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zwungen, ihr wissenschaftliches Kapital im außeruniversitären Feld zu erwirtschaften. Die Etablierung auf diesen akademischen Plattformen förderte Kreativität und Flexibilität im Weben von Netzwerken und Entwickeln neuer Forschungszweige, sie schärfte den Blick für „disparate Sichtweisen“ (S. 13). Disziplinen wie die Psychoanalyse, die Sozialwissenschaften, moderne Ansätze in den Kunstwissenschaften sowie die Konjunkturforschung entfalteten sich außeruniversitär und bildeten neue Eliten aus. Das Österreichische Institut für Konjunkturforschung, die erste europäische Einrichtung, der Gelder der Rockefeller-Stiftung zuflossen, sollte sich als Karriere-Sprungbrett erweisen. Diese in Österreich gezwungenermaßen geübte Mobilität, die erworbenen psychischen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten seien — nach den Analysen Feichtingers — den ,,marginal men“ (Robert Park) später im Aufnahmeland auch zugute gekommen. Durch zahlreiche Beispiele vermag der Autor seine Annahmen plausibel darzulegen. Nur gelegentlich lassen die Ausführungen den Eindruck einer gewissen Idealisierung dieser Milieus aufkommen. Die Behauptung, die von den Universitäten ausgeschlossenen jungen Wissenschafter hätten stärkere Bereitschaft zu wechselseitiger Kritik gezeigt und besser zusammengearbeitet, wäre kritischer zu hinterfragen. Der erste Teil des Bandes ist einem Überblick über die britische Asyl- und Einwanderungspolitik sowie der Darstellung der verschiedenen Akademiker-Hilfsorganisationen in Großbritannien und den USA gewidmet: nicht nur der Society for the Protection of Science and Learning mit Sitz in London und dem Emergency Committee in Aid of Foreign Scholars in New York kam besondere Bedeutung zu, sondern auch der RockefellerFoundation. Die finanzkräftigste unter den Akademikerhilfsorganisationen brachte in den USA mehr als die Hälfte der dafür ausgegebenen Gelder aus einer durchaus utilitaristischen Grundhaltung auf (S. 128, S. 210). Sie trug entscheidend zur Förderung der Social Sciences in den Vereinigten Staaten bei. Die österreichischen Konjunkturforscher übten auch wissenschaftspolitische Funktionen — als Kontrapunkt zur interventionistischen New-Deal-Politik — aus. Briefwechsel, die im Rahmen der zahlreichen Hilfsorganisationen geführt wurden, bildeten auch eine wesentliche Quellenbasis für Feichtingers Studie. Neben den institutionalisierten spielten auch private Netzwerke eine Rolle. Einige — wie der kammermusikalische Zirkel der Wiener Familie Schiff oder der „GeistKreis“ von Friedrich August Hayek — hatten sich als konkurrierende, weltanschaulich divergierende Netzwerke im Osterreich der dreiBiger Jahre konstituiert; solche Kontaktgeflechte wurden auch in die Aufnahmeländer transferiert. Die Funktion des Wirtschaftswissenschafters Hayek als ,,Gate keeper“, der Karrieren nicht nur förderte, sondern auch zu behindern vermochte, gibt ein eindrucksvolles Beispiel für die Macht von Selektoren. Der bereits seit Anfang der dreißiger Jahre in Großbritannien lebende Wissenschafter hatte zu Ostern 1938 eine Fact-Finding Mission nach Wien durchgeführt und danach eine Liste förderungswürdiger, herausragender Ökonomen, Juristen und Sozialwissenschafter erstellt. Diejenigen, die dem wirtschaftsliberalen Milieu nicht angepaßt waren, ließ er mehr oder minder bewußt außer acht. Die Unterstützung des betagten Richard Schüller basiert auf Hayeks Interventionen. Auch die Schüler von Ludwig von Mises profitierten später oftmals von der Treue zu ihrem Lehrer. Nicht nur die Auffassungen individueller Selektoren waren ausschlaggebend, sondern auch das Universitätssystem in Aufnahmestaaten. So blockierte Großbritannien etwa bewußt marxistisch argumentierende Denker. Die Verdrängung aus traditionellen universitären Karrieren in der Heimat und der erzwungene Ortswechsel mußten, wie Feichtinger darlegt, nicht nur den Verlust wissenschaftlicher Produktivität und Erschwernis durch Berufswechsel bedeuten, sondern konnten auch Chancen auf eine Universitätslaufbahn eröffnen, die im Heimatland verwehrt geblieben waren. Drei Faktoren