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Primavera Gruber Vom Winde verweht? Festwochen und Orpheus.Klangwege ein Zwischenbericht Eine laue Sommernacht am Wiener Siebensternplatz. Die Terrasse vom „Shultz“ hat sich geleert, aber noch immer stehen Menschen bei den Klangsäulen, reden miteinander, hören sich Klangfragmente von aus Wien vertriebenen und verfolgten Musikschaffenden an. Am beliebtesten bei den Jungen am Siebensternplatz ist das Ruderlied von Leopold Krauss-Elka, gleich danach kommt Leopold Wulwek-Volés Sie hat eine Feder am Hut, da wird gejodelt. Gabriel Volé, Kontrabassist des Israel Philharmonic Orchestra, ist zu einem Kurzbesuch in Wien und freut sich, daß die Musik seines Vaters, die er uns von einem Schellack überspielt hat, so populär ist. Menschen mittleren Alters hören sich gerne die Aufnahme von Mahlers 1. Symphonie, dirigiert von Bruno Walter, an. Radfahrer haben den Klangwege-Folder mit dem Bezirksplan am Steuer befestigt und machen den Eindruck, die ganze Route noch heute abend abfahren zu müssen. Etwas später drücken zwei Burschen alle Knöpfe der 26 Klangboxen an den Klangsäulen, setzen sich auf eine Bank und mischen sich ihre eigene ‚Klanginstallation’. Auch andere scheinen sich nur im Dunklen zu trauen, die Klangboxen zum Klingen zu bringen, drücken auf einen Knopf, nehmen sich verstohlen ein Booklet aus der Box und setzen schnell ihren Weg fort. Manchmal stehen auch Betrunkene herum, grölen ein bisschen und machen Musik dazu. Tagsüber sind es Kinder, die, ihre Mütter an der Hand an die Klangboxen heranzerrend, nicht genug Musik hören können, oder junge Väter, die sich mit kleinen Kindern auf dem Arm um die Klangsäulen herum ‚durchhören’, Frauen mit Einkaufstaschen, Passanten, die gerade aus der Straßenbahn gestiegen sind. Ich stehe am liebsten in der Mechitaristengasse und höre gleich über dem Schild „Volksladen“ Korngolds Glück das mir verblieb. Die Klangbox an Georg Kreislers ehemaligen Wohnhaus in der Neustiftgasse ist immer wieder stark verschmutzt, es wirkt fast absichtlich. Zwischen vier und sechs erklingt sein Ich red’ nix. — Vielleicht wurde noch immer nicht genug geschwiegen? Die Box am Wohnhaus von Julius Rudel hat schwarze Rußschlieren, schließlich befindet sich in diesem Haus noch immer das gleiche Kohlengeschäft wie im Jahr 1938, nur sind die Lieferwägelchen jetzt motorisiert. Maestro Rudel, der auch das Eröffnungskonzert der Orpheus. Klangwege im Museumsquartier dirigierte, hatte sich als Klangfragment den Prolog aus Arrigo Boitos Mefistofele ausge72 sucht. Die in der Kirchengasse gestohlene Box kann nur zum Sammelobjekt eines Liebhabers geworden sein, so ordentlich war sie abmontiert. Beate Popperwell, im Vorjahr verstorben, kann die Aufnahme von Schumanns Arabesque, die sie noch kurz vor ihrem Tod für uns eingespielt hat, am Siebensternplatz nicht mehr hören. Vielleicht hätte sie sich auch geärgert, weil die Klangbox nicht an ihrem Haus befestigt werden durfte (immerhin hatte sie vor zwei Jahren erstmals die Wohnung ihrer Kindheit in der Zieglergasse wiedergesehen — ein freundliches ausländisches Ehepaar hatte sie hereingelassen). Der Hausbesitzer eines anderen Hauses konnte sich an den Musiklehrer erinnern, der dort einmal gewohnt hatte; ein netter Mensch sei er gewesen, aber von Verfolgung hätte er nie etwas bemerkt (aber die Sudetendeutschen...). Auch dort durfte keine Klangbox befestigt werden. Das Designerteam D+ hat gute Arbeit geleistet, die Klangsäulen am Siebensternplatz füllen den Platz mit Musik und Leben. 