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kanischer Staatsbürger, jedoch arbeitslos, kehrte wieder nach Europa — Berlin — zurück. Dort begann er bald, die herrschenden soziopolitischen Mißstände journalistisch aktiv zu bekämpfen. Bald wurde er aber - als maßgeblich beteiligt an der Aufdeckung von Skandalen in der Berliner Beamtenschaft und Polizei und einer Korruptionsaffäre des Berliner Hoftheater-Direktors — für Berlin ein „lästiger Ausländer“, der aus „dem Königreich PreuBen“ verwiesen wurde.’ Bettauer ging nur bis nach München, wo er die politischen und sozialen Mißständen kritisierte, indem er beim berühmten Kabarett der „Elf Scharfrichter“ mitwirkte. Es folgte ein Aufenthalt in Hamburg, wo er seine zweite Frau kennenlernte, mit der er 1904 nach Amerika zurückging. In New York arbeitete er einerseits als Schriftsteller — er schrieb Fortsetzungsromane deren Thematik besonders Einwanderer aus Österreich und Deutschland als Zielgruppe ansprachen — und andrerseits als Journalist bei der „Deutschen Zeitung“. Eine allgemeine Amnestie von Kaiser Franz Joseph I. ließ ihn nach Österreich zurück kommen, allerdings mußte er zunächst von Wien nach Graz fliehen, da die Amnestie für ihn nicht galt. Bald jedoch schien Bettauer wieder in Wien als gemeldet auf: er war für „Die Zeit“, als Spezialkorrespondent für das „New Yorker Morgenjournal“ und später für die „Neue Freie Presse“ tätig. Im Ersten Weltkrieg wollte er unter den österreichischen Fahnen einrücken, was jedoch an seiner US-amerikanischen Staatsbürgerschaft scheiterte. Stattdessen engagierte sich Bettauer in den Nachkriegsjahren dann tatkräftig im konkreten sozialen Bereich — so war er etwa „Press Representative“ des ,,American Relief Committee for Sufferers in Austria“. Auch literarisch war er äußerst produktiv: von 19201924 publizierte er insgesamt 20 Kriminalromane, darunter „Die Stadt ohne Juden“ (1922) und „Die freudlose Gasse‘ (1924) — beide verfilmt — allerdings, im Fall der „Stadt ohne Juden“ in einer sehr entpolitisierten Fassung: aus Wien ist in der Bearbeitung von Hans Karl Breslauer Utopia geworden und der Schwerpunkt des Werkes wurde eindeutig ins Humoristische verlagert. Nichtsdestotrotz kam es bei den Aufführungen (Premiere am 25.7. 1924) teilweise zu Krawallen durch Nationalsozialisten, die Stinkbomben warfen, in Linz erhielt der Film sogar ein Aufführungsverbot. Am 14. Februar 1924, nachdem Bettauer noch einige Zeit lang als Auslandskorrespondent amerikanischer Zeitungen und Zeitschriften tätig gewesen war, gründete er schließlich — gemeinsam mit dem Schriftsteller Rudolf Olden - seine eigene Zeitschrift „Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik“. Sein Bestreben war es einerseits, wichtige gesellschaftskritische Themen — darunter nicht zuletzt solche, die den Kampf von Frauen um Emanzipation und Gleichberechtigung betrafen — einem breiteren Lesepublikum zugänglich zu machen, und andrerseits, ein offenes Forum für Probleme in Liebesangelegenheiten — gerade auch erotischer Art — anzu74 bieten. Diese Popularisierung von kritischen Gedanken und liberalen Ideen war den staatlichen Behörden, sowie selbst ernannten Moralaposteln (v.a. in anderen Medien) um so mehr ein Dorn im Auge, als Bettauers Zeitschrift vom Lesepublikum äußerst gut aufgenommen wurde und — Bettauer Jude war. So kam es in dem herrschenden Klima von moralischer Heuchelei und offenem Antisemitismus (der ja den Schriftsteller bereits 1922 zu seinem „prophetischen“ Roman „Die Stadt ohne Juden“ inspiriert hatte) in der nationalsozialistischen und bürgerlich-konservativen Presse zu jener unglaublich gehässigen Hetzkampagne samt mehrmaligen direkten Aufforderungen zur Lynchjustiz (!), die schließlich in der Ermordung Bettauers durch den 2ljährigen nationalsozialistischen Zahntechniker-Gehilfen Otto Rohstock mündete. Freilich hat es zu dieser Zeit auch noch die Gegenstimmen einer sozialdemokratischen und zionistischen Presse gegeben. Trotzdem zeigt Bettauers Ermordung und die folgende Straffreiheit des Täters aufgrund angeblicher Unzurechnungsfähigkeit in tragischer Weise, welchen Stimmen im