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bezahlen konnte. Und er war Buchhalter — kein Beruf, der fiir Emigration oder gar den Aufbau von Erez Israel geeignet war. Eine Verkettung unglücklicher Umstände hat dazu geführt, daß die Flucht dieser Leute gescheitert ist. Wir haben uns lange darüber unterhalten, ob und wie man in Deutschland und Österreich von den Fehlentscheidungen der jüdischen Organisatoren erzählen darf, ohne leuchtende Augen bei Antisemiten oder Antizionisten zu provozieren, sich der Gefahr auszusetzen, dass einer von ihnen womöglich sagt oder auch nur denkt, der Mossad (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Mossad) wäre am Tod der Flüchtlinge schuld. Ich habe viel Neues gelernt bei dieser Reise nach Belgrad. Ich habe erfahren, dass die Gruppe doch einige Monate lang in Sabac recht frei gelebt hat, von der einheimischen Bevölkerung und jüdischen Organisationen versorgt und unterstützt. Es gab damals ungefähr hundert Juden in Sabac, jugoslawische jüdische Hilfsorganisationen, amerikanische und andere zionistische finanzielle Hilfe, sie haben also zumindest in diesen Monaten nicht gehungert. Wenn Abraham Jakob Rosenstrauch auf der Liste der Ermordeten steht, bedeutet das doch auch, dass er Typhus und andere Krankheiten überstanden hat, die in dem langen Winter im Hafen von Kladovo unter hygienisch katastrophalen Bedingungen auf den Booten ausgebrochen waren? Ob er die Bibliothek von Sabac benutzt hat, in der es, wie wir beim Besuch dort hörten, französische und deutsche Bücher gab? Ist er ins Kino gegangen oder ins Theater? Ich werde versuchen, mit Hilfe serbischer Historiker (NichtRassisten, die es auch unter Kostunica gibt) herauszufinden, ob er irgendwo gemeldet war, ob sich eine Karteikarte oder Registrierung finden lässt. Vor allem will ich herausfinden (für mich und für meinen Vater und seine Geschwister), wer Adelheid war. Auf der Todesliste gibt es eine Adelheid Rosenstrauch, die Frau meines Großvaters aber, Ella, war nach England entkommen. Er war soviel wir wissen alleine, als er, mit einem fiktiven Uruguay-Visum aus Dachau entlassen, geflüchtet ist. Hat er auf dem Schiff oder in Jugoslawien nochmals geheiratet, obwohl er doch verheiratet war? Hat er Adelheid (was zwar sehr deutsch klingt, aber durchaus von Edel, einem gänzlich ostjüdischen Namen, abgeleitet sein kann) als seine Frau ausgegeben, um sie zu retten? Hatte er schon in Wien eine Freundin? Die Ehe mit meiner Großmutter war nicht gut und Jakob war, erzählt seine Tochter, ein durchaus charmanter Mann, Mitte Vierzig, dem weiblichen Geschlecht nicht abgeneigt. Und wenn die Unbekannte zu ihm gehörte (und nicht nur zufällig den gleichen Nachnamen hatte, was recht unwahrscheinlich ist), ist sie dann mit den anderen Frauen und ihren Kindern vergast worden? Hier will ich nicht weiterdenken, denn das Wichtige an diesem Besuch war doch, dass ich mir vorstellen kann, wie dieser Großvater war oder wie er gewesen sein könnte. Der Gedenkstein am jüdischen Friedhof in Belgrad und die anrührende Feier in Zasenica gemeinsam mit Vertretern der Roma, Serben, Israelis, mit orthodoxen und jüdischen Geistlichen hat diesen unbekannten Toten aus dem Schatten geholt. Ich habe einen Großvater, und ich stelle ihn mir mit Stöckchen und schlenderndem Gang auf dem Weg durch die Stadt vor. Für kurze Zeit, von Ende September 1940 bis zum Einmarsch der Deutschen im April 1941, waren sie Emigranten in einem verhältnismäßig gastfreundlichen Land und haben noch nicht gewußt, was sie erwartet. Idyllischer Blick auf die Wiese in der Nähe der Sava, auf der vom 12. bis 25.10. 1941 1.051 Menschen ermordet wurden (Ort: Zasavica). Foto: Hazel Rosentrauch, 2002 Der Bürgermeister von Sabac, er ist bestenfalls Mitte Dreißig, sagt in seiner feierlichen Ansprache, die Stadt sei froh, daß sie den tausend Juden helfen konnte, auch wenn die Geschichte einen tragischen Ausgang genommen hat. Sie fühlten sich, sagte er, den Juden sehr verbunden, man habe gemeinsame Ziele. Meint er heute, nach der serbisch-nationalistischen Aufwallung, spielt er auf die Zionisten an oder stellt er sich in die Tradition der Partisanen, für die diese Juden gestorben sind’? Er hat das nicht näher ausgeführt, und so habe ich in dem Moment, in dieser Halle, während dieser serbisch-hebräisch-englisch-deutschen Veranstaltung, nicht an MiloSevi¢ und nicht ans Amselfeld gedacht. Es ist mir, ehrlich gesagt, gleichgültig. Allein der Satz, man sei froh, ein wenig geholfen zu haben, wirft mich, die ich in Deutschland lebe, um. Es war eine repräsentative Veranstaltung, Österreich war durch seinen Botschafter, Deutschland durch den Botschaftssekretär vertreten, ihre Ansprachen waren - immerhin — ziemlich hilflos. Mit einem kleinen Zuschuß für das Zustandekommen der Veranstaltung haben sich Deutschland und Österreich die Übersiedlung auf die richtige Seite erkauft, sie legten ihre Kränze neben die der jüdischen Organisationen, der lokalen Gemeinde, der Organisation der Roma, dem jugoslawischen Department for the protection of monuments”. Die Roma haben kleine Tische aufgestellt, mit Brot und Honig, Kuchen und Wein, so ganz haben wir nicht verstanden,