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mit gezinkten Karten gespielt wurde. Um es kurz zu machen: Niemand aus der Runde der zum größten Teil hochqualifizierten Bewerber, die zum „Vorsingen“ geladen wurden, bekam den Posten. Eine wirkliche Fachkraft mochte der damalige Akademie-Präsident Giselher Klebe bei der Vokation — im Gegensatz zu seinem Vorgänger Günter Grass, der weise vorausschauend beabsichtigte, Huder noch zwei Jahre über die Altersgrenze im Amt zu halten - nicht berücksichtigen. Dafür schob er als Joker seinen Protegé auf den Thron. Es schien unbedeutend, daß dieser archivarisch und bibliothekarisch als Nobody galt. Der Fairness halber sei erwähnt, daß er heute noch Chef des Archivs ist und seine Tätigkeit im Griff hat. Huders Wirken hat vielfach hochgeehrte Anerkennung gefunden, begonnen mit dem Georg-Kaiser-Preis, der Gedenkmedaille des Warschauer Ghetto-Aufstands, der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes oder die Ehrenmitgliedschaft in der Gesellschaft für Exilforschung u.v.a.m. Den Akademieoberen aber kam eine Würdigung der Person, die das Archiv und ihre Institution so reich machte, nie in den Sinn, auch wenn Huders Nachfolger den Glauben verbreiten mag, daß zur Überwindung des tiefen Grabens „wenigstens einige Brücken gelegt wurden“. Nun ja, ausgelegt wurde ein solcher Ponton schon, aber nicht von der Akademie, sondern durch Huders Schülern, den heutigen Professoren und Exilforschern Hermann Haarmann und Klaus Siebenhaar, die ihrem Lehrer Ende 2000 in der Akademie den ihm gewidmeten ersten Band der Schriftenreihe „akte exil“ überreichten; ein Werk, das — wie angemessen — mit „Hier brauchen sie uns nicht“ überschrieben wurde. Angemietet hatte die Räumlichkeit übrigens der Verlag. Kein Akademievertreter von Rang, nirgendwo, ward bei dieser Veranstaltung gesichtet. „Auf Dienstreise‘ lautete ein allseits geflügeltes Wort. Wie sollte es da zu einer begehbaren „Brücke über den Abgrund“ kommen? Ein Remedium gegen die Herzverkümmerung verabreichte die Akademie nicht. Diese hielt Huder bis über den Tod hinaus am äußersten Limit, denn selbst die nichtssagende Todesanzeige, die sie in die Berliner Presse einstellen ließ, fiel sparsam aus. In heutiger Zeit immer knapper werdender Kulturbudgets, ja gänzlich fehlender Ankaufsetats, wird sich aber auch im mächtigen Räderwerk der Akademie die Erinnerung an den Mann nicht ausbleichen lassen, der ihr eine so beeindruckende Erfolgsbilanz hinterließ. Bleibt zu erwähnen, daß Walter Huder unzählige Aufsätze zu Literatur und Theater im 20. Jahrhundert schrieb (wann nur fand er die Zeit, sie zu verfassen?) und seine zahlreichen Vorträge zu den Sternstunden vieler Symposien gehörten. Huder machte auf Schicksale aufmerksam, die zu den erschütterlichsten unserer nahen Vergangenheit gehören. Genannt seien stellvertretend für so viele Walter Hasenclever, Erich Mühsam, Walter Rheiner, Georg Trakl oder Joseph Wulf, dessen Remigration Huder vollkommen richtig als Todesfalle erkannte. Oft spiegelt sich in Huders Beiträgen die HiobErfahrung, die Frage des Leidens der Gerechten. Huder war ein Gerechter. Ganz seinem Jugendtraum verpflichtet, wurde er zum Anwalt der Verfolgten und Vergessenen. Über den „in Berlin fuhrwerkenden Starkritiker“ Alfred Kerr schrieb er 1972: „Kerr war Republikaner vom Scheitel bis zur Sohle, ein wirklich freier Schriftsteller, der, wo es um die einmal erkannte Wahrheit ging, kein Blatt vor den Mund nahm.