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Vielleicht ist er mit einem Stöckchen durch den Ort gegangen — zur Bibliothek, in den Park oder gar in ein Kaffehaus? Ob es in Sabac ein Kaffehaus gegeben hat? Ich will herausfinden, wie groß dieser Ort war, als über tausend Flüchtlinge aufgenommen und offenbar von der einheimischen Bevölkerung gastfreundlich behandelt wurden: jüdische Männer, Frauen und Kinder, vorwiegend aus Österreich, einige waren aus Deutschland, einige waren aus der Tschechoslowakei später zu jener Gruppe gestoßen, die als ,Kladovo-Transport’ in die Geschichtsschreibung des Genozid eingegangen ist. Da bekanntlich kein Land die Flüchtlinge nehmen wollte, war es — im Herbst 1939 - eine der letzten Ausreisemöglichkeiten aus dem ‚Reich’, die Flüchtlinge wurden auf drei kleine und für diese Fahrt nicht geeignete Ausflugsdampfer verteilt und von Bratislava Richtung Schwarzes Meer geschickt. Sie hatten keine Visa und keine Zertifikate, aber die jüdischen Hilfsorganisationen versuchten trotzdem, sie nach Palästina zu bringen. In Kladovo, dem südlichsten Donauhafen vor Rumänien, blieben sie stecken, erst war die Donau vereist, dann gab es keine Schiffe für die Weiterfahrt, dann keine Visa durch Rumänien... sie überwinterten auf den Schiffen, die dafür nicht ausgerüstet waren und blieben in Jugoslawien — bis die Wehrmacht einmarschierte. Viel mehr wußte ich nicht, als ich Mitte Oktober 2002 nach Belgrad fuhr, um an einer Gedenkveranstaltung teilzunehmen — vor der ich mich fürchtete. 1993 war das Buch ‚Gescheiterte Flucht’ von Gabriele Anderl und Walter Manoschek erschienen, seither wußte ich ein bißchen mehr; mein Großvater war darin eines von 1051 Opfern, der mit der Nummer 763. Ich besaß ein Paßfoto, auf dem dieser fremde Mann keine besondere Ausstrahlung hatte — es war nach seiner Rückkehr aus Dachau aufgenommen worden. Jakob Abraham Rosenstrauch ist zusammen mit den Männern des Kladovo-Transports Mitte Oktober 1941 auf einer kleinen Lichtung in der Nähe des Dorfes Zasavica erschossen worden, gemeinsam mit den Juden von Sabac, Serben, Roma, Partisanen und anderen Einheimischen. Der Kommandant der Wehrmacht, der den Befehl gab, war aus Österreich wie die meisten seiner Opfer; die Wehrmacht schickte bevorzugt Militärs aus der Ostmark in den Balkan. Es war eine Vergeltungsmaßnahme für Partisanenaktionen und General Böhme hat statt der „üblichen“ zehn pro getötetem Deutschen hundert Geiseln umbringen lassen; weil es nicht genügend Partisanen und Einheimische gab, nahm er die gestrandeten Juden, die nach dem Einmarsch in einem Lager in Zasavica ‚Konzentriert’ worden waren. Wir waren auch dort, wo das Lager war, man sieht nichts mehr davon, Reste einer alten Burg lenken den Blick auf sich. Dieser idyllische Platz am Flußufer der Save hat für die Flüchtlinge das Ende der immer wieder neu genährten Hoffnung bedeutet. Wir fuhren (eskortiert von Polizei‘) auf der völlig leeren Autobahn von Belgrad nach Zasenica nahe der (neuen) kroatischen Grenze, und dort haben wir von einer Böschung auf das Wäldchen geschaut, in dem über tausend Menschen erschossen wurden. Wieviel Wehrmachtssoldaten hat man dazu gebraucht? Bekamen sie Alkohol, taten sie es begeistert, hat einer daneben geschossen oder sich gar geweigert? Solche Fragen sind mir durch den Kopf gegangen, als man uns die Lichtung zeigte. Ein alter Mann hat erzählt, dass sein Vater an der Stelle Bäume gepflanzt hat, damit man später weiß, wo die Toten liegen. Ich habe erfahren, dass die Männer in die Zuständigkeit der Wehrmacht fielen, die Frauen in die der SS. Diese Frauen wurden, zusammen mit den kleinen Kindern, in einem der ersten derartigen Experimente auf Lastwagen geladen und mit den Abgasen erstickt. Die größeren Kinder konnten kurz vor dem Einmarsch der Deutschen noch mit der Eisenbahn weggeschickt werden, sie sind in Palästina angekommen. Einige Überlebende und Angehörige der Überlebenden aus dieser Gruppe, die in Israel leben, haben an der Gedenkfeier teilgenommen; wir waren die einzigen Angehörigen aus Wien. Der sogenannte KladovoTransport war einer von vielen Versuchen jüdischer Organisationen, teils mit, teils ohne Einverständnis der Briten vor allem junge, vor allem zionistisch vorgebildete Juden ins ‚gelobte’ Land zu bringen. Wie und durch wen mein Großvater nach vielen vergeblichen Ausreiseversuchen auf dieses Schiff kam, wissen wir nicht. Er war kein Zionist und er war über 45, fiir Hilfsaktionen galt er als ‚alt’ und war arm, es ist deshalb nicht anzunehmen, dass er mitgenommen wurde, weil er viel