser jetzigen Form nur die Offenheit hervorbringen. Alles anderes wäre Trug. Ein Tatbestand bleibt und weist auf eine Struktur hin, die über diesen Raum in die österreichische Gesellschaft hineingreift. Denn 23