“ Ob bewußt oder unbewußt, mit diesem Satz hat Huder trefflich sich selbst porträtiert. Kerr, Lessing und Hegel, das waren neben einigen anderen die Geister, denen Huder pflichtete. Anders jedoch als bei Hegel kam bei Huder der einzelne Mensch nie zu kurz. Für 14 ihn war die Einzigartigkeit und Bedeutsamkeit des Individuums ganz einfach das, was man unter Humanität versteht. Legendäres wird bis heute über Huder als Professor für Theaterwissenschaften berichtet. Seine Studenten beorderte er gerne in den Benutzer- und Depotraum der Akademie der Künste, wo inmitten von Nachlässen, Gipsbüsten und Totenmasken die Mnemonik wie von selbst vollzogen wurde. Werner Mittenzwei wies darauf hin, wie Huder es verstand, „in die Geheimnisse des Archivs einzuweihen“ und daß es nicht häufig die Konstellation gibt, „daß Archiv und Theater aufeinander einwirken“. Huder gelang diese Symbiose par excellence. Jetzt ist der Mittler und Brückenbauer, der so viele Wissenschaftler beider deutscher Staaten freundschaftlich zusammenbrachte und stetig mit Impulsen versorgte, ohne dessen feinfühlige Vorarbeit die Wiedervereinigung der Archivbestände aus Ost und West sicherlich holpriger verlaufen wäre, der sich sein Leben lang mit der nicht immer bequemen und doch trostbringenden conditio humanitas beschäftigte, und der mit Georg Kaiser davon ausging, daß „das Leben eine Beunruhigung des Todes ist“, gegangen. Stefan Zweig sagte anläßlich einer Trauerfeier für Joseph Roth am 24. Juni 1939 in London: „Immer, wenn wir einen Menschen verlieren, einen der seltenen, die wir unersetzlich und unwiederbringlich wissen, fühlen wir betroffen und beglückt zugleich, wie sehr unser getretenes Herz noch fähig ist, Schmerz zu empfinden ...“ Zweig sprach davon, daß in Roth ein „russischer Mensch - ich möchte fast sagen, ein karamasowscher Mensch -, ein Mann der großen Leidenschaften‘ wohnte. Das gilt gleichfalls für Huder, auch er zählt zu den unersetzlichen Menschen, über deren Weggang sich der Schmerz ausbreitet; beglückt hingegen dürfen wir uns fühlen, daß es ihn gab. Der Kreis hat sich geschlossen: Walter Huder ruht in seiner unvergessenen Heimaterde von Mladé Buky. Die Beisetzung in der dortigen Familiengruft fand am 5. Juli 2002, ganz Huders Vorstellungen entsprechend, statt. Der Friedhof war — wie schön für ein Leichenbegängnis — bereits fiir den Jan Hus-Tag herausgeputzt. Als Festschrift zum 80. Geburtstag von Walter Huder erschien der Band „Die Asyle der Kunst“, hg. von Hermann Haarmann und Klaus Siebenhaar. Berlin: Verlag Bostelmann & Siebenhaar 2002. (ISBN: 3-934189-84-9). — Das Zitat im Titel („Was ist der Mensch in Berlin?“) stammt von Alfred Kerr. Edith Rosenstrauch geehrt Edith Rosenstrauch wurde am 11.12. 2002 die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny überreicht. Bei der Feier wurde auch Murray G. Hall geehrt: Seine Forschungen stellen u.a. einen ebenso wesentlichen wie kritischen Beitrag zur Geschichte der nationalsozialistischen Machtergreifung auf dem Gebiet des Verlagswesens und der Literatur dar. Edith Rosenstrauch hat sich große Verdienste um die Erforschung der österreichischen Aufklärung im ausgehenden 18. Jahrhundert und um die Edition ihrer Schriften erworben. Ihre bedeutende Spezialbibliothek zur Aufklärungs-, Freimaurerund Illuminatenliteratur hat sie nun der Wiener Stadt- und Landesbibliothek gestiftet - ein für eine einst aus Wien Vertriebene bewundernswerter Akt der Zuversicht.