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Lange schon kann ich nicht mehr putzen gehen, weil ich Riickenweh habe und meine Hiinde wund werden, wenn ich nur daran denke. Ich kann keine Arbeit mehr tun. Immer nur allein zu Hause, verweile ich in der Kiiche, um das Essen vorzubereiten. Allein sitze ich da. Stumm schau ich fern. Ich weiß aber oft nicht, was da so alles gezeigt wird. Früher habe ich gearbeitet. Wir sind so Mitte der Sechziger gekommen und ich arbeitete zuerst in einer Putzfirma, nachher in der Wäscherei von einem Krankenhaus. Am frühen Morgen ging ich los, Vormittag gegen Mittag zurück und am Abend wieder hin. Mein Rücken wurde krumm und lahm vom ewigen Bücken, aber wir hatten eine größere Wohnung und zwei Töchter. Die waren damals auch noch klein und zierlich und warteten auf uns. Jeden Tag waren sie bei der Tür, wenn ich von der Arbeit eintraf, um mir ihre Welt zu erzählen. Müde lauschte und saugte ich diese Bilder in mich hinein, und konnte am nächsten Tag wieder aufstehen. Der Mann war auch da. Seit fünfzehn Jahren bin ich Witwe. Die Zeiten ändern sich, es ist etwas da, und dann ist es nicht mehr da, so wie wenn es das nie gegeben hätte. Bei der Arbeit war es, wie es so ist, manchmal gab es Tränen, manchmal Lachen. Wenn die Vorarbeiterin gut gelaunt war, konnten wir sogar früher nach Hause gehen. Da schauten die Kinder. Wenn es viel zu tun gab, blieben wir länger. Bezahlt haben sie so viel, wie sie wollten. Etwas dagegen zu sagen oder mehr zu fordern, trauten sich wenige, und die waren schnell nicht mehr da. Ich glaube, die hatten auch keine Kinder. Die Gelder kamen aber regelmäßig, wir lebten davon, und die Töchter wurden größer. Es gab Arbeit und wir waren jung. Vor genau zehn Jahren aber hatte ich einen Unfall, gestürzt, die Treppe hinunter, in einem Haus im achtzehnten Bezirk beim Putzen, schwarz. Ich bin aufgestanden und mit dem Taxi nach Hause gefahren. Ich wollte ihnen nicht zeigen, wie weh es mir tat. Es ist aber nicht so gewesen, wie ich es mir gedacht hatte; drüberschlafen und gut wird’s, nein, es wurde schlimmer, und dann kamen die Arzte und das Krankenhaus und eine erste, zweite, dritte Operation. Jetzt sitze ich zu Hause und erinnere mich daran wie durch einen Nebel. Die Töchter waren schon groß, sie gingen in die Schule. Ins Gymnasium, nach dem Wunsch meines verstorbenen Mannes, den das Herz auf der Baustelle im Stich gelassen hat, und ich hatte mich sehr bemüht, daß sie so viel Geld wie möglich bekamen. Dann ging es nicht mehr. Zur Arbeit konnte ich nicht mehr gehen, und die Wohnung wurde schon zu groß für das Geld, das wir hatten. So übersiedelten wir hierher in Wehlistraße am Mexikoplatz. Ein Zimmer-Küche-Kabinett. Einige Jahren blieben die Töchter noch bei mir und dann gingen sie, heirateten: eine glücklich, eine unglücklich. Den Traum meines Mannes, sie studieren zu lassen, konnte ich ihm nicht mehr erfüllen. Jetzt besuchen sie mich manchmal. Aber sie haben ihre Sorgen, ihre Männer, ihre Kinder, ihre Schwiegereltern, ihre Arbeit und nicht so viel Zeit. Ich lebe von meiner Rente. Jeden Tag gehe ich kurz einkaufen, und dann koche ich etwas für mich, aber ich decke den Tisch so, wie wenn der Mann auch da wäre. So ist es bei uns, wir geben den Toten auch etwas vom Essen, damit sie dort in der anderen Welt nicht verhungern und verdursten. Ich weiß nicht, warum ich nicht dorthin zurückkehre, von wo wir vor vierzig Jahren hergekommen sind. Aber auch dort: wohin sollte ich, wir hatten kein Haus, waren arme Kinder, die sich getroffen haben und weggingen. Meine Eltern sind schon lange nicht mehr in dieser Welt und die Geschwister, die haben ihre Sorgen. Einmal im Jahr, im Frühling besuche ich sie für eine Woche, aber ich habe schnell genug. Dort will ich nicht sein, diese Wohnung hier genügt mir, sie ist halt nicht groß, aber sie ist auch nicht feucht und die Nachbarn sind junge Menschen, manche auch aus der Gegend, wo ich herkomme. Sie grüßen mich und manchmal, wenn ich sie am Markt treffe, tragen sie mir die Taschen hierher. Das Leben ist nicht so, wie wir uns das vorstellen und es ist auch nicht anders, als das, was es immer ist. Lisl Ponger: Photogramm, 2002 53