8.000 Booklets sind bereits aus den Klangboxen entnommen worden, jeden Tag müssen wir die Boxen neu befüllen. Auch an den Wohnhäusern, die sich in ruhigen Straßen befinden, sind die Booklets am Abend aus. Unbekannte Menschen kommen beim Nachfüllen auf uns zu, um uns mitzuteilen, daß sie von diesem Projekt begeistert sind, ausländische Touristen sind erstaunt, daß so etwas in dieser Stadt möglich ist, oft kommen auch e-mails: bin in der burggasse heute ueber eine klangbox gestossen (...) Ich halte es fuer eine der besten ideen, die ich in den letzten jahren gesehen habe. herzliche gratulation! Wenn der Wiener Siebensternplatz Ihnen kein Begriff ist — Orpheus.Klangwege ist eine Klanginstallation des Orpheus Trust in WienNeubau, die vom 14. Mai bis 15. Juni 2002 fünf Wochen lang vom NS-Regime vertriebenen, verfolgten, deportierten und ermordeten Musikschaffenden jüdischer Herkunft, die ehemals im 7. Wiener Gemeindebezirk gelebt haben, ‚eine Stimme gibt’, ihre Musik in den Alltag zurück bringen soll. Kunst im öffentlichen Raum, für ehemalige Nachbarn, Schulkollegen, ihre Kinder und Enkelkinder, für Neuhinzugezogene und ihre Familien, für die Wohn-, Arbeits- und Freizeitbevölkerung des siebenten Bezirkes. Auch für solche, die keine Konzerte besuchen oder der sog. ‚Aufarbeitung der Vergangenheit’ skeptisch bis feindlich gegenüberstehen, sogar für unsere Paradeintellektuellen, die meinen, alles sei schon längst erforscht, für Staatssekretäre, die auf cultural industries setzen, für Propheten des Vergessens, die überall nur Carthago sehen, und für Kulturmanager, die meinen, daß Musik von Exilkomponisten trendy und rathausplatzfähig wird, wenn sie nur genug „vom Winde verweht‘“ ist — wie beim Eröffnungskonzert der Wiener Festwochen. Als Kontrastprogramm dazu die Klanginstallation Orpheus. Klangwege: leise und unaufdringlich nimmt sie die Wirklichkeit beim Wort, zeigt die unterschiedlichsten Musikerkarrieren und Schicksale, vom Opernsänger Arthur Fleischer mit Wagners Abendstern bis zum Oberkantor und Opernsänger Karl Neumann mit Rosinkes und Mandeln, vom Remigranten Karl Farkas zum musikalischen Miedermacher Elkan Bauer, 90jährig in ein Konzentrationslager deportiert und ermordet. Langjährige Recherchen sind der Realisierung dieses Projekts vorangegangen, und doch können die 29 Originaltondokumente nur einen unvollständigen Überblick über die Vielfalt des verfolgten Musiklebens in diesem Bezirk geben. Zu den 24 Personen, zu denen keine Aufnahmen auffindbar waren (gerade unter den Deportierten waren viele ‚einfache’ Klavierlehrerinnen, Chorsänger, Unterhaltungsmusiker — zu den meisten von ihnen fanden wir weder Nachkommen noch Tondokumente) hat der im 7. Bezirk wohnende Komponist Wolfgang Suppan mit der Komposition Zerbrochene Klänge der Klanginstallation eine eigenständige, zeitgenössische Stimme hinzugefügt. Die vielen Gespräche mit Exilanten haben uns nicht nur mit wertvollen biografischen Informationen, mit Bild- und Tonmaterial versorgt, sondern auch mit etwas erfüllt, das früher vielleicht einmal ‚Demut’ hieß: ihr Schicksal nötigt uns zur Selbstreflexion. Zu jeder einzelnen Kurzbiographie der von der Klanginstallation dokumentierten Künstler, die auch noch nach dem 15. Juni in der Internetausstellung www. klangwege.orpheustrust.at nachzulesen sind, haben viele Einzelpersonen Informationen beigetragen, aber immer waren es die Exilanten oder ihre Nachkommen, die uns dabei am meisten geholfen haben. Wir sind ihnen für diese Hilfe unendlich dankbar. 1996 schrieben wir im Folder des Orpheus Trust: „Es ist Zeit, die Spuren zu sichern ...“; darauf zu bestehen, schien das Gebot der Stunde. Wir haben uns auf die Suche gemacht, mit wenig Geld und wenig öffentlicher Anerkennung, gegen den Widerstand vieler. Auch wenn seither unglaubliche Arbeit geleistet wurde und die Namen von tausenden verfolgten Musikschaffenden vom Orpheus Trust vor dem Vergessenwerden gerettet und in einer Datenbank dokumentiert wurden, enden heute noch viele der Kurzbiographien mit dem Satz „wo sich seine/ihre Spur verliert“. Wir erhoffen uns viele Reaktionen auf dieses Projekt und wünschen uns von der öffentlichen Hand volle Unterstützung bei der weiteren Verwirklichung unserer Anliegen. Exilmusik lediglich als Hollywoodmelodram in das öffentliche Bewußtsein zurückzubringen kann nicht das Ziel sein: Es ist Zeit, auch in der Kunst Verantwortung zu übernehmen.