waren für die wissenschaftliche Integration ins Aufnahmeland bestimmend: erstens individuelle Merkmale (Disziplinzugehörigkeit, Religion, sozialer Umgang etc.), zweitens soziale und wissenschaftliche Netzwerke, drittens die soziokulturelle Konfiguration des Aufnahmelandes und seiner akademischen Schicht. Die Beschreibungen zahlreicher Karrieren, ihrer Kontinuitäten und Brüche belegten, daß in gewissen Disziplinen außeruniversitär sozialisierte Wissenschafter aufgrund ihrer geistigen Mobilität sogar häufiger als Hochschullehrer akademische Karrieren machten und rasch „schöpferische Nischen“ in ihren wissenschaftlichen Feldern fanden, in denen sie sich profilieren konnten, als universitär verankerte. Während die Politik- und Staatswissenschafter sich vor allem in den USA entfalteten, fanden die Kunsthistoriker in Großbritannien innovative Milieus vor. Feichtingers Studie besticht durch eine überaus große Fülle an Individualbiographien, die umfangreiche Archivrecherchen verrät. Sie werden nicht aneinandergereiht, sondern in ihrer Funktion als Akulturationsprozesse dargestellt und in die jeweiligen Kontexte eingebettet. Gelegentlich jedoch läuft man jedoch Gefahr, sich in der Fülle von Geschichten zu verlieren. Denn die durchaus bemerkenswerten und nicht leicht einlösbaren Bemühungen, mehrere Perspektiven zu vereinen, zum einen die (wissenschafts-)kulturhistorische und disziplingeschichtliche, zum anderen die individual- und kollektivbiographische, und dabei permanent deren Komplexität und Einzigartigkeit vor Augen zu führen, führt manchmal zu Mehrfachbeschreibungen und Wiederholungen derselben biographischen Details in verschiedenen Kapiteln. Gelegentlich ist auch die Kapitelstruktur nicht ganz nachvollziehbar. Durchaus wichtige Anmerkungen im Kapitel IV (Jude-Sein ohne Belang?) werden am Ende des Kapitel V wiederholt. Darin weist Feichtinger auf die Praxis von Hilfsorganisationen hin, die Kategorisierungen des NS-Regimes in „jüdisch“ und „arisch“ zu übernehmen, und damit auch von außen Bezüge zum Judentum zu konstruieren, die dessen Selbstsicht nicht immer entsprachen (S. 136). Diese Kritikpunkte sollen die innovativen Leistungen des Buches nicht schmälern. Johannes Feichtinger hat mit dieser Studie nicht nur eine bemerkenswerte Fülle individual- und kollektivbiographischer Daten erarbeitet und die Bedeutung von Netzwerken dargelegt, sondern bietet mit seiner Erarbeitung außeruniversitärer Karrieren auch einen neuen Ansatz, der über den österreich-bezogenen Kontext hinaus für zahlreiche weitere Studien anregend sein kann und zu Diskussionen beitragen wird. Ursula Prutsch Johannes Feichtinger: Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933 — 1945. Frankfurt, New York: Campus Verlag 2001. 502 S. (Campus Forschung Band 816). Ein Roman iiber das heutige Rumänien Was im Berlin der Gegenwart als spannender Kriminalroman beginnt, entwickelt sich bereits nach wenigen, knapp skizzierten Szenen des Ich-Erzählers und Detektivs zur meisterhaft gestalteten Darstellung einer rumänischen Vergangenheit. Ein ehemaliger Securitate-Offizier, der mit seiner Familie im Westen Aufnahme gefunden hat, meint sich in Deutschland sicher: „Nur in angespannten Situationen meldet sich das Rumänische zurück. Es meldet sich aus der tieferen Schicht zurück.“ Eine ermordete Wasserleiche erkennt er als ehemalige Geliebte. Nun zwingt ihn seine Ermittlungsarbeit zur Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte. Menschliche Tragödien kommen ans Licht. Der Erfolgsautor Richard Wagner, der 1952 im rumänischen Banat geborene Germanist, Journalist und Schriftsteller, verließ sein Land nach einem Arbeits- und Publikationsverbot 1987. Seither lebt er in Berlin, schreibt in deutscher Sprache und wurde für sein literarisches Werk mehrmals ausgezeichnet. Ihm gelang mit seinem neuen, auch formal äußerst interessanten Roman - drei Protagonisten und drei unterschiedliche Erzählperspektiven — eine atemberaubende Balkan-Analyse. Wie der Autor dem Leser die Lebensbedingungen seiner Landsleute während der vergangenen Jahrzehnte vor Augen führt, ihren Überlebenskampf, ihren schamlosen Oppor79