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und vor allem die KPÖ hinter sich gelassen. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich von der österreichischen Partei zu erholen. Mit ihrem Mann Ludovico, genannt Luico, zog sie nach Taranto, seiner Heimatstadt. Dort, im Süden Italiens, engagierte sie sich in der UDI, der Frauenvereinigung der KPI. Mit ihrem Auto und ihren Mitkämpferinnen war sie für die Liberalisierung der Abtreibung und die Zulassung der Ehescheidung auch in den kleinsten Dörfern unterwegs. Und um die politische Arbeit der Frauenvereinigung zu finanzieren, organisierte sie die italienische Vertretung für deutsche Chemie- und Physikbaukästen für Kinder. Daneben hatte sie den Sohn des Hausmeisterpaars als Ziehsohn aufgenommen. Ihre frauenpolitischen Aktivitäten, ihr Beharren auf der eigenen Berufstätigkeit, ihre Bereitschaft zu Veränderung und Neubeginn, auch gegen äußere Widerstände — es war ein Lebensmuster, das für die meisten Frauen ihrer Generation nicht üblich gewesen ist. Ihr Freundeskreis hat im Alter neben den alten Lebensfreundschaften auch viele umfasst, die um einige Jahrzehnte jünger waren. Als ich Mitte Zwanzig war und sie um die Siebzig, da tauschten wir unsere Erfahrungen beim Wildplakatieren aus — ich kannte die Situation rund um die Wiener Uni, sie die in Taranto. Dort, in den Wohnblocks am Stadtrand, organisierte sie damals Vorträge für Frauen und propagierte die sanfte Geburt. Die sanfte Geburt hat mich begeistert, wir wollten das durchsetzen. Viele Sommer lang mietete sie ein Haus in Saalfelden und lud ihre Freundinnen ein, die aus ganz Europa angereist kamen, und wie in einer WG diskutierten die alten Frauen beim Frühstück darüber, wer einkaufen geht und wer kocht. Ich wollte immer in der Lebendigkeit der Geschehnisse bleiben. In Genua kannte sie anfangs nur ein Brüderpaar, frühere Freunde aus Taranto, beide auch schon über 80. Sie verbrachte jeden Sonntagnachmittag bei ihnen, und gemeinsam schauten sie sich eine Video-Cassette nach der anderen an. Als sich ihr Freundeskreis ausdünnte, weil immer mehr daraus verstarben, lernte sie auf ihren vielen Fahrten im Nachtzug von Italien nach Wien stets wieder neue Leute kennen. Über den Greißler fand sie ihre Haushaltshilfe, die sich auch in den letzten Monaten ihres Lebens um sie gekümmert hat. Mir haben alle gesagt, in Genua sind die Leute so zurückhaltend, aber daran ist kein Wort wahr. Mit dem Auto unterwegs war sie bis zum Alter von 91 Jahren. Als man ihr vor zwei Wintern geraten hat, sie solle sich impfen lassen, denn schließlich sei die Architektin Grete Schütte-Lihotzky gerade, 103jährig, an Grippe gestorben, hat sie gemeint: Na ja, die Schütte! Die Schütte, die war ja alt. Sie selbst war nie alt. An ihren Tod wollte sie nicht denken. Am 2. August 2002 ist Hilde Angelini-Kothny in Genua im 93. Lebensjahr gestorben. Peter Lachnit, Journalist und Historiker, war für Lektorat und Programmplanung im Wiener „Verlag für Gesellschaftskritik“ zuständig und ist heute Redakteur bei der Öl-Sendung „Diagonal“. Er ist der Neffe von Hilde Angelini-Kothny. Walter Huder — der Professor Huder -, Chronist und „Hüter“ vom Vergangenen und Gegenwärtigen, der als Gründer und Direktor des Archivs und der Bibliothek der Akademie der Künste zu Berlin (West) so vielen sonst Vergessenen ein Stückchen Unsterblichkeit bereitet hat, lebt nicht mehr. Für die Exilforschung in Berlin, in Deutschland, weltweit ist es ein herber Verlust, daß ihr Nestor am 20. Juni 2002 in Berlin nach langjähriger Krankheit für immer seine bis dahin so wachen Augen schloß. Beim Zurückblättern der unüberschaubaren Begegnungen, die Huder hatte, fällt auf, daß er, um den Titel der Memoiren von Elisabeth Bergner zu verwenden, „Bewundert viel und viel gescholten“ wurde. Mag die Schar der Zeterer auch klein gewesen sein, so soll dieser eifernde Zirkel in diesem Nekrolog ebenfalls seinen Nachklang hören. Am 30. Dezember 1921 im böhmischen Mlad& Buky (CSR) geboren, entstammte Huder einer republikanisch gesinnten Familie, deren Herkunft sich auf Österreichern, Tschechen und Menschen jüdischer Herkunft ableiten läßt. Er selbst ging davon aus, daß sich dort das Österreichische mit dem Tschechischen und Jüdischen in ihm mischte. Sein Vater, ein Mühlen- und Sägewerksbesitzer, hatte noch einen weiteren Sohn und vier Töchter. 12 Nach dem Besuch eines Jesuiten-Gymnasiums, wo er sich bereits mit Hegel, Marx und Nietzsche befaßte, begann Huder an der Prager Karls-Universität das Studium der Philosophie, Psychologie und Archäologie; dies, obwohl er eigentlich nicht abgeneigt war, sich seinem Jugendtraum zu verschreiben, dem Beruf des Advokaten. Mit dem Münchner Abkommen und der bald darauf erfolgten Okkupation der Tschechei durch die Hitlerwehrmacht von 1938/39 wurde sein Leben in völlig andere Bahnen gelenkt, ja katapultiert, da nämlich die Aussicht zur Gewißheit wurde, in einer Zeit und unter Umständen existieren zu müssen, die für jemanden wie ihn unzumutbar war. 1940 ging Huder zunächst nach Frankreich, dann trieb es ihn in die Sowjetunion, die ihm fast 10 Jahre zur Heimat wurde. Hier arbeitete er im Berg- und Straßenbau, um dort zu helfen, wo es vonnöten war. 1944 beteiligte er sich auf seiten der Roten Armee am slowakischen Nationalaufstand, wurde schwer verwundet und fand sich in einem Militärhospital auf der Krim wieder. 1949 schließlich wollte er in Heidelberg, an der altehrwürdigen Ruprecht-Karls-Universität, das in Prag bzw. Litomerice jäh unterbrochene Studium wieder aufnehmen, was man ihm als Staatenlosem, zudem ohne Zuzugsgenehmigung, jedoch verwehrte. So wurde Berlin, für Huder bis dahin terra incognita, das neue Terrain, seine „ver