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führten Lebensmittel verteuerte. Überall an den AusfallsstraBen Wiens, von der Breitenfurterstraße bis nach Neuwaldegg, stehen heute noch zahlreiche typische Amtsgebäude, in denen die „Spinatwachter“ die Steuer einhoben. Nur in der Donaustadt verlief die Trennlinie nicht an der Stadtgrenze, die bis 1904 von der Alten Donau gebildet wurde, sondern direkt am rechten Brückenkopf des Stroms. Hier wurde kein ansehnliches Amtsgebäude errichtet, sondern die Kanzlei unter den Arkaden eines jener großspurigen Gebäude versteckt, die nach dem ursprünglichen Plan einst das Foyer der Reichshauptstadt bilden sollten. Von nun an blieb der Platz vor den Arkaden frei, es stauten sich keine Wagen mehr vor dem Haus. Das funktionslos gewordene Lokal wurde der Polizei als Wachstube überlassen. Aber auch das ist schon lange Vergangenheit: heute befinden sich an dieser Stelle ein Kebabhaus und ein Schnäppchenmarkt. Das erste Jahrzehnt der Republik verlief zwischen Praterstern und Donau ruhig und ohne Hast. Die Bauten der Gemeinde Wien schlossen die frei gebliebenen Baulücken und brachten dem Viertel eine dauerhafte Aufwertung. Doch im Februar des Jahres 1934 standen Kanonen neben dem kleinen, an die Jubiläumskirche angebauten, Trinitarierkloster und beschossen den Goethehof in Kaisermühlen. In der Donaustadt selbst fanden keine Kämpfe statt, nur die „Exekutive“ durchzog mit gefalltem Bajonett in Schwarmlinie die Straßen und führte Hausdurchsuchungen durch. Doch an den nordostwärts gerichteten Gangfenstern der Häuser in der Engerthstraße, deren Rückseiten zum Handelskai damals noch unverbaut waren und freie Sicht auf Kaisermühlen boten, drängten sich Frauen und sahen weinend die Einschläge der 32 Granaten in die Mauern der Häuser, in denen sie ihre Verwandten wußten. Sie waren selbst von der „Glasscherbeninsel“ über die Donau gezogen, denn der Besitz einer Wohnung in der Donaustadt galt als Aufstieg. Nunmehr waren die Straßennamen des „Roten Wien“ unerwünscht: aus der Lassallestraße wurde die Reichsbrückenstraße, die diesen Namen lange, auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1949 behielt. Der Volkswehrplatz, auf dem im Februar die Geschütze standen, verlor seinen Namen erst im Dezember 1934 und wurde wieder zum Erzherzog-Karl-Platz. Und diese Bezeichnung erwies sich über mehrere Regimewechsel hinweg als sehr haltbar: erst 1956 erhielt der Platz seine heutige Bezeichnung „Mexikoplatz“. Er wurde damit nach dem einzigen Staat der Welt, der 1938 Einspruch gegen den Anschluß Österreichs an Deutschland erhoben hatte, genannt. Ein unscheinbarer Gedenkstein westlich der Kirche erinnert daran. Nach 1934 wurden keine Gemeindebauten mehr gebaut. Die einzige bemerkenswerte größere Veränderung in unserem Viertel war der 1937 vollendete Neubau der Reichsbrücke. An die Stelle der alten Konstruktion, die, an ihren Enden von je zwei mächtigen Türmen aus massigem Stein beschützt, durch einander kreuzende Eisentraversen seitlich abgeschirmt, schwer auf Pfeilern ruhte, trat der leichte Bau einer Kettenbrücke. In der Kriegszeit durch einen Stützpfeiler etwa in der Strommitte verstärkt, überstand sie alle Gefahren wie auch die Versuche ihrer Sprengung am Kriegsende und bildete danach lange Zeit den einzigen intakten Stromübergang auf hunderte Kilometer. 1976 aber stürzte sie ohne ersichtlichen Anlaß in sich zusammen. Es war 5 Uhr morgens, und daher fiel nur ein einziger Autofahrer dem Einsturz zum Opfer. Der Chauffeur eines städtischen Autobusses, der sich zur Zeit des Einsturzes auf der Brücke befand, wurde gerettet. Der heutige Brückenbau ist der dritte an dieser Stelle. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1938 brachte für zahlreiche Bewohner der Donaustadt Not, Elend, Vertreibung und für viele am Ende auch den Tod. Denn wie andere Teile der Leopoldstadt war auch dieser Bezirksteil von zahlreichen Menschen jüdischer Herkunft besiedelt. Symbolisch stand am Anfang die Umbenennung der Wehlistraße in Admiral-Scheer-Straße (wohl weil sie nah am Wasser lag), nur weil sich herausstellte, daß der 1892 verstorbene August Freiherr von Wehli, Vizepräsident der Donau-Regulierungs-Kommission, Jude gewesen war. Auch der Trinitarierorden, dem die Pfarre 1917 übergeben worden war, blieb nicht frei von nationalsozialistischer Verfolgung. Pater Franz Weigand, beheimatet in Franken, nach dem Zweiten Weltkrieg lange Jahre Pfarrer der Donaustadt, kehrte 1943 von einem Urlaub in seiner Heimat nicht zurück, sondern wurde dort wegen seiner negativen Einstellung zum Nationalsozialismus verhaftet und ins Zuchthaus Brandenburg gebracht, wo er bis zum Kriegsende festgehalten wurde. Die Trinitarier, ein karitativer Orden, 1198 zum Zwecke des Loskaufes christlicher Sklaven gegründet, widmet sich heute der Unterstützung und Betreuung Obdachloser und Ausgegrenzter. Im Verlauf des von den Nationalsozialisten vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieges wurde das Viertel zwischen Praterstern und Donau in den beiden letzten Kriegsjahren ebenso mit Bomben belegt wie andere Teile der Stadt, aber es erlitt weniger Schäden als seine Lage an einem bedeutenden Bahnhof und an einem wichtigen Donauübergang hätte vermuten lassen. Erst an seinem Ende wurde der Krieg direkt in seine Straßen getragen. Acht Tage lang brauchte die Rote Armee, um