Österreich der 1920er Jahre bereits die Übermacht zukam und von welcher Ohnmacht die Wahrheit ist, an der niemand mehr Interesse hat: Der Mörder, Otto Rohstock, wurde unentgeltlich von Dr. Walter Riehl, dem ehemaligen Chef der österreichischen Nationalsozialisten und danach Leiter des „Deutschsozialen Vereins“ verteidigt. Der Prozeß gegen den Täter wandelte sich zum Prozeß gegen das Opfer. Fazit: Ein nationalsozialistisch motivierter, offensichtlicher Mord mündete im Österreich der 1920er Jahre gerade noch in eineinhalb Jahre Steinhof, die Tatsache, jüdischer Abstammung zu sein, begann zu dieser Zeit bereits lebensgefährlich zu werden. Anmerkungen 1 Die Gedenktafel wurde aus „Platz“-Gründen - im buchstäblichen Sinn des Wortes - in der Lange Gasse 21 angebracht, da diese hier so die Zeltgasse kreuzt, daß ein kleiner Platz enstanden ist. Eine Neubenennung dieses Platzes nach Hugo Bettauer scheiterte allerdings am Finanziellen. 2 So Murray G. Halls gleichnamiges Buch: Der Fall Bettauer. Wien: Löcker Verlag 1978. 2218. 3 Diese Fassung kann zusammen mit einem Begleitband, der über Hintergründe zum Film, seinen Protagonisten und geschichtlichen Kontext informiert, als Video beim Filmarchiv Austria — das die Restauration samt neuer Begleitmusik des Stummfilms veranlaßte — käuflich erworben werden: Guntram Geser, Armin Loacker (Hg.): Die Stadt ohne Juden. Österreich 1924. Regie Hans Karl Breslauer. Filmarchiv Austria. Wien: Edition Film und Text 2000. 506 S. 4 Alle biographischen Angaben entstammen der bereits erwähnten umfassenden Studie von M.G. Hall: Der Fall Bettauer. 5 M.G. Hall: Der Fall Bettauer, 11. Jozej Strutz-Rosenzopf Dem Südkärntner antifaschistischen Dichter Janez Pernat (1908 2002) zum Gedenken Janez Pernat, der Dichter des _,,Feistritzer Feldes“, der heuer in hohem Alter verstarb, erlitt während des Zweiten Weltkriegs, des „weltweiten Schlachtens“, das der „Anstreicher“ und seine hysterische Schlächtergefolgschaft verursachten, ein bitteres Schicksal. Er wurde zwangsmobilisiert und mußte über Nacht Dorf, Verwandte, Geliebte verlassen und mit der „großdeutschen“ Armee weit hinauf in den Norden, bis zum Polarmeer. Dort erfährt der Kärntner slowenische Soldat, daß die Nazis in der Heimat die Eltern, Verwandten, Nachbarn aussiedeln (15.4. 1942), sie in die Fremde deportieren, ihre Höfe im Jauntal, Rosental und Gailtal aber Fremden übergeben. Eine Verarbeitung dieser brutalen Deportationen ist Janez Pernats Gedicht „Brief einer Ausgesiedelten an die Front 1943“ („Pismo izseljenke na fronto 1943“). Heute wird dieses unmenschliche Vorgehen der damaligen Machthaber gerne beschönigt (vgl. Peter Gstettners Hinweise in ZW Nr. 1/2002, S. 72), obwohl aus den Aussagen mancher österreichischer Bürger bei diversen gehässigen Aufmärschen zu erahnen ist, daß sich die Geschichte durchaus wiederholen könnte. Das slowenische Wort blieb das Band, das Janez Pernat die Verbindung zum Jauntal, zur Gegend rund um Feistritz bei Bleiburg/Bistrica pri Pliberku, bewahrte, in der slowenischen Sprache drückte er die Trauer und Verzweiflung aus, in ihr beschrieb er die trostlosen Tage der zwangsmobilisierten Soldaten und das unermeßliche Leid der gedemiitigten und erniedrigten Menschen, denen er leuchtende Denkmale des Erinnerns aufstellte (V Zrnih granitnih Zereh/In den schwarzen Granitklippen). Janez Pernat blieb inmitten der Grausamkeiten des Weltkrieges ein sensibler, guter Mensch, der mit wachsender Hoffnung den unaufhaltsamen Verfall des Gewaltregimes der Nazis erkennt: „Sieh, aus den Granattrichtern treiben neue Keime .../und der Méwen gellend’ Schreien - verkündet neuen Frühling.“ (Beli galebi/Weiße Möwen). Pernats Gedicht „Das Judenmädchen“ (Judovsko dekl&) ist des Dichters Beitrag zur Weltliteratur, der vollkommene Ausdruck der Zeit in einem Zwiegespräch (ein formaler Anklang an das gleichnamige Gedicht von France PreSeren), ein in Stein gemeiBeltes Gedenken an ein deportiertes Madchen und zugleich die tragische Liebesszene im Geiste der klassischen Literatur, die zwei Menschen zeigt, Vertriebene aus dem Paradies, in das sie nie wieder zuriickkehren werden. Trotz