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Stefan Zweig war in der Weimarer Republik einer der meistgedruckten Autoren. 1936 wird er mit seinem Gesamtwerk in Deutschland verboten. Seine Bücher werden aus allen 6ffentlichen Bibliotheken des Landes entfernt. Nach dem Il. Weltkrieg entstehen zwei deutsche Staaten und zwei Literaturen mit unterschiedlichen Verlagslandschaften. Von 1949 bis 1990 erscheinen in der DDR insgesamt 40 Bücher von Stefan Zweig in erster Auflage. Eigenständiger Beitrag der DDR zur Zweig-Forschung ist die Herausgabe der Briefe von Stefan Zweig an Maxim Gorki (1971), Paul Zech (1984 und 1987) und Romain Rolland (1988). Bücher Zweigs mit jüdischem Inhalt (z.B. Jeremias, Der begrabene Leuchter) dürfen nicht erscheinen oder werden wegen ihres pazifistischen Inhalts (z.B. Die Augen des ewigen Bruders) nicht neu aufgelegt. Ebenso werden die Biographien Marie Antoinette, Maria Stuart und Castellio gegen Calvin nicht in das Verlagsprogramm der DDR aufgenommen. Am Anfang der DDR erscheinen einzelne Novellen und Erzählungen von Stefan Zweig, die bereits in der Zeit der Weimarer Republik in denselben Verlagen erschienen sind. Ab 1966 wird dann schwerpunktmäßig das novellistisch-erzählerische Werk im AufbauVerlag, Berlin und Weimar, und ab 1981 das biographisch-essayistische Werk von Stefan Zweig herausgegeben. Zuletzt wird die Herausgabe von Werken Zweigs zu einem Wettkampf zwischen verschiedenen Verlagen der DDR, die alle an der leichten Verkäuflichkeit der Werke Zweigs und dem Renommee seines Namens profitieren wollen. Die Bücher Zweigs sind trotz hoher Auflagen (im Durchschnitt 15 Tsd.) in der Regel am Tage ihres Erscheinens vergriffen. Bücher werden vorrangig an Bibliotheken abgeben. Aufgrund der niedrigen Buchpreise im Leseland (nicht Buchland) DDR verdienen die Verlage damit kein Geld. Verlagsrechte Die deutschsprachigen Rechte am Werk Stefan Zweigs, lagen vor dem II. Weltkrieg beim Insel-Verlag Leipzig. Seit dem I. Weltkrieg hat der S. Fischer Verlag mit Sitz in Frankfurt am Main die Rechte. Anfang der 1950er Jahre gilt Zweig in der DDR noch als Insel-Autor, die Autorenhonorare werden auf ein Sperrkonto bei der Staatsbank der DDR deponiert und sodann den Erben überwiesen. Periode vom 7. Oktober 1949 bis zum 12. August 1961 Die Periode ist gekennzeichnet durch die Zurückdrängung des bürgerlichen Einflusses auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, vor allem in der Wirtschaft, durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), die in der DDR zur maßgebenden Partei avanciert. Die beiden deutschen Staaten sind noch nicht endgültig voneinander getrennt. Gegenseitige Besuche der Menschen aus Ost und West sind noch möglich, ebenfalls der Austausch von Büchern auf individueller Ebene. Viele Menschen verlassen die DDR und siedeln sich in der BRD an. Der Bruderbund mit der Sowjetunion und die Erwirtschaftung von „Devisen“ sind für die DDR von besonderer Bedeutung. Es dominiert der Einfluß proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, die allein als fortschrittlich gelten. Für jedes Buch — auch Nachauflagen bereits erschienener Bücher — muß eine besondere Lizenz beantragt werden. Außerdem müssen Papier-, Satz-, Druck- und Bindekapazitäten bereitgestellt werden bzw. fallen Lizenzkosten an, die z.T. in Valuta bezahlt werden müssen. Als erste Stefan Zweig-Titel erscheinen 1950 der Erzählband Sternstunden der Menschheit. Fünf historische Miniaturen und die Legende Die Augen des ewigen Bruders im Insel-Verlag. Diese Titel waren bereits vor dem II. Weltkrieg in der Insel-Bücherei erschienen. Der Insel-Verlag hatte bereits vor dem II. Weltkrieg seinen Stammsitz in Leipzig. Die Eigentümer übersiedelten nach 1945 in den westlichen Teil Deutschlands. Das Verlagsprogramm galt weiterhin als bürgerlich beeinflußt. Das geht aus einer internen Kritik am Insel-Verlag aus dem Jahr 1953 hervor, in der das risikolose Ausschöpfen des bürgerlichen Kulturgutes und das ausschließliche Leben von der humanistischen Vergangenheit beanstandet werden. Eingriffe in das Verlagsprogramm folgen. So kommt dann der Band Kleine Chronik (1951) ohne die Erzählung Episode vom Genfer See heraus, wo ein russischer Soldat sich im I. Weltkrieg aus Verzweiflung das Leben nimmt. Seit 1952 erscheinen die Sternstunden — ohne das Vorwort Zweigs, in dem er sagt: „Geschichte übt keine Methode und überspielt verächtlich jedes Gesetz.“ Diese Auffassung steht in allzu offenem Widerspruch zum offiziellen historischen Materialistismus der DDR. In der DDR nicht wieder aufgelegt wird die Legende Die Augen des ewigen Bruders, in der das Verhältnis des Individuums zum Kollektiv problematisiert wird. Der Feldherr Virata tötet in einer Schlacht unwissentlich den eigenen Bruder und wird nun von dessen Augen unablässig verfolgt. Zweig nimmt dies zum Anlaß, über das Wesen menschlichen Tuns nachzudenken. Virata findet schließlich über verschiedene Stufen im Dienst am Menschen für sich einen Weg, nicht erneut schuldig zu werden. Das entspricht natürlich nicht der marxistischen Auffassung von der Rolle der Gewalt und der Partei der Arbeiterklasse bei der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. Im Neuem Deutschland, dem Zentralorgan der SED, erscheint im Februar 1952 ein Artikel von Prof. Kantorowicz, Inhaber eines Lehrstuhls für neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität Berlin. Er bezeichnet Zweig als einen abseitigen, volksscheuen Ästheten, der sein Leben im Elfenbeinturm verbracht habe, ohne echte Beziehungen zum Volk, ohne Verständnis für die Forderung des Tages, und als einen Idealisten, der mit untauglichen Mitteln den Frieden und die Humanität zu verteidigen sucht. Der Aufsatz gipfelt in der Aussage: „Stefan Zweig hat als Schriftsteller an den Forderungen und Entwicklungen seiner Zeit vorbeigelebt. Keines seiner Bücher kann uns Wegweiser sein.“ Der Artikel von Kantorowicz führt dazu, daß Stefan Zweig in der DDR in den darauffolgenden Jahren kaum mehr verlegt wird. In den Hausmitteilungen des Aufbau-Verlages wird der Autor im Oktober 1956 als „Prototyp der bürgerlichen Dekadenz“ bezeichnet. 29