OCR
Der Architekt Viktor Luntz ging übrigens aus der Schule von Friedrich Schmidt hervor, er war erfolgreicher Mitarbeiter beim Bau des Wiener Rathauses gewesen und Architekt und Baumeister der Herz Jesu-Kirche in Kaisermühlen. Die mächtige Jubiläumskirche mit einem Fassungsvermögen von über 4.000 Personen - sie sollte als Pfarrkirche für die an der Donau entstandenen neuen Siedlungen und für die in der Nähe gelegenen Garnisonen dienen — liegt etwas über den Mexikoplatz erhöht, da man für die gewaltigen Fundamente einen drei Meter hohen Erdhügel aufschütten mußte. Stilistisch orientierte sich das in Granit und Sandstein erbaute Gotteshaus an der rheinischen Spätromanik in der breiten Baukörperstaffelung und der reichen Dekoration mit Zwerggalerien und Blendarkaden. Sowohl der Außenbau als auch die Innenraumgestaltung der Jubiläumskirche erinnert an die romanischen Kirchen Kölns. Der mächtige Vierungsturm (fast 74 Meter hoch), der von vier polygonalen Ecktürmchen begleitet wird, hat sein Vorbild in der mittelalterlichen St. Martinskirche in Köln. Nordöstlich wurde auf achtseitigem Grundriß die Kaiserin Elisabeth-Gedächtniskapelle angebaut. Seit einigen Jahren wird sie für Kulturveranstaltungen und Konzerte genützt („Kultur in der Kapelle“). Für ihre architektonische Gestaltung wurden als Vorbilder die byzantinische Kirche San Vitale in Ravenna und die Aachener Pfalzkapelle, einst Krönungskirche, aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung bewußt gewählt; beide sind ebenfalls Kuppelbauten mit oktogonalem Grundriß, Pfeilerarkaden und Emporengeschoß. Die bereits 1908 fertiggestellte Elisabethkapelle steht mit ihrer reichen Ausstattung in Kontrast zu dem sehr schlichten Innenraum der Kaiserjubiläumskirche. Die Mosaiken auf Goldgrund, die Ornamentmalerei, die Marmorverkleidung und die vielen schmückenden Details machen die Kapelle zu einer architektonischen Besonderheit ersten Ranges. Das Österreichische Rote Kreuz finanzierte damals die Ausstattung der Kapelle, die der hl. Elisabeth geweiht ist, während bei der Franz von AssisiKirche aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wesentliche Vereinfachungen gemacht werden mußten, so daß zum Beispiel die geplanten Wandgemälde bedauerlicherweise nicht durchgeführt werden konnten und daher der Innenraum auch heute noch in seiner Schmucklosigkeit etwas unvollendet wirkt. Speziell bei plastischen Elementen und Ausstattungsstücken fällt immer wieder auf, daß Motive und Ornamente des Jugendstils von der historisierenden Architektur aufgenommen wurden und sich miteinander verbanden. Schade, daß der in Jugendstilformen gebildete hölzerne Baldachinaltar, einst Hochaltar, sich heute im Querschiff befindet. Sein floral gestaltetes, durchbrochenes Dach wird von vier Stützen getragen, die mit secessionistischen Engelsfiguren geschmückt sind und stilistisch wiederum mit den Reliefs der Orgelempore zu vergleichen sind. Dieser Altar war übrigens ursprünglich 1912 beim Eucharistischen Weltkongreß am Burgtor aufgestellt gewesen. 1964 brachte man den heutigen Hochaltar, einen neuromanischen Ziboriumaltar, in die Kirche; er stammt aus der Stiftskirche in Seckau und dürfte der eher puristischen Einstellung der 1960er Jahre mit dem Wunsch nach Stileinheit besser entsprochen haben. Seit dem 15. Juli 1917 sind die Trinitarier am Mexikoplatz, damals noch Erzherzog Karl-Platz, 1925 errichteten sie neben der Kirche auch ein Kloster und im Prater die kleine Wallfahrtskiche „Maria Grün“. Als Kardinal Fürsterzbischof Piffl in einem festlichen Akt die Jubiläumskirche diesem Orden übergab, richtete er in seiner feierlichen Ansprache an die versammelte Gemeinde folgenden Appell: „Liebe Donaustädter, schenkt diesen braven Ordensleuten euer Herz und euer Ver trauen! Nicht Geld und Gut wollen sie von euch, nichts anderes, als eure Seele. Es handelt sich jetzt auch nicht um den Loskauf von Gefangenen, sondern um die Befreiung Verirrter und Verführter aus der Sklaverei der Sünde. Sie werden euch Helfer und Väter sein...“ Ein Auftrag, der zwar damals etwas romantisch übersteigert formuliert wurde, der aber dennoch bis heute ernst genommen wird — so von den beiden Trinitariern Pater Mario und Pater Alfred. Der Orden der Trinitarier, 1198 in Frankreich im Zusammenhang mit der Kreuzzugbewegung zum Zweck der Befreiung der Christen aus der Sklaverei gegründet, verbreitete sich in den folgenden Jahrhunderten über ganz Europa. „Ehre der Dreifaltigkeit und Freiheit den Gefangenen“ ist der Leitsatz des Ordens, zu dessen Regeln vor allem das caritative und apostolische Wirken gehören, mit dem Schutz der verfolgten Menschen und der Hilfe für die Armen und Schwachen und die Vergessenen der Gesellschaft. Diese Aufgabenstellung steht im Einklang mit dem Mexikoplatz, dessen Vielvölkertradition bis zum heutigen Tag auch an die wechselhafte Geschichte von Unterdrückung und politischen Verfolgungen anknüpft und zuletzt vor dem Fall des Eisernen Vorhangs auch ein Wahrzeichen des „Tores in den Westen“ war. Die monumentale Architektur der Kirche bleibt auch ein Zeichen der Erinnerung für die historische Entwicklung des 20. Jahrhunderts, indem sie vom Baubeginn an, zur Zeit des langsamen Niedergangs der Donaumonarchie, über die Ruinen des Zweiten Weltkriegs ragend, bis hin in die Gegenwart ein Symbol des Friedens darstellt. Kerle. | IN Fan Der renommierte Maler und Graphiker Kurt Kramer hat sein Atelier und seine Wohnung den Räumen der Theodor Kramer Gesellschaft direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite. 1945 in Niederösterreich geboren, ist er seit 1969 als freischaffender Künstler tätig; seine Werke waren seit 1963 in über I 50 Ausstellungen zu sehen. Zuletzt realisierte er eine monumentale Wandmalerei an der Hoffassade des Evangelischen Krankenhauses in Wien-Währing. 63