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heißungsvolle Stadt“. An der eben erst gegründeten Freien Universität im Westteil Berlins schrieb er sich für Germanistik, Slawistik, Kunstgeschichte und Philosophie ein. Gegen Ende seines Studiums, das Huder 1956 mit der Promotion abschloß, übertrug ihm sein Professor, Paul Altenberg, ein Referat über Georg Kaisers Klassiker des expressionistischen Epochendramas, „Die Bürger von Calais“. Es sollte eine kuriose Doppelfolge nach sich ziehen: Einerseits schwor sich Huder damals, da sich von Kaiser nirgendwo in Berlin etwas auftreiben ließ, dessen Werk eines Tages in einer kritischen Gesamtausgabe herauszugeben und andererseits den Nachlaß des Dichters aufzuspüren, der 1938 im letzten Augenblick in Berlin seiner Verhaftung entging und ins schweizerische Exil floh. So begab sich Huder in die 1954 in Berlin-Dahlem gegründete Akademie der Künste (das Pendant im Ostteil der Stadt gab es bereits vier Jahre früher), die sich als Nachfolgeinstitution der 1696 ins Leben gerufenen Preußischen Akademie der Künste verstand. Dort ergatterte Huder den Auftrag, Kaisers Nachlaß — gegen Erstattung der Reisekosten, sonst nichts — herbeizuschaffen. Huder leistete ganze Arbeit, die ihre Krönung mit der Eröffnung des Georg-KaiserArchivs im Frühjahr 1957 und einer Gedächtnisausstellung zu Leben und Werk des Dichters im darauffolgenden Jahr fand. Mit diesen Archivalien wurde der Grundstock für die Bestände der Akademie der Künste gelegt, deren Archiv- und Bibliotheksleitung Huder 1959 übernahm. Er begann, wie Günther Rühle zu Recht feststellte, „mit der Wiederherstellung des deutschen literarischen Bewuftseins.“ Huder sammelte im Laufe seiner Amtszeit über 160 Nachlässe auf den Gebieten Literatur, Bildende Kunst, Baukunst, Musik, Darstellende Kunst, Film- und Medienwesen ein und baute sein Archiv — neben denen in Marbach und Weimar — zur bedeutendsten Nachlaß-Sammlung in Deutschland auf. Keiner der Nachlässe verschwand in den Katakomben der Akademie, denn Huder war stets Agitator eines „aktiven Archivs“. So wurde er „ein trefflicher Arrangeur von Symposien zu den Beständen seiner Sammlungen und vor allem: ein Entwickler von Ausstellungen, die das Nacherleben des wieder sichtbar Gemachten bewirkten“ (Rühle). Unvergessen seine Ausstellungen zu Ödön von Horväth, Lion Feuchtwanger, Erwin Piscator, zum Theater im Exil, zu den verbrannten Büchern oder zu Mary Wigman, um nur wenige dieser modellhaften Ereignisse zu nennen. Dank einer solchen „Bewußtseinsarbeit“ entwickelte sich das Archiv der Akademie zu einem Zentrum für die Exilforschung. Rund 1600 Dissertationen und Magisterarbeiten entstanden während Huders Ära aufgrund der von ihm zusammengetragenen Schätze. Heinz Ohff wies neben anderen darauf hin, daß Huder zwar genug Erfolge zu verzeichnen hatte, „aber keineswegs, wie es in Berlin nun einmal so ist, unumstritten“ blieb. „Vor allem die Akademie verhielt sich damals, um es vorsichtig zu sagen, recht konservativ. So nahm man ihm übel, daß er als Archivar die Hinterlassenschaft der emigrierten Dichter bevorzugte“ und sich nicht, wie Henryk M. Broder es spitz formulierte, „auf die Aufgabe konzentriert hätte, ihre lebenden Angehörigen zu umsorgen und zu ehren, statt Exilforschung zu betreiben und an die Toten zu erinnern.“ Von Huder persönlich übermittelt wissen wir, welcher Geist durch die Akademie, diesem „Orden der Schweigepflicht“, wehte. Anfang 1987 sagte er in einem Interview: „Vor einem halben Jahr hat mich ein qualifiziertes Mitglied der AdK besucht. Die wenigsten kommen ja ins Archiv, wo das historische Bewußtsein und damit auch viel geistiger Explosivstoff gelagert ist. Dieses Mitglied hat mir wohlwollende Lobeshymnen gesungen über das, was ich mit wenig oder gar keinem Geld geschafft habe. Und dann sagte er: ‚Sie erwerben zwar großartige Nachlässe, aber müssen es denn immer Juden sein?’“ (zitty Nr. 3/1987) Hier stellt sich nun die Frage, ob in einem Nachruf auch auf die hinzuweisen ist, die dem Herz des Dahingeschiedenen unheilbare Wunden schlugen? Ja, denn es besteht schon um der Wahrheit willen die Pflicht dazu, auf die Ränkeschmiede hinzuweisen. Wie sonst ließe sich die Vernebelung, die um das geistige Erbe des Emigranten Walter Huder gehüllt wurde, entschleiern? Unmittelbar bevor er zum Jahresende 1986 nach über 30jähriger Tätigkeit als Archiv- und Bibliotheksdirektor der Akademie der Künste unrühmlich in Pension geschickt wurde, gelang es ihm noch, gleichsam als sein Vermächtnis, die Nachlässe von Peter Weiss und Erich Miihsam — diesen zwei Tage vor seinem Abschied — zu erwerben. Über den Mühsam-Nachlaß sprach damals kaum jemand, dafür wurde die Weiss-Erwerbung bundesweit als herausragendes Ereignis gewürdigt. Wie stets war Huder der ebenso stille wie effiziente Mittler dieser Aktion, doch feiern ließ sich bei der öffentlichen Vertragsunterzeichnung im Herbst 1986 natürlich der Berliner Kultursenator. Da mochte der damalige Präsidialsekretär der Akademie keinesfalls nachstehen und legte in Stockholm einen dermaßen dünkelhaften und polemischen Auftritt hin, später als „mißverständliche Äußerung“ umgedeutet, daß der Erwerb wieder in Frage gestellt war. Weiss’ Witwe, Gunilla Palmstierna-Weiss, ließ durch ihren Anwalt verkünden, „daß sie es unter diesen Umständen nachhaltig bedauert, das Archiv nach Berlin gegeben zu haben. So hat sie sich eine Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste nicht vorgestellt.“ Die Blamage war groß, doch der Abzug des Weiss-Nachlasses konnte gerade noch verhindert werden. Wen mag es da schon wundern, daß derselbe Präsidialsekretär das Amt des Archivdirektors für sich zu reklamieren versuchte? Um Huder nur rasch los zu werden, ließ man seinen Posten lieber ein halbes Jahr vakant, anstatt sein nobles Angebot aufzugreifen, einen geeigneten Nachfolger in die diffizile und sensible Arbeit einzuführen. Der Nachfolgeermittlung Huders ging ein halbjähriger Bewerbungspoker voraus, der vielfach 13