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Zum festgesetzten Termin erscheinen wir zur Audienz. Außer uns sind noch Leute mit Bittschriften da. Weil sie sich nicht mehr zu helfen wissen, brauchen sie eine unbürokratische Hilfe, die nur mehr an der Spitze der Bürokratie erhofft wird. Die Empfangsräume befinden sich in einem Palais, sind weiß oder eierschalenfarben gestrichen, die Stukkaturen an der Decke und die Türrahmen sind vergoldet. Weite Parkettböden. Ich habe mich gut angezogen für den Anlaß. Meine Tochter zischelt: Wenn du zu den Mächtigen gehst, sollen sie an dir nichts auszusetzen finden. Schließlich werden wir vor den ärarischen Biedermeierschreibtisch geführt. Links eine moderne Schreibplatte mit Sekretärin, rechts ein Sicherheitsmann. Darüber der Kristallluster; der Sicherheitsmann muß wahrscheinlich darauf achten, daß er nicht herunterfällt. Fiele er herunter, wären Bundespräsident und Bittsteller gemeinsam unter ihm begraben und ihre Wege trennten sich nicht mehr. Guten Tag, beginnt meine Tochter, ich bin gekommen, um einen mächtigen Mann zu sehen. Ein Paar Brillengläser hinter dem Biedermeier blitzen auf. Sind dir, fragt eine kleine, wie in Fett eingelegte Stimme, deine Eltern nicht mächtig genug? - Zu meinen Eltern kommt sicher keiner mit Bittschriften. Im Gegenteil, sie verfassen selber andauernd Bittschriften. — Nun denn, ich möchte nicht sagen, daß ich mächtig bin, denn mit der Macht muß man sehr sorgfältig umgehen. Mein Schreibtisch ist keine Banknotenpresse, meine Sekretärin keine Wahlurne und mein Freund, der zu meiner Sicherheit da ist, keine Armee. Man hängt immer von anderen ab, man hängt mit ihnen zusammen und sei sich dessen in Demut bewußt. Das nenne ich Verantwortung, wenn du mich verstehst. Ich habe daher auch viele Pflichten, denen ich nachkommen muß wie du deinen Eltern. Jedes Ding an seinen Platz! Wenn das so ist, sagt meine Tochter unnötigerweise, sind wir am falschen Platz. Man nennt Sie Bundespräsident und Sie sind von den wirklich Mächtigen angestellt, für Kinder und kleine Leute die Macht zu spielen. Nein, nein, mein Kind, falle ich ihr ins Wort, die Situation zu retten, du siehst das falsch, der Herr Bundespräsident ist ein Mensch von Fähigkeiten, nicht jedermann erklimmt solch eine Höhe, man braucht Ehrgeiz, Energie und Rücksichtslosigkeit. Guten Tag, gibt sich die kleine Stimme kurz angebunden, es warten draußen Leute, die etwas wollen. Der Sicherheitsmann bewegt sich mit ausgebreiteten Armen auf uns zu, als wolle er uns hinauswedeln. Ach, denkt sich die Frau und reibt sich das eine brennende Auge und schließt das Fenster zum Hof, selbst in meinen albernsten Tagträumen komme ich mit unseren Staatsspitzen zu keinem Einvernehmen. Als S. und K. die Wohnung bezogen, war sie nicht leer, ein Klavier war darin und auch der massive Einbaukasten im Vorzimmer. Vom persönlichen Leben der Vorbewohner fanden sich dennoch nur spärliche Spuren. Allein im Kabinett, das der Sohn bewohnte, war ein Plakat hängen geblieben, das ein Liebespaar vor dem Hintergrund von Sandstränden und Palmen zeigte. Der Mann auf dem Plakat war groß und brünett, sein Blick war nach vorn, auf den Beschauer und in die Zukunft gerichtet. Sein rechter Fuß war vorgestellt, als hätte er sich in der Stellung seines Fußes die Richtung notiert, in der er weiter voranschreiten wollte. (In dieser paradiesischen StrandKaribik könnte man sich leicht selbst vergessen!) Die Plakatfrau war blond und zierlich, ihr Blick war verhangen... Federzeichnung von Corona Gsteu Ein Mann ging seinen Weg und hatte sich die passende Gefährtin gefunden, um deren Hals er den Arm schlang. Die neuen Bewohner waren mit dieser Darstellung nicht zufrieden. Wenn sie auf seinen Schultern säße, schlug S. ironisch vor, und er lächelnd zu ihr aufblickte? K. protestierte: Für die Frau sei der Gefährte in diesem Fall nur Gefährt, das sie durch die Fährnisse des Lebens transportiere, damit sie mit den Niedrigkeiten des Daseins nicht in Berührung komme. Z.B. könne sie sich dann immer unkompromittiert und kompromißlos geben in Beziehung zur Macht. S. lächelte. Dem Manne erscheine die Frau auf seinen Schultern doch als eine liebenswerte Bürde, die er lieb habe, weil sie von ihm abhängig sei. Und so trüge er gerne seine Last. „Könnte man“, ließ sie nicht locker, „die Sache nicht umdrehen. Angenommen, er sitzt auf ihr? Entspräche das nicht eher den bekannten Tatsachen?“ „Unsere Vorschläge kommen der Realität viel zu nahe“, wurde K. ungehalten, „sie eignen sich nicht, in einem heranwachsenden Jüngling irgendeine Illusion zu erwecken, eine Haltung vorzuführen, die man nachmachen kann.“ Danach schwiegen sie eine Weile. „Also, wenn das so ist“, fing K. wieder an, „dann soll das Paar halt Hand in Hand nebeneinander posieren, beide in ruhiger Haltung nach vorn blickend.“ S.’ Augen funkelten boshaft. „Das ruhige Nebeneinander bedeutet nur, daß jeder an seinem Ort das Seine tut, in wechselseitiger Ergänzung, Arbeitsteilung. Sie kümmert sich um Haus und Kinder, er ums Geld. Aber, ab49